Die mechanischen Uhren von Kieninger aus Aldingen ticken seit 110 Jahren. 1993 kaufte der Möbelproduzent Howard Miller die Fabrik. Das Nachfolgemanagement hat der US-Konzern versäumt, so die Meinung der neuen Geschäftsführung, die das insolvente Unternehmen 2021 selbst übernommen hat.
VON CHRISTINE WEIS
Im Februar vor zwei Jahren holt der Vertriebsleiter Gerhard Schneider seinen chinesischen Kunden Ip Chun Keung am Flughafen Zürich ab. Zum Kauf der Luxusuhren kommt er eigens aus Honkong angeflogen. Schneider muss ihm sagen, dass er leider umsonst angereist ist, denn vor zwei Stunden wurde die Belegschaft über die Insolvenz informiert. Im Mai folgte die Betriebsstilllegung. Alle 50 Mitarbeiter wurden arbeitslos.
Der damalige Gast Ip Chun Keung ist heute mit Gerhard Schneider Mitinhaber der Uhrenfabrik, zusammen mit den Unternehmern Robert Eby und Leopold Grimm. Der Name Kieninger ist geblieben, firmiert wird unter Kuma GmbH – die Abkürzung steht für Kieninger Uhrenmanufaktur Aldingen.
„Unternehmer war nicht mein Lebensziel, aber ich wollte, dass das Knowhow nicht verlorengeht, denn wir sind das letzte Aufgebot der Großuhrenindustrie in Süddeutschland.”
GErhard Schneider
Dieses Alleinstellungsmerkmal wollten die Banken zunächst nicht sehen: Uhren seien kein sexy Produkt mehr, in das man investiere. Auch beim Bieterverfahren hat sich kein Käufer gefunden.
Schließlich haben Schneider und seine Mitstreiter die Firma ohne Bankkredit übernommen. Seither hatte er zwar einige schlaflose Nächte, doch so langsam werde das Fahrwasser ruhiger. Die Auftragsbücher füllen sich. Er hat viele der einstigen Mitarbeiter wieder eingestellt, Produktionsabläufe und Prozesse optimiert und trotz Fachkräftemangel einige junge Mitarbeiter nach Aldingen geholt.
Der US-amerikanische Konzern aus Michigan ist jetzt nicht mehr Schneiders Arbeitgeber, sondern ein guter Kunde von ihm, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis hat, das auch Kritik vertrage:
„Wir waren für das Management das fünfte Rad am Wagen, jahrelang wurden immer mehr Schulden angehäuft und die Unternehmensnachfolge schlichtweg verpennt.”
Gerhard SChneider
Das will er besser machen. Er setze auf Wachstum durch Spitzenqualität und strebe ein langfristiges Bestehen des Betriebs an. Das könne nur funktionieren, wenn man gewinnorientiert und marktkonform wirtschafte, denn so sei der Betrieb übernahmewürdig. Das wird vermutlich auch Rudolf Kieninger gerne hören. Der 78-jährige Ex-Seniorchef schaut immer noch regelmäßig an seiner einstigen Wirkstätte vorbei und räumt hier und da etwas aus seinem alten Büro. Bis 1991 war Kieninger in Familienhand, dann stieg zunächst der Messtechniker Mahr aus Esslingen ein, der wiederum 1993 an Howard Miller verkaufte.
Kieninger ist der Rolls-Royce unter den Uhrwerken
Gerhard Schneider kennt die Branche durch und durch, er ist viel rumgekommen in der globalen Uhrenwelt. Bei Kieninger ist der 55-Jährige 2012 eingestiegen. Er hat die wichtigen Kontakte nach Asien, USA oder den Golfstaaten, wobei er auch in Europa einen lukrativen Markt sieht, und dort vermehrt aktiv sein will. 2021 erwirtschaftete das Unternehmen ein positives Ergebnis. Neben den Uhren werden mechanische Antriebe unter anderem für stromlose Pelletöfen produziert.
“Wir sind das letzte Aufgebot der Großuhrenindustrie in Süddeutschland.”
Gerhard Schneider, Geschäftsführer Kieninger Uhrenmanufaktur Aldingen
Kieninger Uhren zählen zu den Luxusmarken, das Preissegment liegt zwischen 2.000 und 60.000 Euro für die zum Teil limitierten exklusiven Designs aus Nuss- oder Kirschbaumholz mit anspruchsvoller Tourbillon-Mechanik. „Die Schlagwerke mit neun Glocken spielen Mozarts Kleine Nachtmusik, die Vogelfänger-Arie aus der Zauberflöte oder die Westminster Melodie, das ist weltweit einzigartig, unsere Uhrwerke sind die Rolls-Royce unter den Zeitmessern“, sagt Schneider, „wenn Kieninger untergeht, dann gibt es diese Besonderheit nicht mehr“.
Deshalb sei er dankbar, dass viele der erfahrenen Mitarbeiter ihr Wissen weitertragen. Es kommen auch ehemalige Betriebszugehörige im hohen Rentenalter in den Betrieb und erklären den Jüngeren, wie die alten Anlagen zum Diamantieren oder Gravieren funktionieren. „Wir haben mehr Maschinen als Geld“, sagt Schneider scherzhaft, „aber das sind Schlüsseltechnologien, mit denen wir unser Portfolio der Fertiguhren unter der etablierten Marke weiter ausbauen.“ Das alte Wissen schaffe neue Produkte, um das Unternehmen fit zu halten – auch für potenzielle Nachfolger in einigen Jahren.
2 Kommentare
Hoffentlich bleiben sie als Firma uns noch lange erhalten.
Sie fertigen eben Spitzenqualität !
Meine hängt im.Wohnzimmer.
Gruß Rolf
Ich bin stolzer Besitzer einer Kieninger Standuhr seit 21 Jahren und es gab noch nie Probleme und die Uhr läuft seit dem Kauf ohne Pause!