Nicht Schönreden – Umdenken ist gefordert!
VON UDO MÖBES
Es war eine Umstellung, als wir vor fünf Jahren von der Freiburger Innenstadt nach Saig auf 1.020m in den Hochschwarzwald gezogen sind, um dort unser Seminarhaus Saiger Lounge zu eröffnen. Die Schneefräse hatte von Anfang an einen festen Platz im Inventar. Es gab in den ersten Wintern auch einiges auf die Seite zu schieben. Wobei die Einheimischen uns schon immer berichteten, dass das nichts im Vergleich zu früher sei.
2006 lag die Schneehöhe bei 2,30 Meter auf dem Feldberg. Auf dem Saiger Sportplatz lugte anscheinend von den Toren nur noch die Latte hervor. Zum Leben im Hochschwarzwald gehört auch, dass man in Freiburg aus dem Auto steigt und meistens viel zu warm angezogen ist. So sind „die Wälder“ in der Innenstadt als solche gut erkennbar. Und bei Gesprächen wird man zwischen November und März fast immer gefragt, ob man denn oben Schnee habe?
Den Kopf in den Schnee stecken?
Der Trend nach unten nimmt seinen Lauf. Da sollten uns Ausreißer nach oben (im letzten Jahr) wie nach unten (dieses Jahr) nicht täuschen. Aber dass es jemals so mild wie in diesem Winter war, kann sich nun wirklich kein Saiger erinnern. Wenn 80-Jährige das sagen, dann hat das schon Substanz. Aber warum orakeln, wenn es auch wissenschaftliche Aussagen gibt? Studien für den Alpenraum prognostizieren, dass man in 30 Jahren spätestens bis Ende des Jahrhunderts unterhalb 1.200 Metern nicht mehr mit Naturschnee rechnen kann.
Überträgt man diese Prognosen auf den Schwarzwald, dann sind das unerfreuliche Perspektiven für alle Skiliftbetreiber, Betriebe und Erwerbstätigen im Schwarzwald, die vom Ski- Betrieb abhängig sind. Der Ski-Zirkus wird sich langfristig vermutlich rund um den Feldberg konzentrieren. Das wird auch weiterhin nur mit Kunstschnee gehen. Welche verkehrstechnischen Herausforderungen mit dieser Ballung verbunden sind, ließ sich in diesem Winter schon mehrfach erleben.
Schnee hat für viele und speziell Wintersportler eine besondere Anziehungskraft. Und diese wird in Zukunft vermutlich noch grösser werden. Nur was hilft’s, wenn er nun im Schwarzwald Mangelware wird? Und der geplante Skiurlaub zum Glückspiel wird. Im Übrigen auch ein riskantes Spiel für Hotellerie und Ferienwohnungen, wenn kurzfristig die Stornos eintrudeln. Wer unbedingt Skifahren möchte, wird sich mit der zunehmenden Unsicherheit vermutlich höher gelegene Regionen aussuchen.
Spätestens, wenn er mit einer Skibox angereist ist und sich in der Schlange vorm Badeparadies Titisee wiederfindet. Bei der Vermarktung der Region hat man aber meiner Meinung nach längst die Zeichen der Zeit erkannt. Die HTG (Hochschwarzwald Tourismus GmbH, ein Zusammenschluss von 16 Gemeinden im Hochschwarzwald) arbeitet seit Jahren daran, neue Zielgruppen für den Schwarzwald zu erschließen – mit gutem Erfolg: vier Millionen Übernachtungen pro Jahr mit jährlich wachsenden Zahlen.
Der Hochschwarzwald hat das angestaubte Image hinter sich gelassen. Die Touristen kommen längst nicht mehr nur mit Kniebundhosen und weiß-rot karierten Hemden. Es kommen immer mehr junge Familien, Pärchen und Freizeitsportler in den Hochschwarzwald. Meistens schwärmen diese in den höchsten Tönen von der Region.
Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen?
Die Berge. Die Seen. Die Täler. Der Wald rangiert bei den Gästen wirklich auf dem ersten Platz. Er hat zusätzlich durch das „Waldbaden“ noch Aufwind bekommen. Die bestens ausgestatteten Wanderwege, die mehrere hundert Kilometer erschließen. Ein Eldorado für Moutainbiker, die spätestens seit dem E-Bike in breiter Masse und allen Altersklassen unterwegs sind. Ein breites Angebot an Gastronomie, welches vom Gutbürgerlichen bis hin zum Feinschmecker geht.
Die vielen Hotels und Pensionen. Nicht zu vergessen: Die Ferienwohnungen bei Einheimischen, die die Gäste liebevoll empfangen und umsorgen. Indoor-Angebote (wie z.B. das erweiterte Badeparadies Titisee, Fundorena Feldberg), aber auch Outdoor-Aktivitäten wie Kletterparks & Sommerrodelbahnen und Tierparks (z.B. neue Tatzmania Löffingen). Zum Flanieren gibt es viele kleine Städte. Am Fuße des Schwarzwaldes wartet mit Freiburgs Innenstadt und Wochenmarkt ein weiteres Highlight.
Und für manche Touristen gehört auch noch ein Abstecher in den Europapark zum Urlaub. Bei der wachsenden Flugscham in Deutschland und den angrenzenden Ländern dürfte der Schwarzwald als Naherholungsgebiet immer attraktiver werden. Und im letzten Sommer, bei dem in den Niederungen überall der Rasen verbrannt war, erfreuten sich die Gäste auf der Höhe an dem Grün.
Nicht aussichtslos, aber es bleibt knifflig.
Um dieses Ganzjahres-Potenzial kann man uns nur beneiden. Sollten wir uns daher nicht von dem schwächelnden Winter unabhängiger machen? Und die Zitterpartie zum Jahresende klein halten? Ich beneide die Entscheider nicht, die über Investitionen am Feldberg diskutieren. Vor ein paar Jahren haben wir uns noch als Wiege des Skifahrens positioniert. Und einen Schwarzwald ohne Schnee kann man sich genauso wenig vorstellen wie einen SC Freiburg ohne Christian Streich. Aber es ist ja klar, dass es irgendwann mal so kommen wird. Es geht nicht darum etwas zu überstürzen. Sondern vielmehr mit ruhiger Hand einen Prozess des Umdenkens und des langfristigen Umpositionierens zu starten.
Udo Möbes
ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Normal begleitet er Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle seine Erfahrungen als Exil-Schwarzwälder weiter.