Magdalena Ganter stammt aus Hinterzarten und lebt in Berlin. Mit ihrem gerade veröffentlichten Soloalbum „Neo Noir“ lässt sie in der Chansonszene aufhorchen. Ein Gespräch über Heimat, Wurzeln und Träume.
INTERVIEW: ANNETTE-CHRISTINE HOCH
Wo erwischen wir Sie gerade am Telefon?
Im Schwarzwald, gerade brauche ich ein bisschen Urlaub. Rund um die Veröffentlichung des Albums waren die letzten Wochen ein echter Marathon.
Ein Marathon in Coronazeiten?
Bei mir war es tatsächlich so, dass so viel los war und ich so viel zu tun hatte, dass mir trotz Corona nie langweilig war. Klar, natürlich hat es auch mich beeinträchtigt – wir mussten beispielsweise die Veröffentlichung der Platte verschieben –, aber ich habe auf eine gewisse Weise auch profitiert: Es hat sich viel Schönes entwickelt. Weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich umdenken, neue Formate entwickeln und mir etwas einfallen lassen muss. Denn so, wie ich mir die Realisierung des Albums ursprünglich vorgestellt hatte, hat es nicht mehr funktioniert: Eigentlich hatte ich Konzerte geplant, auf denen ich eine Crowdfunding-Aktion für meine Platte bewerben wollte – nichts ist sinnvoller als der Moment, wenn die Leute von der Musik direkt berührt werden, dann haben sie auch Lust, ein Projekt wie die diese Platte zu unterstützen. Zum Glück hatte ich noch eine gewisse Grundsicherung durch den Unterricht, den ich an einer Hochschule gebe. Der wurde einfach online umgesetzt. Das war zwar ein doppelter Aufwand – energetisch und zeitlich –, aber es gab wieder Möglichkeiten. Trotzdem sind Konzerte in der Musikindustrie einfach die Haupteinnahmequelle.
Waren Sie die ganze Zeit in Berlin oder klappte auch Unterwegs-Sein in irgendeiner Form?
Es gab im September eine Phase, in der ich fünf Konzerte geben konnte, da ging mal wieder was. Und das war wirklich eine Wohltat und ich wusste: Genau das fehlt mir! Im Zuge der Veröffentlichung habe ich in der letzten Zeit auch viele Interviews gegeben und einige Livestream-Formate umgesetzt, etwa für arte concert. Für solche Formate war ich in der letzten Zeit dann unterwegs. Überhaupt: Mit der Platte ging so vieles und es ist so viel passiert. Dabei hatte ich damit gar nicht gerechnet.
Waren Sie denn auch viel im Schwarzwald?
Ja, ich war häufiger hier. Ich brauche das für mein Seelenheil, immer mal wieder heimzukommen und natürlich auch die Familie zu treffen. Ich versuche immer, Berufliches und Privates zu verbinden und an berufliche Termine noch ein paar Tage hier dranzuhängen. Der bedeutet für mich vor allen Dingen Erdung, hier sind meine Wurzeln. Die geben mir unglaublich viel Kraft und die habe ich immer bei mir.
Kein Gedanke daran, nichts mehr damit zu tun haben zu wollen?
Ganz im Gegenteil: Umso älter ich werde, umso bewusster wird mir, was für ein Schatz es ist, dass es diesen Ort tatsächlich noch immer gibt. Dass ich eine Heimat habe, in die ich immer zurückkommen kann, und dass ich hier willkommen bin. Ich habe hier eine große Familie – das ist natürlich eine große Unterstützung – und schätze vor allen Dingen auch die wunderschöne, heilende, kraftvolle Natur hier
Wenn man Sie fragen würde, wo Ihre Heimat ist – wäre das Berlin oder der Schwarzwald?
Ganz klar der Schwarzwald. Hier bin ich mit vier Generationen unter einem Dach und in einem sehr bodenständigen Haushalt aufgewachsen. Und das ist das, was ich mitnehme: meine Werte, das soziale Gefüge, die sozialen Aspekte. Teamfähigkeit, Teamgeist, Disziplin, Durchhaltevermögen, die hohe Arbeitsmoral. Ich komme aus einer Schaffer- und Unternehmerfamilie. Tugenden wie die, zu seinem Wort zu stehen, sind etwas, was in einem kleinen Dorf einfach anders ist als in der Großstadt. Insofern ist Berlin eher die wichtige Inspirationsquelle und mein künstlerisches Schaffen stark von meiner Zeit in Berlin geprägt.
Berlin ist ein toller Ort, um freizudrehen, um sich auszuprobieren – unglaublich divers, multikulturell, absolut inspirierend. Der Weg, den ich bisher gegangen bin, wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen, wenn ich nicht in diese Stadt gefunden hätte.
War es, als Sie nach Berlin gegangen sind, störend, dass es hier etwas enger ist?
Ich glaube, das war mir damals gar nicht so bewusst. Ich war ganz schön naiv und wollte einfach gerne Musik machen. Zum Studiengang an der Universität der Künste kam ich eher zufällig: Eigentlich wollte ich Jazzgesang studieren, aber mein damaliger Lehrer für klassischen Gesang meinte, ich hätte auch schauspielerisches Talent und solle mich dort bewerben. Dann haben die mich genommen und ich dachte: „Ja, gut. Dann gehst du jetzt halt nach Berlin.“ Zur damaligen Zeit wollten viele meiner Freundinnen und Freunde unbedingt nach Berlin, aber mir ging das gar nicht so. Ich war einfach schon immer auch eine große Träumerin. Und ich bin es noch immer.
Sind die Schwarzwaldwurzeln für das Schaffen eher förderlich oder hinderlich?
Bestimmt waren sie förderlich. Die Existenzängste, die bestimmt immer zum künstlerischen Schaffen dazugehören, kannte ich bis dato noch gar nicht, weil ich nicht aus einer Künstlerfamilie komme, in der mal mehr geht oder mal weniger. Ich bin in einer Zimmerei großgeworden, bei uns gab es eine klare Struktur, da standen morgens um sieben Uhr die Zimmersleute auf der Matte. Das war für mich immer wieder eine große Herausforderung. Klar kann ich mir einen Wecker auf sechs Uhr stellen, um ab sieben Uhr zu komponieren. Aber das heißt nicht, dass am Ende auch etwas rauskommt – anders als bei einer Zimmerei, wo man baut und am Ende steht ein Haus da und man sieht, was man erschaffen hat. Das, was ich mache, ist ja sehr persönlich – da ist der Ausdruck eng mit inneren Prozessen verknüpft. Die brauchen manchmal viel Zeit und dann bin ich nicht so produktiv. Das aushalten zu lernen und zu akzeptieren, dass sich da ein eigener Flow entwickelt, dass ich mich dem hingeben kann und das auch nicht immer in meiner Hand liegt, ist immer wieder ein großer Prozess.
Ihre Plattenfirma spricht zum Beispiel von der „neuen Marlene Dietrich“. Wie lässt sich mit so etwas umgehen?
Ein total schönes Kompliment! Ich finde, Marlene Dietrich ist eine höchst inspirierende Frau – eine echte Heldin für mich. Wenn ich mit ihr in einem Satz genannt werde, freue ich mich. Sie inspiriert mich.
Was bedeutet Ihnen Musik?
Wenn ich musiziere, tanzt meine Seele. Meine Seele kommt zum Schwingen, und das macht mich zutiefst glücklich. Selbst dann, wenn es mir nicht gut geht oder ich traurig bin, ist Musizieren ein sehr heilsamer Prozess. Dann ist es geradezu therapeutisch, Musik zu schreiben und dadurch Emotionen zu verarbeiten. Und wenn ich das zurückbekommen kann und andere Menschen berührt werden, ist das das Allergrößte. Andere anstecken – das ist das Schönste.
Magdalena Ganter studierte an der Universität der Künste Berlin Gesang sowie Tanz und Schauspiel und erhielt 2010 für ihre One-Woman-Performance „Wäldermaidli hän dicki Köpf“ ihr Diplom. Anschließend tingelte sie singend und tanzend zwischen Wien, Prag, Amsterdam und Berlin von Theaterhäusern zu Variétézelten. Sie gründete das Artpoptrio „Mockemalör“, mit dem sie bisher drei Alben veröffentlichte. 2020 war sie Hauptpreisträgerin des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg, sie ist Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg. Magdalena Ganters erstes Soloalbum „Neo Noir“ ist gerade bei Revolver Distributions erschienen und wurde im April von der Liederbestenliste zum „Album des Monats“ gewählt, der Stern spricht von „Frische und Brillanz“ und lobt „ein großes Songwriter-Talent“. Im Herbst soll die Tour dazu stattfinden, mit Terminen unter anderem im Theater Freiburg.