Im Juni letzten Jahres sollte eigentlich alles überstanden sein. Wie konnten wir das nur glauben?
Ok, die Sommermonate waren vergleichsweise unbeschwert, im Gegensatz zu dem, was danach kam. Eine monatelange Hängepartie mit einem unklaren Ausgang – und dieser Zustand hält bis heute an! Selbst als mit Impfstoffen das Unmögliche möglich gemacht wurde, war die Freude nur von kurzer Dauer. Die Zulassung, die limitierte Verfügbarkeit und die immer drohenden Mutanten halten die Bedrohung aufrecht.
Die einen von uns strampeln und kommen gefühlt nicht vom Fleck. Die anderen versuchen es nicht einmal und halten einfach die Füße hoch. Im medialen Auf und Ab der letzten 12 Monate sind wir inzwischen gut trainiert. Wir haben gelernt, dass auf eine gute Nachricht meistens eine schlechte nicht lange auf sich warten lässt! Und diese bleibt selten alleine. Wer auf dieser Achterbahn ein paar Runden gedreht hat, hat sich dann aus Selbstschutz einen gesunden Zweifel zugelegt.
Immerhin bewahrt er uns davor, dass wir immer wieder enttäuscht werden. Im Selbstversuch konnte jeder an sich beobachten, was Rudger Bregman in seinem Buch „im Grunde gut“ beschreibt: Unser urmenschlicher Angstinstinkt inhaliert regelrecht die schlechten Nachrichten. Und der Fundus scheint grenzenlos zu sein. Instinktiv haben einige von uns sich daher schon Stück für Stück davon abgeschottet. Aber: Wir ertragen die Situation weiterhin – manche mit Geduld, manche mit Frust, manche mit Netflix.
Auf Sicht und ohne Zuversicht
Ok, im Aushalten sind wir gut? Aber wäre es nicht auch cool zu wissen, wie lange das noch geht? Würde man nicht inzwischen sogar großzügig sechs Monate draufpacken, wenn man wüsste, dass es dafür im Gegenzug alles wieder wie vorher ist? Deal oder no Deal? Aus den meisten Gesprächen geht hervor, dass genau diese fehlende Zuversicht auf Besserung sowohl Unternehmen als auch die Menschen am meisten stresst.
Vermutlich auch, dass nicht nur der Termin wackelt, sondern auch eine Unsicherheit mitschwingt, wie normal dieser Zustand überhaupt noch einmal werden wird?
Es bleibt der Glaube
Erfolgreiche Unternehmen haben früher gerne in Langfriststrategien gedacht. Es war nicht unüblich in fünf- oder zehn-Jahres-Schritten zu planen. Schon vor Corona zeichnete sich bereits ab, dass solche Zeiträume immer weniger aussagefähig sind. Aufgrund der Komplexität und Dynamik der Märkte fühlte sich niemand mehr in der Lage, die Entwicklungen in diesen Zeiträumen vorherzusehen.
Aber wer hätte gedacht, dass sechs Monate oder nur drei Monate nun auch noch mit großen Fragezeichen versehen sind? Für Branchen, die direkt von Corona betroffen sind, sind das extreme Herausforderungen. Und man kann vor jedem, der nicht hinwirft, nur den Hut ziehen. Konnten früher Unternehmen immer auf Erfahrungen referenzieren, gibt es zu den aktuellen Szenerien schlichtweg keine. Es bleibt nur der Glaube an bessere Zeiten und der Glaube an das eigene Produkt! Und eine Überdosis Mut.
Endlich wieder Gummi auf die Straße
In einer ruhigen Minute – und davon gibt es im Moment ja noch viele – kann sich jeder schon einmal fragen, wie wohl die Zeit „nach“ Corona ausschauen könnte. Angenommen wir hätten im Herbst wirklich das Gröbste überstanden und könnten uns mit Masken, Impfung, Schnelltest und Apps so bewegen wie vorher. Ist dann immer noch die Eile mit Weile angesagt? Nach der erzwungenen Entschleunigung wird sicherlich das Gros von uns genau dort wieder weiter machen, wo uns Corona herausgerissen hat.
Der gefühlte, aber auch faktische Verzicht war schließlich lange genug! Es wird sicherlich so schnell wie möglich nachgeholt, was in den zurückliegenden 12 bis 18 Monaten ausgelassen wurde. Das gilt für das gesellschaftliche Miteinander, den Tourismus und das Konsumieren im Allgemeinen. Günstigste Flüge werden uns noch weiter als vorher in das europäische Ausland katapultieren.
Und eine aufblühende Wirtschaft wird uns beflügeln und uns wieder etwas Unbeschwertheit zurückbringen. Wow – das wird uns gut tun! Mahnende Zeigefinger und mein Geschwätz von gestern werden daran erst einmal nichts ändern.
Die Geister, die ich rief…
Interessant wird sein, welche Auswirkungen das auf die Arbeitswelt haben wird? Vielleicht wird der eine oder andere dann doch einen Gang herausnehmen und auf 80 Prozent reduzieren wollen? Auf zwei Tage Homeoffice pro Woche nicht mehr verzichten wollen? Für drei Stunden Meeting nicht mehr in den Flieger sitzen wollen, sondern das per Video-Konferenz erledigen? Und die Unternehmen werden vermutlich nicht mehr halb-leere Büroflächen für Büropflanzen vorhalten und heizen wollen? Die Zeit wird es zeigen.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching- Themen an unsere Leser weiter.