Die Kirche steckt mitten in einem Wandel, den sie nicht mehr aufhalten, durchaus aber mitgestalten kann. Aufgrund gestiegener Austrittszahlen und der Zusammenlegung von Kirchengemeinden werden in Zukunft ganze Gotteshäuser leer stehen. Was dann?
VON ANNA-LENA GRÖNER
Ich habe mich damals in diesen von Tauben verdreckten und von Vandalismus beschädigten Turm verliebt“, sagt die aus Oberbergen stammende Film-Architektur-Designerin und Planerin Ingrid Maria Buron de Preser beim Betreten des ehemaligen Glockenturms der katholischen St. Elisabeth Kirche in Freiburg Zähringen.
Hier oben hatte sie noch vor vier Jahren vor einem Berg aus Schutt und Taubenkot gekniet, heute sitzt sie in einem Korbstuhl, der von der hohen Decke baumelt, und blickt glücklich in den hellen Raum. Ein Kamin schwebt über dem Boden, gehalten nur von einem langen Abzugsrohr, das in der grauen Betondecke verschwindet. Dezente Designelemente sind im Raum platziert, es herrscht eine Akustik, bei der man sich sofort ein Live- Konzert wünscht.
Die Turmbausanierung und der Ausbau waren ein langer Weg, den Buron de Preser dennoch als ihr „Herzensprojekt“ bezeichnet. Die St. Elisabethkirche wurde bereits 2006 profaniert, wie man die Entheiligung durch einen letzten Abschiedsgottesdienst nennt. Die Gemeinde hatte sich bereits 1997 mit der benachbarten St. Konrad Kirche zusammengetan.
Der Zähringer Betonkirche, die von 1962 bis 1965 vom Kirchenbaumeister, Architekten und Egon Eiermann-Schüler Rainer Disse im Stil des Brutalismus erbaut wurde, drohte der Abriss. Schließlich kaufte die Freiburger Gisinger Gruppe 2010 die Kirche und baute das denkmalgeschützte Gebäude in 42 moderne Eigentumswohnungen um.
Doch der Glockenturm, ein singulärer Campanile, der nicht mit dem Kirchengebäude verbunden ist, verwaiste. An ihn wagte sich vorerst keiner, er steht au en wie innen unter Denkmalschutz. Mit dem Thema Umnutzung und Verkauf von Kirchenimmobilien muss sich die Kirche verstärkt auseinandersetzen.
Im Jahr 2020 verzeichnete das Standesamt Freiburg zwar weniger Kirchenaustritte (1662) als beim bisherigen Höchststand des Jahres 2019 (2034), dennoch setzt sich der Trend fort. So wird in Zukunft manch heiliges Gebäude überflüssig. „Wir sind erst ganz am Anfang dieses Prozesses“, sagt Linus Becherer, Leiter Immobilien- und Baumanagement bei der Erzdiözese Freiburg. Etwa 1200 Kirchen und 800 Kapellen betreut die Diözese, etwa 1000 stehen in Südbaden.
„Wir haben neben den Kirchen und Kapellen noch andere Gebäude, bei denen wir uns etwas leichter tun“, sagt Becherer. Das seien beispielsweise Pfarrhäuser oder Gemeindezentren aus den 60er und 70er Jahren, deren Renovierungen mit hohen Kosten verbunden sind und die deshalb vermehrt in die Kirchenräume integriert werden sollen. Für dieses Zusammenrücken würden sich vor allem die Nachkriegskirchen eignen, bei denen sich m gliche Anbauten besser umsetzen lassen.
An eine Fremdnutzung und Profanierung der Gotteshäuser gehe es erst ganz am Schluss, sagt Linus Becherer. Ein Abriss sei die „ultima ratio“, die letzte denkbare Möglichkeit. Und auch bei einer Vermietung oder einem Verkauf von Kirchenimmobilien an einen neuen Eigentümer, hat die Erzdiözese, die dabei beratend und begleitend tätig ist, immer das Interesse, zu wissen, was für eine Perspektive der neue Eigentümer hat. So wolle man sichergehen, dass die „Kirche im Dorf bleibt“, sagt Becherer. Aus Kirchen Spielcasinos, Discotheken oder gar Bordelle zu machen, niemals.
Eine Prioritätenliste bei der Kirchenumnutzung gäbe es nicht: „Wir warten ab und sind noch zurückhaltend.” Es gelte der Grundsatz der Subsidiarität – der Eigenverantwortung der jeweiligen Kirchengemeinde. „Die finanziellen Rahmenbedingungen und der tatsächliche Bedarf sind wichtige Leitplanken für die künftige Immobilienentwicklung und geben damit das Tempo vor.“
Noch ist die St. Elisabethkirche in Zähringen das einzige Umnutzungsbeispiel in der Region. Deutschlandweit kommen solche Zweckentfremdungen aber immer häufiger vor: In Mönchengladbach wurde aus der katholischen Pfarrkirche St. Peter eine Kletterhalle mit bis zu 13 Meter hohen Kraxelwänden. Die Gemeinde vermietet das Gebäude an den neuen Pächter.
Ebenfalls vermietet ist die ehemalige Martinikirche in Bielefeld. Martini gibt‘s dort inzwischen in Gläsern, seit 2005 ist dort das Restaurant „Glückseligkeit“ samt Biergarten und Bar eingezogen. In Aachen wurde eine ganze Klosteranlage samt dazugehöriger Kirche an die Schleiff Denkmalentwicklung GmbH verkauft, die daraus einen modernen Workspace gestaltete.
Aber es muss nicht immer ein neuer Nutzen sein, der die Kirche vor einem Abriss bewahrt. Manchmal reicht auch eine Umgestaltung, um dem Gotteshausneues Leben einzuhauchen. Das beweist in der Region die Kirche „Mariahilfe der Christen“ in Goldscheuer im Ortenaukreis. Der Erhalt der 1963 erbauten Kirche stand knapp 50 Jahre später aufgrund hoher Renovierungskosten auf der Kippe. Erst eine Kunstidee, der Einsatz der Gemeinde und die finanzielle Unterstützung der Erzdiözese retteten das Gebäude. Der Offenburger Künstler Stefan Strumbel hinterließ seine Handschrift, die die Kirche in einen Hauch von Neon-Heimat taucht und inzwischen Reisebusse aus aller Welt anlockt.
Die Pop-Art kitschige Umgestaltung spricht außerdem junge Gläubige an und sorgt für einen Generationenmix auf den Kirchenbänken. „Allein durch die Tatsache, dass die Kirche künstlerisch umgestaltet wurde und sich anders präsentiert, werden auch die Gottesdienste anders wahrgenommen. Es ist eine andere Atmosphäre, wie man sie bisher nicht erlebt hatte“, sagt auch Linus Becherer von der Erzdiözese Freiburg. Eine optische Reformation und Verjüngung, die der Kirche guttut.
Die Atmosphäre im einst verwaisten Glockenturm in Zähringen ist ebenfalls eine andere, seit Buron de Preser ihr „Herzensprojekt“ umgesetzt hat. Nachdem 2018 die Baugenehmigung erteilt worden war, und die Bauherrin mit ihrem Gesamtkonzept alle Beteiligten der Baubehörden und auch die Denkmalschützer überzeugen konnte, erwarb sie den heruntergekommenen Turm von der Gisinger Gruppe. Buron de Preser ließ Licht hinein und schippte alten Dreck raus. Durch die kalten Mauern wurden Heizungsrohre verlegt und der brachiale Betonbau mit Holz- und Designelementen zur Gemütlichkeit gezähmt.
Auf fünf Ebenen erstrecken sich jetzt vom Erdgeschoss, als Kochkunst-Entree, vier Himmels-Suiten, die auf Zeit gemietet werden können (www.derturmfreiburg.de). Gleichzeitig ist der Turm ein Conceptstore, in dem beinahe alles gekauft werden kann. „Die Besucher sollen sich wohl fühlen, sich eine Auszeit gönnen, aber der Turm soll auch ein Platz werden, an dem man zusammenkommt und in Dialog tritt“, wünscht sich die Turmherrin.
Am ersten Advents-Wochenende 2021 war das Pre-Opening. Schon jetzt ist Ingrid Buron de Presers Turmprojekt ein Vorzeigeobjekt und wurde als gelistetes Kulturdenkmal sogar in die Reihe „Erforschen und erhalten“, den Jahresbericht der Bau- und Kunstdenkmalpflege, aufgenommen.