Im April stellt sich Neuenburgs Bürgermeister Joachim Schuster (58) noch einmal zur Wahl. Zum vierten Mal will der gebürtige Schwabe Stadtoberhaupt der alten Zähringerstadt werden und dagegen spricht rein gar nichts. Seit 1991, seit Schuster zum ersten Mal zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde – der viertgrößten im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald –, ist Neuenburg auf einem ziemlich strikten Erfolgskurs. Die Kommune, die direkt an der Autobahn A 5 liegt, aber von dort visuell kaum wahrgenommen werden kann, hat den Spagat geschafft, der vielen Gemeinden in der Umgebung nicht so recht geglückt ist: einerseits attraktiver Wirtschaftsstandort zu sein, andererseits den Bürgern der Stadt ein hohes Maß an Lebensqualität bieten zu können. Es hängt ja schon irgendwie zusammen. Dass Neuenburg zum Beispiel die Sanierung der Innenstadt inklusive eines Parkhausbaus so zügig vorantreiben kann, liegt eben auch an der wirtschaftlichen Potenz des Ortes. Erst in diesen Tagen hat eine Meldung über eine neue Industrieansiedlung in der 12.000-Einwohner-Stadt Schlagzeilen gemacht. Das ambitionierte schweizerisch-deutsche Möbelunternehmen Vitra – vertreten durch die Tochtergesellschaft Contura – hat ein 16 Hektar großes Industriegebiet auf Neuenburger Markung erworben. Das expandierende Unternehmen hat schon zwei Standorte in der Stadt. Dort werden die am Hauptsitz Weil am Rhein gefertigten Büromöbel und Wohnaccessoires endmontiert und in die ganze Welt geschickt. Jetzt kommen noch einmal zu bestehenden knapp 20.000 Quadratmeter Fertigungsflächen weitere 60.000 Quadratmeter Nutzfläche dazu – Vitra Contura plant am neuen Standort den Ausbau von Produktion und Logistik in mehreren Abschnitten.
Für die Gemeinde und Bürgermeister Joachim Schuster ist der Deal mit Vitra einerseits ein Glücksfall, andererseits wohl auch ein Erfolg geschickter kommunaler Wirtschaftspolitik. Ursprünglich hatte der international aufgestellte Automobilzulieferer Freudenberg 1970 in Neuenburg ein 60 Hektar großes Industriegebiert erworben. 3.000 Arbeitsplätze, so die Planung damals, sollten hier im Markgräflerland entstehen. Das Projekt wurde eingedampft: heute sind 600 Mitarbeiter bei der Nachfolgefirma von Freudenberg der TrelleborgVibracoustic in Neuenburg tätig, die Gemeinde erwarb 25 Hektar aus dem Grundstücksgeschäft wieder zurück. Kein schlechtes Geschäft. Es gelang Schuster, auf einem Teil des Areals neben der deutschlandweit viertgrößten Bäckerei K&U (Sie gehört zur Edeka-Gruppe) die Firmen Plasma Electronics (Spezialist für die Bearbeitung hochwertiger Oberflächen), den Spezialmaschinenbauer AZO sowie die weltweit agierende Johnson Controls (Automobilzulieferer) anzusiedeln. 1000 Arbeitsplätze kamen so neu hinzu, ebenso bauten im gleichen Zeitraum die Pharmaunternehmen Losan und Nemera und schufen damit weitere 800 Arbeitsplätze. Neuenburg verfügt damit – Stand Februar 2015 – über 4.500 meist auch hochqualifizierte Arbeitsplätze inklusive 185 Ausbildungsstellen. Dazu kommt nun eben das weitere Vitra Contura-Werk dazu. Joachim Schuster, der auch Wirtschaftsförderer der Stadt ist („Die Unternehmer wollen mit dem Bürgermeister reden, deshalb mache ich das lieber selbst“), ist jedenfalls zufrieden und sieht mit dem neuesten Geländeverkauf sowohl die Wirtschaftsregion Südbaden wie auch den Standort Weil am Rhein als deutschen Hauptsitz von Vitra gestärkt – wenn auch auf Neuenburger Markung. Der Branchenmix in Neuenburg, einst dominiert durch den Maschinenbau, ist jetzt so vielschichtig, wie sich dies eine Kommune nur wünschen kann. Eher ist es ein Problem, qualifizierte Mitarbeiter in ausreichender Zahl zu beschaffen. Es gibt spezielle Programme, um die Abgänger von Neuenburger Schulen – es sind alle Schularten einschließlich eines Gymnasiums vorhanden – für eine Ausbildung vor Ort zu interessieren. Durchaus mit Erfolg, sagt Bürgermeister Schuster. Natürlich pendeln auch viele Elsässer über die nahe Grenze ein, aber es gelingt den ansässigen Pharmaunternehmen auch, hochqualifizierte Doktoranden aus ganz Deutschland ins Markgräflerland zu holen – sicher auch, weil da Löhne auf Schweizer Niveau locken.
Dabei war Neuenburgs Weg zu einer der erfolgreichsten Städte in Südbaden keineswegs programmiert, im Gegenteil. Mal war die Stadt, die im Mittelalter dank ihrer Lage schon 4.000 Einwohner hatte, gänzlich zerstört worden, dann riss der tobende Rhein einen Teil des Ortes in die Fluten und im Zweiten Weltkrieg wurde Neuenburg noch einmal in großen Teilen zerstört – der erste Luftangriff auf eine deutsche Stadt galt schon 1940 dem Grenzort Neuenburg.
Aber das sind Geschichten von gestern. Heute steht die Stadt vor der Herausforderung, im Wettbewerb der Kommunen auch eine gewichtige Rolle zu spielen. Joachim Schuster, übrigens auch Teamchef der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Bürgermeister und Inhaber einer Trainer-A-Lizenz, sieht das sportlich: Bis 2022, dann kommt eine Landesgartenschau nach Neuenburg, wird die Stadt wieder an den Rhein gerückt sein. Es ist ein Mammutprojekt, eng verzahnt mit der Weiterentwicklung des Integrierten Rheinprogramms (IRP). 7 Millionen Tonnen der insgesamt 20 Millionen Tonnen sind städtischer Kies und werden im Zug des Hochwasserschutzes ausgebaggert, die Gemeinde wird den Aushub vermarkten und mit dem Erlös ihren Anteil an der Landesgartenschau finanzieren. Der neue Rheinpark wird Neuenburg nicht nur an den Rhein rücken, er beschert den Bürgern der Stadt auch einen richtigen, großdimensionierten Erholungsraum, gerade mal 800 Meter vom Rathaus entfernt. Und über die Autobahn A 5 hinweg soll ein „Tor zur Region“ entstehen. Das in die Jahre gekommene alte Zollgebäude wurde von der Stadt erworben und mittlerweile abgebrochen, soll als Schaufenster der Region unter dem Namen „Alter Zoll“ mit einem Hotel, Restaurant und Handelsflächen überbaut werden. Neuenburg ist zwar keine Fremdenverkehrsstadt, kann aber auf bis zu 120.000 Übernachtungen jährlich verweisen. Im Ortsinneren befinden sich vier 3-Sterne-Hotels, die davon profitieren, dass der Grenzort gerne als Standort für eine Zwischenübernachtung angefahren wird. Und Camper schätzen auch das grenznahe Angebot von drei Campingplätzen.
Bis zu 100 Millionen Euro öffentliche und private Investitionen werden in den nächsten 7 Jahren in den Ausbau der Infrastruktur und in die Verbesserung der Stadtqualität gesteckt. In der Innenstadt wird derzeit ein über 3000 m² großes Areal entwickelt, das sich im Besitz der Stadt befindet – zurzeit sind da allerdings noch die Archäologen dabei, die historische Substanz zu erkunden. Projektentwickler ist der Bürgermeister, der sich auf der jüngsten Immobilienmesse ExpoReal schon mal umgeschaut hat, welcher Einzelhändler als Publikumsmagnet nach Neuenburg mit seiner ganz besonderen Stadtstruktur passen könnte. In Neuenburg legt man schon sehr viel Wert darauf, dass die Vergangenheit der alten Zähringerstadt auch in der heutigen Zeit deutlich wird. Das dokumentieren vor allem auch die großen freien Plätze wie jener vor dem Rathaus – es gibt da auch keine Diskussion wie anderwärts, ob die Freiflächen nicht doch lieber für den parkenden Verkehr zur Verfügung gestellt werden sollten. Stattdessen bauen die Neuenburger ein großes Parkhaus – übrigens genau an jener Position des Rheintraufs, an der einst das mächtige Münster der Stadt vom Rhein hinweg gerissen wurde.
Dieser Text ist in der aktuellen Printausgabe von netzwerk südbaden erschienen