Kaum ein Begriff wird inflationärer benutzt als Nachhaltigkeit. Gerne wird Nachhaltigkeit als Marketingfloskel missbraucht, weil man darunter einfach sehr viel einordnen kann.
VON KLAUS WEHRLE
Was in der Baubranche als nachhaltig verkauft wird, konterkariert sogar oft den eigentlichen Wortsinn. Übrigens: Nachhaltigkeit ist keine Erfindung unserer Zeit, die gibt es schon so lange Menschen auf diesem Planeten ihre Lebensumstände gestalten. Die Kernaussage ist: Maß halten! So hat es dann auch die Forstwirtschaft vor rund 300 Jahren zum ersten Mal in der Neuzeit interpretiert. Für die bedeutete Nachhaltigkeit nicht mehr Bäume im Wald zu fällen, als dort nachwuchsen.
Es geht also bei Nachhaltigkeit immer um den sparsamen und sinnvollen Einsatz von Mitteln. Deswegen hat der Begriff auch eine wichtige volkswirtschaftliche Bedeutung. Blickt man in der Baugeschichte zurück, so muss man beeindruckt feststellen, dass viele Häuser vergangener Epochen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten erstellt wurden, obwohl es dafür kein übergeordnetes, theoretisches Gedankengebäude gegeben hat. Vielmehr hat man einfach das gebaut, was sinnvoll war.
In einer globalisierten Welt, in der alles im Überfluss zur Verfügung steht, ist das gar nicht so einfach. Die Verwendung regionaler Bauprodukte und Unternehmen war damals keine bewusste Entscheidung zu Gunsten der Umwelt, sondern eine Voraussetzung, die nur mit horrenden finanziellen Mehrbelastungen geändert werden konnte. Heute fehlt oft das finanzielle Regulativ, vor allem bei öffentlichen Bauaufgaben.
Geld steht hier offensichtlich in verschwenderischer Menge zur Verfügung. Im Grunde ist es gut, wenn die durch Steuergelder finanzierten Projekte Innovation fordern und fördern. Dass man bisweilen bei bizarren Gebäudeentwürfen versucht, die Schwerkraft außer Kraft zu setzen, um mit abenteuerlichsten Konstruktionen Vorhaben zu realisieren, die jeden finanziellen Rahmen sprengen, erschließt sich nur dem freien Geist, der nicht wirtschaftlich dafür aufkommen muss. Zusätzlich sind bei solchen Bauten die Wartungskosten immens hoch.
Um es klar zu sagen: Es gibt Unternehmen, die sich solche Gebäude aus Repräsentationsüberlegungen ganz bewusst leisten, dann ist das natürlich deren Sache. Es gibt augenscheinlich Branchen, in denen dafür genügend finanzielle Mittel vorhanden sind. Ob das bei öffentlichen Bauprojekten angemessen ist, die ausschließlich über unsere Steuergelder finanziert werden, möchte ich hier allerdings deutlich in Frage stellen.
Wie baut man heute nun nachhaltig?
Die schönste und einfachste Art ist für mich die Reduktion auf das Wesentliche, auf das Einfache, natürlich immer mit Regionalbezug. Dabei dürfen dann gerne auch Wände und Stützen übereinanderstehen. Man muss auch nicht immer größer, höher, „schräger“ oder „verdrehter“ bauen. Als Primärbaustoff ist Holz eindeutig mein Favorit, wenn es um das nachhaltige Bauen geht. Kombiniert mit einfachen Systemen in der Gebäudetechnik wird dann ein gutes Planungskonzept daraus.
Und nur so viel Technik wie unbedingt nötig: Denn Low-Tech ist High-Tech! Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit lassen sich heute nicht nur Planungen gut verkaufen, man kann damit auch mit Beratung viel Geld verdienen. Diese Beratungsgesellschaften generieren damit quasi „nachhaltig“ den eigenen finanziellen Erfolg durch die Zertifizierung nachhaltiger Bauprojekte, um es zynisch zu umschreiben. Keine schlechte Geschäftsidee.
Leider haben solche Zertifizierer im Themenbereich der Baukosten nur bedingt bis gar keine Ahnung, was deren Eignung vom Grunde her schon in Frage stellt, denn wer will über Nachhaltigkeit professionell beraten, wenn er über die wirtschaftlichen Auswirkungen keine seriöse Aussage treffen kann? Es besteht die Gefahr, dass das Fachwissen zum Bauen damit weiter fragmentiert wird. Hier sind wir Architekten als Generalisten gefragt. Unsere umfassende Kompetenz können wir nur damit unterstreichen, indem wir schöne, flexible, dauerhafte, ökologisch orientierte und wirtschaftlich optimierte Gebäude erstellen.
Klaus Wehrle, ist Architekt in Gutach und hat mehrfach in Fachzeitschriften publiziert. Sein Schwerpunkt ist das kostenoptimierte und nachhaltige Bauen. Wehrle war 12 Jahre Mitglied im Landesvorstand der Architektenkammer Baden-Württemberg und Vorsitzender der Strategiegruppe Klima-Energie-Nachhaltigkeit.