Damit Loopings, Beschleunigungen und Abfahrten zwar die Nerven der Fahrgäste strapazieren, nicht aber deren Gesundheit, werden Achterbahnen gründlich getestet. Am Bildschirm und in echt.
Text: Kathrin Ermert • Fotos: Alex Dietrich
Die ersten Passagiere jeder neuen Achterbahn sind voll – mit Wasser. Bis zu 90 Liter lassen sich in die sogenanntes Wasserdummys füllen und damit die Gewichte menschlicher Insassen simulieren. Die Ingenieure von Mack Rides nutzen die blauen Plastikflaschen, deren Form einem sitzenden Passagier gleicht, so regelmäßig, dass sie ihnen Namen gegeben haben. Rolf, Franz und Kollegen testen die Fahrgeschäfte auf dem Firmengelände in Waldkirch, und sie reisen mit den Coastern an deren Zielorte, um die ersten Probefahrten zu begleiten.
Zwölf bis fünfzehn Achterbahnen entwickelt und fertigt Mack Rides pro Jahr am Hauptsitz in Waldkirch sowie am zweiten Standort in Herbolzheim. Mehr als 150 waren es bislang insgesamt. Sie sind auf allen Kontinenten im Einsatz. Jahrhundertelang baute die Firma Mack, deren Geschichte bis ins Jahr 1780 zurückreicht, Wohnwagen und Karussells für Schausteller. Als dieses Geschäft in den 1990er-Jahren nachließ, verlegte sich das Traditionsunternehmen auf Achterbahnen, Wasser- und Rundfahrgeschäfte. 90 bis 95 Prozent davon werden exportiert, sagt Geschäftsführer Christian von Elverfeldt. Wenn nicht gerade ein großes Projekt des Europa-Parks ansteht wie die Voltron, die jüngste Achterbahn des Europa-Parks, die im Frühjahr eröffnete.
Der Freizeitpark in Rust ist ein Tochterunternehmen von Mack Rides. Er entstand 1975 als Schaufenster und Testfeld für die eigenen Produkte. Fast alle Fahrgeschäfte dort stammen aus Waldkirch. Mit schätzungsweise mehr als 300 Millionen Euro Umsatz und annähernd 4000 Mitarbeitenden ist der Europa-Park seiner Mutter längst über den Kopf gewachsen. Mack Rides beschäftigt 225 Menschen, der Jahresumsatz pendelt zwischen 80 und 100 Millionen Euro. „In China ist in den letzten Jahren ein Freizeitpark nach dem anderen aus dem Boden geschossen“, sagt von Elverfeldt. Seit er 2005 die Geschäftsführung übernommen hat, legte das Unternehmen ordentlich zu. Bis zur und noch während der Pandemie lief es gut, doch der enorm gestiegene Stahlpreis in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bereitete Mack Rides Probleme. 2022 und 2023 waren schwierigen Jahre, berichtet von Elverfeldt, jetzt gehe es aufwärts. Die Auftragsbücher seien wieder gut gefüllt.
Steil hinab ins Wasserbecken
„Man baut jede Achterbahn nur einziges Mal in echt, dafür hunderte Male virtuell“, sagt Stephan Alt. Der 34-jährige Ingenieur ist einer der sechs Achterbahn-Designer von Mack Rides, auf ihren Computern entsteht das künftige Fahrerlebnis: Kurven, Loopings, Beschleunigungsstrecken, Gefälle, Neigungen. Alle in dem reinen Männerteam teilen die Leidenschaft für Achterbahnen – „das ist Voraussetzung für die Arbeit“, sagt Alt. Die Abteilung heißt „Track Development and Simulation“. Denn Entwickeln und Testen der Fahrgeschäfte gehen miteinander einher.
Auf dem Bildschirm von Stephan Alt kann man die Perspektive der Bahninsassen schon sehen, lange bevor der erste Schienenstrang gebogen wird. Weil ein wesentlicher Teil des Achterbahngefühls durch optische Reize entsteht, erzeugt allein das Simulationsvideo einen realen Vorgeschmack auf die Fahrt, ohne dass man sich tatsächlich bewegt. Es gehört deshalb zum Angebot, das Parkbetreiber erhalten. Denn dort entscheiden meist Nicht-Techniker, die mit seitenlangen Berechnungen wenig anfangen können, wer den Auftrag erhält. Sobald Mack Rides den Zuschlag hat, beginnt die eigentliche Planung der Achterbahn. Jeweils etwa ein halbes Jahr dauern die Entwicklung des Layouts der Statik und die Feinplanung. Dann erst folgen Produktion und schließlich Aufbau sowie Inbetriebnahme. In Waldkirch montieren die Mitarbeitenden testweise jeden Schienenstrang mit seinen Nachbarstücken, ehe die auf Containermaß produzierten Teile an ihren Einsatzort reisen, wo die Bahn das erste und einzige Mal komplett aufgebaut wird.
Während des gesamten zwei- bis dreijährigen Prozesses simulieren und berechnen die Ingenieure permanent alle Eventualitäten. Jede Simulation sei ein virtueller Test, sagt Alt: „Wir sorgen dafür, dass man möglichst wenig physikalisch testen muss.“ Immer, wenn die Spanne zwischen den Abschätzungen zu groß ist, geht es raus aus dem Büro in den Hof. Dort hat Mack Rides zwei Schienenstrecken aufgebaut. Eine steile Abfahrt hinunter in ein Wasserbecken und eine große Kurve, bei der die Testwagen auch ins Nass eintauchen. Wasserbahnen und ihre Fahrzeuge müssten häufiger physikalisch geprüft werden, weil sie sich schwieriger simulieren ließen, erklärt Alt.
Er kann sich an keine Panne bei den Tests erinnern. „Es gibt so viele Stufen in der Entwicklung, an denen Fehler auftauchen können, dass es am Ende kaum mehr Überraschungen gibt“, sagt der Ingenieur. Zum Vorfall im Europa-Park eine Woche vor dem Interview – Anfang September war ein Achterbahnwagen stehengeblieben und 20 Fahrgäste mussten etwa 40 Minuten in Schräglage fast vierzig Meter über dem Boden verharren – hat er keine näheren Informationen. Nach Angaben vom Europa Park wurde die Bahn mit zu geringer Energie losgeschickt und kriegte deshalb die Kurve nicht. Bereits im April hatte Blue Fire eine Kurve nicht geschafft und war viermal wieder zurückgerollt.
So sicher wie Flugzeuge
Um solche Fehler zu verhindern, machen Alt und seine Kollegen während der Inbetriebnahme die Feinjustierung. Nach dem Aufbau geht es darum, die Vorhersagen zu verifizieren. Tagelang fährt die Achterbahn wieder und wieder, zunächst nur mit Dummies, dann dürfen auch Freiwillige an Bord. Die Ingenieure sind meist selbst mit dabei. Im Europa-Park gehören zudem Mitglieder der Inhaberfamilie Mack immer zu den ersten Testpersonen. Und externe Prüfinstanzen wie der TÜV sind mit von der Partie. Dass Tests regelrecht scheitern, passiere so gut wie nie, sagt Alt: „Wir versuchen, die Wahrscheinlichkeit zu minimieren.“ Schließlich gehe es um das Wohlergehen der künftigen Fahrgäste – und pro Auftrag um mehrere Millionen Euro. Deshalb betreibe Mack Rides so einen Aufwand. „Achterbahnen sind so sicher wie Flugzeuge“, betont Alt.
Das bestätigte Ingo Kappels vom TÜV Süd kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auch seine Arbeit beginnt am Bildschirm. Kappels und sein Team rechnen die Konstruktion des Herstellers durch und überprüfen, ob die Steuerungssoftware fehlerfrei arbeitet, ehe sie die aufgebaute Achterbahn gründlich inspizieren. „Wir schauen uns jede Schraube an, das sind mehrere Tausend“, sagt der Prüfer. Er macht eine Klangprobe, das heißt, er klopft dran, um zu hören, ob die Schraube richtig angezogen ist. Dann fährt Kappels die Achterbahn viele Male, um alle Systeme zu checken, auch jene, die nur im Notfall zum Einsatz kommen. Und er prüft mit einem Stab in der Hand, ob die Fahrgäste mit ihren ausgestreckten Armen – was viele machen, obwohl sie es nicht dürfen – an Äste oder Zäune stoßen könnten. Falls ja, müssen diese weg.
Auch alle Sitze und Bügel muss der TÜV abnehmen. Vorab testet Mack Rides sie selbst während der Entwicklung und Produktion. Dafür nehmen Freiwillige aus dem Team darin Platz und lassen sich kopfüber drehen. Regelmäßig lädt das Unternehmen auch eine Gruppe Kindergarten- oder Schulkinder zur Challenge ein: Wer es schafft, sich unter dem Sicherheitsbügel herauszuwinden, bekommt eine Tafel Schokolade. Achterbahn-Designer Stephan Alt hat noch nie gesehen, dass es geklappt hat.