Ein Jobwechsel kann ein radikaler Schnitt im Leben sein. Vier Menschen erzählen, warum sie sich beruflich veränderten.
Text: Christine Weis
Tamara Ierasts: Der andere Blick aufs Leben – vom Business zur Bildung
Tamara Ierasts’ Karriere verlief stetig bergauf. Als im Jahr 2018 ihr Sohn zur Welt kam, kündigte sie jedoch ihren Leitungsjob beim Danone Konzern in Zürich. „Schweren Herzens“, sagt die 39-Jährige bei einem Gespräch Mitte März in Waldkirch. „Arbeitgeber, Team und Job waren perfekt.“ Aber Pendeln und Muttersein ließen sich nicht mehr vereinbaren. Die Freiburgerin arbeitete als Sales Managerin für die bekannten Marken Evian und Volvic und leitete zuletzt ein Team von zwanzig Personen. Ihr Berufsweg begann mit einer kaufmännischen Ausbildung bei Sick, danach studierte sie Internationales Business in Reutlingen, es folgte ein Management-Trainee-Programm und eine Festanstellung beim Schweizer Unternehmen Gaba. Als dieses von Colgate-Palmolive übernommen wurde, verlegte die Firma ihren Sitz nach Hamburg. Ein Umzug in die Hansestadt kam für sie nicht infrage. „Für meinen Mann und mich war immer klar, dass Südbaden unsere Homebase ist, hier sind unsere Freunde und Familie.“ Zürich war nah genug an der Homebase, doch mit Familie wurde die Entfernung dann zu groß. Kinder und Karriere dürfen sich nicht ausschließen, davon ist die mittlerweile zweifache Mutter überzeugt.
Nach einem Jahr Elternzeit übernahm Tamara Ierasts 2019 die Geschäftsleitung der Schwarzwälder Eismanufaktur in Freiburg, die sich rasant vom Start-up zum Mittelständler entwickelte. „Nach und nach fühlte ich mich zwischen Job und Muttersein zerrissen.“ Zwar standen 70 Prozent im Arbeitsvertrag, doch die Aufgabe hätte eher 150 Prozent erfordert. „Junge Mutter übernimmt Führung in Teilzeit, hörte sich toll an, war es aber nicht“, berichtet Ierasts. Dem Job mehr Zeit zu widmen auf Kosten ihrer Familie wäre für sie nicht in Frage gekommen. Und Jobsharing war in der Firma kein Thema. „Die Karriereleiter fühlte sich wie eine Sackgasse an. Das erfüllte mich nicht mehr.“ Nach zweieinhalb Jahren hat Tamara Ierasts etwas getan, was sie noch nie tat: „Ich habe gekündigt, ohne zu wissen, wie es beruflich für mich weitergeht.“ Sie nahm sich einen Sommer lang Zeit und eine Coachin an ihre Seite für eine komplette Neuorientierung. „Business war immer mein Ding, doch durch meine Kinder habe ich einen anderen Blick aufs Leben“, erzählt die 39-Jährige. Seit dem Wintersemester 2022 studiert sie Pädagogik der Kindheit an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Auch durch die eigenen Erfahrungen mit ihrem Sohn, der mit einer seltenen Erkrankung lebt, sieht sie im Bereich Pädagogik und speziell beim Thema Inklusion viel zu tun.
Mit dem Studium strebt sie eine Leitungsfunktion oder Selbstständigkeit an, denn sie möchte gestalten, Strukturen verbessern, Mängel beseitigen und Verantwortung übernehmen. „Die Management-Skills bringe ich mit, das pädagogische Fachwissen und die Praxis lerne ich neu, und ich weiß, dass ich in einem Bereich arbeiten werde, der für mich und die Gesellschaft Sinn macht.“ Im vergangenen Herbst wurde ihre Tochter geboren. Zwei Semester pausiert Tamara Ierasts, mehr nicht, denn die Karriere geht weiter, nicht in der Wirtschaft, sondern im Feld von Bildung, Betreuung und Erziehung.
Thomas Vandeputte: Essen müssen alle – vom Fotografen zum Pizzabäcker
„Als Pizzabäcker bin ich viel glücklicher, als ich es je als Fotograf war”, sagt Thomas Vandeputte. Es ist 14 Uhr an einem sonnigen Dienstag im März. Der Engländer steht mit seinem Food-Trailer Farina48 in der Bötzinger Straße im Industriegebiet Haid in Freiburg. Eigentlich hat er noch eine halbe Stunde geöffnet, doch er ist bereits ausverkauft und muss daher zwei Gäste auf nächste Woche vertrösten. „Es ist der Teig, der eine gute Pizza ausmacht“, sagt er. 48 Stunden lässt er ihn im Kühlschrank reifen. Daher rührt auch der Name; Farina bedeutet Mehl auf Italienisch. Warum kam der Engländer nach Freiburg und wie wurde aus dem Fotografen ein Pizzabäcker?
„In London ist es ganz normal, dass man mehrere Berufe hat, seinen Job öfter wechselt und verschiedene Dinge ausprobiert“, erzählt der 47-Jährige. Das hat er auch getan: Vor zwanzig Jahren war er in einem Feinkostgeschäft angestellt, in dem Starkoch Jamie Oliver oft einkaufte. Dann stieg er als Fotograf bei einer TV- und Filmpostproduktionsfirma ein und arbeitete für Kunden wie BBC, Channel 4, Universal Music, Paramount Entertainment und Disney. Als Paramount Entertainment seinen Standort von London nach Kalifornien verlegte, musste er sich neu orientieren und arbeitete kurzzeitig für das renommierte Fotostudio Spring, bevor er Assistent von Matt Holyoak wurde. Der berühmte Fotograf hatte schon Schauspieler wie George Clooney oder Daniel Craig vor der Linse und portraitiert Mitglieder des britischen Königshauses. „Wir waren ständig unterwegs, weltweit, das war toll, aber auch anstrengend. Als 2012 unser erstes Kind geboren wurde, habe ich mich als Fotograf selbstständig gemacht“, erzählt Vandeputte. Es sei schwierig gewesen, die Auftragslage stabil zu halten. Mal gab es viele Aufträge auf einmal, mal keine. 2016 kam der Brexit. „Eine Katastrophe und für uns der Grund zum Auswandern“, sagt Vandeputte. Seine Frau stammt aus Neustadt im Schwarzwald und lebte zu dem Zeitpunkt schon über 20 Jahre in London. Die Haarstylistin für internationale Filmproduktionen kann ihren Job auch von Deutschland aus managen. „Ich wollte kein Jetset-Leben mehr, und unsere beiden Kinder wachsen hier behüteter auf als in London”, berichtet Vandeputte, der vor allem deshalb Pizza machen wollte, weil er in Freiburg keine gute finden konnte.
Sein neues Handwerk lernte der Engländer mit französischen, belgischen und irischen Wurzeln bei Neapolitanern in London und in einer Pizzaschule in München. Zurück in Freiburg wollte er eigentlich ein Restaurant eröffnen, doch dann kam die nächste Krise: Corona. Das Vorhaben platze, und er entschied sich für den Food-Anhänger. Diesen baute er selbst aus. Seit Herbst 2021 läuft der Ofen heiß, und es gibt mittlerweile mehrere große Kühlschränke in seiner Küche in Emmendingen, wo die Teige ruhen. An drei Tagen ist Tom Vandeputte mit seinem Pizzaanhänger in Freiburg und Denzlingen unterwegs. Man kann ihn auch für Events engagieren. „Es läuft gut, ich bin nahezu ausgebucht bis Oktober“, sagt Thomas Vandeputte. Der umtriebige Londoner hat auch schon eine neue Idee. Er würde gerne einen Kiosk eröffnen – und damit doch noch beruflich sesshaft werden – vorerst.
Marcus Gensitz: Beweglich bleiben – vom Bauzeichner zum Sporttherapeut
“Meine Generation wird bis zum Umfallen arbeiten, denn die Rente wird nicht ausreichen“, sagt Marcus Gensitz. Für den 38-Jährigen ist es daher selbstverständlich, dass man sich im Laufe des langen Berufslebens immer wieder verändert. „Man sollte offen sein für Neues und agil bleiben.“ Dazu trägt er im wörtlichen Sinne bei: Er betreibt zusammen mit seiner Schwester eine Praxis für Physiotherapie. Seit dem Umzug nach Merzhausen vor knapp zwei Jahren ergänzt ein Laden für Lifestyle und Sportbedarf samt Café das Studio.
Marcus Gensitz ist in der Sportwelt kein Unbekannter. Im Grundschulalter begann er bei der Freiburger Turnerschaft von 1844 (FT) mit Volleyball und legte eine steile Karriere hin: Bereits mit 15 Jahren lief er für die zweite Mannschaft auf und spielte mit in der Bundesliga. Er war lange Kapitän der Affenbande, wie das Team auch genannt wird, und galt als einer der besten Spieler der zweiten Liga. Zwischendurch wechselte er für ein Jahr nach Hamburg und spielte dort erstklassig. Das sei nur eine kurze Phase gewesen. „Ich bin eben ein Freiburger Bobbele.“ 2022 beendete er im Alter von 35 Jahren seine Laufbahn. „Der Leistungssport war klasse, aber nicht nur ein Zuckerschlecken“, erzählt der Routinier. Er hatte zuletzt auch schwere Verletzungen, etwa eine Thrombose im Schlagarm und einen Achillessehnenriss. Dadurch kam er mit Ärzten und Therapeuten in Kontakt, was rückblickend mitentscheidend war, selbst in diesem Bereich tätig zu werden.
Beruflich hatte Gensitz zunächst in eine andere Richtung eingeschlagen. Nach dem Abitur studierte er Maschinenbau an der Hochschule Offenburg. „Studium war nicht mein Ding, zu theoretisch“, erzählt Gensitz. Nach wenigen Semestern brach er das Studium ab, absolvierte eine Ausbildung zum Bauzeichner bei einer Firma in Eschbach. Seine weiteren Stationen waren ein Ingenieurbüro auf der Haid, bevor er ins Freiburger Rathaus als Systemplaner wechselte und schließlich ein Fernstudium in Berlin zum Sporttherapeuten machte. Heute behandelt er Sportler gleichermaßen wie rückengeschädigte Büromenschen, gibt Faszientraining oder Schwimmkurse. Gensitz möchte Menschen für den Sport begeistern: „Bewegung tut seelisch und körperlich gut.“ Gymnastik, Radfahren, Walking oder Volleyball – die Sportart sei egal, Hauptsache sie mache Spaß. Gensitz will selbst sportlich bleiben, beruflich kommt sicher irgendwann wieder Neues.
Simone Koch: Viele Bildungswege – von Büromanagement zum Lehramt
Zwischen schriftlicher und mündlicher Prüfung zur Diplombetriebswirtin brachte Simone Koch 2019 ihr erstes Kind zur Welt. Das Studium an der Verwaltungsakademie (VWA) Freiburg absolvierte sie berufsbegleitend über drei Jahre hinweg, vorwiegend an den Wochenenden. „Arbeit und Studium parallel zu meistern, war hart“, sagt die 30-Jährige. Dazu kamen dann noch Schwangerschaft und das Baby. „Doch wenn ich etwas anfange, ziehe ich es auch durch“, sagt sie. Diese Maxime prägt ihr Leben. „Ich setze mir Ziele, die ich erreichen will.“ Ihr aktuelles Ziel: Grundschullehrerin. „Ich will Kindern zeigen, dass Lernen nicht nur wichtig ist, sondern auch Spaß macht.“
Simone Koch ist in Gottenheim aufgewachsen. Sie besuchte zunächst die örtliche Hauptschule und wechselte dann auf eine Realschule in Freiburg. „Ich wollte finanziell unabhängiger von meinen Eltern sein und daher schnell mein eigenes Geld verdienen, obwohl es im Nachhinein sinnvoll gewesen wäre, weiterzumachen“, erzählt die mittlerweile zweifache Mutter. Mit 17 begann sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau bei der Handwerkskammer Freiburg. Nach der Lehre wechselte sie an die Gewerbe Akademie, wo sie beim Orientierungsprojekt „JET – Joberkundungstage“ mitarbeitete, bei dem Jugendliche verschiedene Handwerksberufe ausprobierten. Auch Simone Koch wollte sich beruflich weiter ausprobieren und entschied sich für das Studium zur Betriebswirtin an der VWA. „Im Laufe der Zeit bekam ich aber immer mehr Lust darauf, mit Kindern zu arbeiten“, berichtet die 30-Jährige. Die Motivation kam durch ihre eigenen Kinder, aber auch von ihrem Mann, der Realschullehrer ist.
Seit dem Wintersemester 2022 studiert sie an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg die Fächer Mathematik und AuG (Alltagskultur und Gesundheit) und ist bereits mitten in ihrem Pflichtpraktikum. „Durch Bafög kann ich mir das Studium auch finanziell leisten, für die staatliche Unterstützung und auch für die wertvolle Beratung der Agentur für Arbeit bin ich sehr dankbar.“ Während ihrer Hauptschulzeit hätte sie nie gedacht, dass sie selbst mal unterrichten würde.