Der Zellbiologe Stefan Rensing ist als Prorektor seit Sommer 2021 quasi der oberste Innovationsbeauftragte der Freiburger Universität. Ein Gespräch mit dem Professor über das Gelingen von Innovation, das Loslösen vom Tagesgeschäft – und warum viele Rädchen ineinandergreifen müssen.
INTERVIEW: RUDI RASCHKE
Bei Ihnen steht der Innovationsbegriff in der Berufsbezeichnung auf der Visitenkarte. Wie würden Sie diesen Begriff als zuständiger Prorektor für Forschung und Innovation eingrenzen?
Wenn man den Begriff eng fasst, beinhaltet er nicht nur die Findung von Innovation, sondern auch die Umsetzung. Also den Transfer einer Idee in etwas, was am Markt bestehen kann. Forschende haben dies nicht immer unbedingt im Kopf. Was auch logisch ist, zum akademischen Leben gehört oft Grundlagenforschung. Und selbst bei der angewandten Forschung kümmert sich oft ein unterstützendes Unternehmen oder Drittmittelgeber um das Einbringen in den Markt. Das ist ein Bereich, denke ich, in dem eine Universität noch besser werden kann.
Sie sind keine Gründungsberatung, sondern üben ein Amt aus, das einen Rahmen schafft?
Beides. Wir bieten auch Gründungsberatung an, aber zum Rahmen gehören bei Ausgründungen auch deren Unterstützung durch die Universität über einen gewissen Zeitraum, zum Beispiel mit Räumen. Und wir bieten auch Beratungen bei Verträgen an, wenn es um Partner oder Patentverwertungen geht. Das stellt die Grundlage dafür dar, dass überhaupt Innovation betrieben werden kann.
In einem Interview auf der Website der Universität deuten Sie an, dass sich Wissenschaftler nicht immer ganz leicht damit tun, ihre eigene Laufbahnplanung im Auge zu behalten. Heißt das, dass sie sich auch mit der Vermarktung Ihrer Themen immer noch vielfach schwertun?
Sagen wir so: Es gibt viele Forschende, die sich in ihrer ganzen Karriere nie damit beschäftigen, welche Anwendung aus ihrer Grundlagenforschung herauskommen könnte. Ich finde, das ist auch vollkommen in Ordnung. Das wunderbarste Beispiel hierfür ist übrigens die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe im vergangenen Jahr, die auf reiner Grundlagenforschung basiert.
Wenn wir über Biontech und Co. sprechen: Täuscht der Eindruck oder sind bei Innovationsthemen weiterhin fast nur Naturwissenschaften im Rennen?
Klassischerweise reden wir über Technologietransfer, welcher in aller Regel den Naturwissenschaften entspringt. Ich würde aber keiner Disziplin absprechen, eine Innovation hervorbringen zu können. Social Innovation ist hier ebenfalls ein Thema. In Freiburg gibt es darüber hinaus einen Slawisten an der Philologischen Fakultät, der sich mit der automatischen Erkennung von Handschriften beschäftigt. Das ist extrem spannend, wenn es um die Entzifferung von jahrhundertealten Dokumenten durch Künstliche Intelligenz geht.
Die Darstellung Ihrer Aufgaben listet zahllose Kommissionen, Gremien und Aufgabenbereiche. Ist im Sinne von „frei drehen“ hier überhaupt daran zu denken, dass Sie selbst innovativ werden können?
Mein Tagesgeschäft bindet ohne Frage sehr viel Kapazität. Dazu zählt für mich auch das Gespräch mit Professoren und Professorinnen, um herauszufinden, was sie überhaupt machen und welche wichtigen Themen sie für die Forschung der Universität, ihre Außendarstellung oder für Innovation mitbringen. Diese Zeit muss man sich nehmen, indem man sich aus dem Tagesgeschäft löst.
Wie schaffen Sie es, selbst auf die Suche nach Innovationen zu gehen?
Ich versuche immer Gelegenheiten zu schaffen für das Gespräch über Forschung, beispielsweise bei der Übergabe von Urkunden und Preisen oder in Vorbereitungen von Drittmittel-Verfahren. Weil ich es für richtig halte, dass der Bezug zu den Forschenden nicht verloren geht. Und weil mich begeistert, über den eigenen wissenschaftlichen Tellerrand hinauszuschauen. Auch im interdisziplinären Denken.
Wie viele Menschen arbeiten in Ihrem Ressort?
Insgesamt sind rund 40 bis 50 Menschen in allen Abteilungen und Bereichen meines Ressorts Forschung und Innovation tätig.
Was ist Ihr persönliches Geheimnis, um zu Innovation zu finden?
Ich mache mir im Umgang mit Forschungsthemen Gedanken, ob sie etwas für die Allgemeinheit darstellen. Und ich mache mir Gedanken, ob sie ein Produkt darstellen können.
Gibt es für Sie ein Muster, wie Innovation gelingt?
Sie gelingt dann, wenn die richtigen Personen involviert sind – auf der Seite der Erfinder*innen, aber auch auf der Seite der Beratung. Dafür müssen viele Rädchen ineinandergreifen. Die Situation, dass ein Professor oder eine Professorin eine Erfindung meldet und eine Firma ausgründet, bei der er oder sie CEO werden – sie wird nahezu nie passieren. Woran wir mehr arbeiten müssen: dass auch die beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeitenden unterhalb der Professorenebene im Unternehmergeist handeln.
Würden Sie zustimmen, dass Kollaboration und eine furchtlose, auf Mut setzende Kultur hierfür unverzichtbar sind?
Das sehe ich so. Die Kollaboration mit Netzwerken, mit der Wirtschaftsförderung, regionalen Unternehmen oder Wagniskapitalgebern ist enorm wichtig. Allein schafft man es nicht. Der Mut gehört ebenfalls dazu. Auch den Schritt zu gehen, dass man einen Beamtenjob an der Universität verlässt. Weil es in Deutschland eben nach wie vor verpönt ist, wenn eine Idee verworfen werden muss, weil sie nicht funktioniert.
Ist unsere Region ein guter Standort für Innovation?
Nicht der beste, aber auch nicht der schlechteste. Wenn sie in Freiburg in die Stadt fahren, steht auf jedem Ortsschild „Universitätsstadt“ als Zusatz. Ich frage mich oft, wieviel die Öffentlichkeit der Stadt davon mitkriegt, abgesehen davon, dass hier viele Studierende auf der Straße sind und dass die schönen sandsteinfarbenen Kollegiengebäude ins Auge fallen. Ich denke, dass viele Besucher hiervon zu wenig mitbekommen. Nicht nur wir als Universität müssen hier besser werden – die Region kann gemeinsam ein Bewusstsein dafür entwickeln.
Stefan Rensing, Jahrgang 1967, studierte Biologie in Freiburg, wo er in Zellbiologie promovierte und in Bioinformatik und Systembiologie habilitierte. Von 2012 bis 2020 war er Professor in Marburg, bis er in Freiburg zum Prorektor für Forschung und Innovation gewählt wurde. Rensing gilt als Pionier für die Verbindung von Biologie und Informatik und Experte für Verbundforschungsprojekte sowie das Einwerben von Fördermitteln.