Sie sind Jahrtausende alt, werden seit Jahrhunderten zerstört, und seit Jahrzehnten teilweise renaturiert. Jetzt geraten die Ökosysteme zunehmend in den Blick einer breiten Öffentlichkeit. Eine kurze Geschichte der Moore.
VON KATHRIN ERMERT
Besonders gern führt Heinz-Michael Peter den Stangentrick vor. Eine Teilnehmerin seiner Erlebniswanderung auf dem Sieben-Moore-Weg im Hotzenwald darf einen zweieinhalb Meter langen Stab in den Boden schieben, um festzustellen, wie einfach das geht. „Wahrscheinlich hätten Sie auch eine Zehn-Meter-Stange versenkt“, sagt der Gewässerbiologe, Natur- und Gästeführer. Er demonstriert so, dass der Torfboden von Mooren weit über zehn Meter tief sein kann. Seit etwa drei Jahrzehnten bietet Peter Moorwanderungen an, „um ein Bewusstsein zu schaffen für deren Schutz“. Anfangs sei das Interesse an seiner mehrstündigen Tour größer gewesen, heute wollten die Leute nicht mehr so lange wandern. Immerhin: Die Aufmerksamkeit für Moore steige nun wieder im Zusammenhang mit Kohlendioxid.
„Die Aktualität liegt am gewachsenen Bewusstsein für Klimaschutz“, sagt Friederike Tribukait. Die Biologin arbeitet in der Umweltabteilung des Regierungspräsidiums Freiburg und setzt dort gesetzliche Vorgaben zum Moorschutz um. Zum Beispiel das 2014 gestartete Aktionsprogramm Klimaschutz des Bundes. Zudem hat das Bundesamt für Naturschutz 2019 eine Moorschutzstrategie erarbeitet, die das Bundesumweltministerium 2021 übernommen hat. Auch die Moorschutzkonzeption des Landes werde aktuell fortgeschrieben, sagt Tribukait: „Sie schafft die Grundlage für die dauerhafte Sicherung der noch vorhandenen, naturnahen Moore sowie für eine Regeneration beeinträchtigter Moore.“
„Mehr als 95 Prozent der Moore in Deutschland sind in irgendeiner Weise antropogen überprägt, also vom Menschen beeinflusst.“
Sebastian Pochert. Moorschutzkoordinator der Landesanstalt für Umwelt
Warum so viel Aufhebens um ein bisschen Sumpf? Es sind doch nur etwa ein Prozent der Fläche Baden-Württembergs Feuchtgebiete. Genau darin liegt aber ihre Bedeutung: Obwohl Moore lediglich drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, speichern sie doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder weltweit. Vor allem wesentlich länger: Ein Baum fällt irgendwann um, wird zersetzt und gibt das CO2, das er gebunden hatte, wieder frei. Die Moore dagegen verwahren Kohlendioxid und andere Schadstoffe für Jahrtausende. Wenn man sie lässt.
Überbleibsel der Eiszeit
„Mehr als 95 Prozent der Moore in Deutschland sind in irgendeiner Weise antropogen überprägt, also vom Menschen beeinflusst“, sagt Sebastian Pochert. Er ist Moorschutzkoordinator bei der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Karlsruhe und hat sich schon während seines Umweltbiologiestudiums für Moore begeistert: „Es sind extrem viel-seitige Systeme, von großer Bedeutung auch als Lebensraum für Tiere und Pflanzen.“ Die biologischen und geologischen Besonderheiten sowie die verschiedenen Arten von Mooren füllen wissenschaftliche Bände. Ganz grob lassen sie sich in Hoch- und Niedermoore unterscheiden. Bei Hochmooren kommt das Wasser, vereinfacht gesagt, von oben, bei Niedermooren von unten, im Schwarzwald beispielsweise als Überbleibsel der Eiszeit.
Baden-Württemberg hat einen verhältnismäßig kleinen Anteil an Moorfläche, aber einige bedeutende Moore wie den Federsee und das Wurzacher Ried in Oberschwaben oder den Wildsee bei Kaltenbronn im Nordschwarzwald. Im Südschwarzwald gibt es sehr viele sehr kleine Moore. Die größten zum Freiburger Regierungsbezirk gehörigen sind das Weitenried (Landkreis Konstanz), das Schwenninger Moos und das Hinterzartener Moor. Fast alle Schwarzwälder Moore seien Naturschutzgebiete, sagt Friederike Tribukait. Landesweit steht laut Pochert etwa die Hälfte der Moore unter Naturschutz, der Rest wird land- oder forst-wirtschaftlich genutzt.
In der Region wie wohl überall hat der Mensch ein eigentümliches Verhältnis zum Moor. Es gruselt ihn vor Nebel und Moorleichen, er wollte es bezwingen und will es nun wieder schützen. Immer spielt dabei Wasser die zentrale Rolle. Weil der Moorboden auf Wasser schwimmt, kann er einen quasi verschlingen. Um Moor-flächen zu nutzen, haben Menschen früh schon Entwässerungsgräben angelegt. Im 18. Jahrhundert hat die Trockenlegung von Mooren mit der Entwicklung der Ingenieursleistung richtig Fahrt aufgenommen, berichtet Pochert. Mitunter entstanden ganze Städte in einstigen Feuchtgebieten.
“Wertvoller Moorboden sollte keinesfalls in der Blumenerde landen.”
Heinz-Michael Peter, Natur- und Gästeführer
Wenn Moore austrocknen, bekommen die in ihnen gelagerten Mikroorganismen wieder Luft, werden reaktiviert und setzen große Mengen CO2 frei. Deshalb ist die Wiederherstellung eines wassergesättigten Torfkörpers so bedeutend für den Klimaschutz. Moore erhalten bedeutet vor allem: sie bewässern. „Das Hinterzartener Moor wird beispielsweise seit 2008 kontinuierlich vernässt“, sagt RP-Biologin Tribukait. Im Oberen Hotzenwald werden in sechs kleineren Mooren regelmäßig die Wasserstände im Torf gemessen, um die Wirkung der Wiedervernässung zu prüfen. Die Renaturierung des Ibacher Forenmoos ist eines von drei Pilotprojekten der LUBW.
Komplexes Geflecht von Interessen
Doch das ist nur die eine Seite, die des Umweltklimaschutzes. Auf der anderen Seite stehen Land- und Forstwirte. Viele Moore gehören Privatleuten, die die Böden bewirtschaften. Wenn die wieder nass sein sollen, erschwert das die Arbeit erheblich. Deshalb hatte man sie ja schließlich trockengelegt. „Das ist ein extrem komplexes Geflecht von Interessenslagen“, sagt Moorschützer Pochert. Er ist sich des Konfliktpotenzials sowie der Sorgen bewusst und setzt deshalb auf Kooperation. Gerade bei den drei entscheidenden Themen in Sachen Moorschutz – Wasserverfügbarkeit, Nährstoffeinträge und Flächenverfügbarkeit – versucht er, mit den Besitzern ins Gespräch zu kommen. „Man muss alle mitnehmen und zusammen Lösungen entwickeln“, sagt Pochert. Es gebe unterschiedliche Arten der Nutzung von Moorböden.
Um Moore kennenzulernen, ist die Jahresmitte übrigens die beste Zeit, sagt der Hotzenwälder Gäste- und Naturführer Peter. Denn jetzt blühen seltene Pflanzen wie der weißblütige Siebenstern. Peter führt nicht nur Gäste im Auftrag des Bunds für Naturschutz oder des Tourismusverbands durchs Moor, sondern auch regelmäßig Gärtnerklassen von der Berufsschule. Die will er speziell für das Thema Torf sensibilisieren – damit der wertvolle Moorboden keinesfalls in der Blumenerde landet.