Für viele ist das Arbeiten zuhause zum neuen Standard geworden. Und wie vorher beim Bürofrust, hört man jetzt immer öfter den Home-Office-Blues.
VON UDO MÖBES
Im Moment schaut es ja nicht danach aus, als ob man kurzfristig wieder ins Büro ausweichen kann. Die Parole: Durchhalten. Wer noch das WLAN mit der Familie teilen muß, nennt es vielleicht auch Aushalten!
Daher stellt sich inzwischen auch die Frage, wie man die Arbeit zuhause abwechslungsreicher machen kann. Spätestens nach dem vierten Teams-Meeting kommt die Ermüdung. Warum dann nicht etwas Energie von dem Frühling anzapfen, der sich gerade vor unserer Haustüre entfaltet?
Reif für einen Kontextwechsel?
Klassische Wissensarbeiter kennen das vielleicht: Es geht darum, ein umfangreiches Dokument (Analyse, Konzept, Angebot, Stellungnahme) zu erstellen. Am Anfang sprudeln die Gedanken. Mit der Zeit wird es langsamer und dann zäh. Und irgendwann liegt man mit seinem Segelboot da auf der spiegelglatten Wasserfläche mit Flaute.
Viel wirkungsvoller kann es sein, die Aufgabe zu unterbrechen und einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Man steckt da in der Zwickmühle, weil man glaubt, keine Zeit für eine Pause zu haben. Aber schon 30 Minuten Spaziergang haben den Turbo-Effekt, der einen wieder durch die zweite Tageshälfte segeln lässt. Die Zeit holt man allemal rein, wenn es danach rauscht.
Täglich grüßt das Murmeltier – jetzt mit Video
In manchen Firmen hat sich das Format Video-Konferenz fast schon verselbständigt. Fast jedes Gespräch und jeder Termin ist automatisch eine Video-Schalte. Aber warum? Vor Corona hat man mit dem Kollegen in München ja auch normal telefoniert. Und mal ganz ehrlich, ist nach ein paar Monaten der anfängliche Voyeurismus befriedigt?
Das Bücherregal, das seltsame Bild oder die eingeblendeten Standard-Hintergründe sind nun auch nicht mehr „der Burner“. Kann ich dieses Gespräch nicht genauso gut mit einem Spaziergang im Wald, über die Wiese oder durch die Reben verbinden? Vielleicht einfach mal die regelmäßigen Termine checken: Welchen kann ich ohne Rechner und Bewegtbild, aber mit einem Spaziergang oder ein paar Schritten verbinden?
Die richtige Balance finden
Ist so ein Spaziergang dann Arbeit oder Freizeit? Wie so oft liegt es vermutlich daran, wie oft und wie intensiv man nun die Möglichkeiten nutzt. Ist der Kollege gefühlt gar nicht mehr „drinnen“ und die Zusammenarbeit wird erschwert, dann ist der Bogen sicherlich überspannt worden. Selbstständige haben hier den Vorteil, dass sie auch diesbezüglich in der Ausgestaltung komplett frei sind.
Wer in einem Unternehmen angestellt ist, wo die Arbeitszeit erfasst wird, der sollte zur Sicherheit die Schleife über Personalabteilung oder Vorgesetzten drehen. Und würde man sich zum Beispiel beim Spaziergang mit Langzeitfolgen verletzen, sollte ja die Berufsgenossenschaft (Arbeitsunfall) einspringen. Lieber vorher klären als im Nachhinein in Erklärungsnot zu kommen. Bei allem was man tut, sollte man beachten, dass der Arbeitscharakter weiterhin klar im Vordergrund steht. Dieser darf nicht beeinträchtigt werden!
Das gilt für den Geräuschpegel, die eigene Aufnahmefähigkeit, die Häufigkeit (ist der Kollege nur noch im Wald?) und die Dauer (zum Beispiel bei Halbtags-Touren). Es empfiehlt sich auch den Evangelisierungs-Ball bei den Kollegen flach zu halten und nicht nur noch darüber zu sprechen, wie toll es ist, auf diese Weise zu arbeiten. Zielzustand ist, es zu einer normalen Option oder Gewohnheit werden zu lassen. So wie man vielleicht beim Arbeiten überlegt, schreibe ich jemand eine Mail oder rufe ich ihn an. Eine Erweiterung des Repertoires.
Geh-Spräche für Fortgeschrittene…
Zweier- und auch Dreier-Gespräche gehen eigentlich sehr gut im Grünen. Ob man dabei langsam spaziert oder sich auch mal auf eine Bank setzt, sind dann schon Details.: es ist mehr möglich, als man denkt. Fragestellungen könnten sein: Synchronisation der letzten Woche, Zwischenstände zu Projekten, Themen der Zusammenarbeit oder auch Entwicklungsgespräche.
Natürlich ist Voraussetzung, dass die Beteiligten mit dieser Form einverstanden sind und die betrieblichen Bedingungen es bezüglich Corona zulassen. Eine Erfahrung ist, dass die Gespräche meistens unbeschwert sind und man danach überrascht ist, dass das auch geht. Es hilft auch da der Kontextwechsel. Draußen ist halt nicht ein Ort, der emotional entsprechend besetzt ist oder an dem vielleicht die Themen entstanden sind, über die man sprechen möchte.
Man sitzt sich eben nicht gegenüber und nimmt automatisch eine Gegen-Position ein. Sondern man läuft in die gleiche Richtung und das gleich schon ab dem ersten Schritt. Man registriert nicht die ganze Zeit bewusst und unbewusst, was beim Gegenüber im Gesicht passiert oder nicht. Geh-Spräche kommen Schritt für Schritt von alleine in Gang.
Oft gibt es die Sorge, dass man nicht alles dokumentieren kann und etwas verloren geht. Aber die langjährige Erfahrung zeigt, dass man das Wesentliche nie vergisst. Und das macht es gerade so einfach! Vielleicht gibt es einen Zusammenhang, dass man so wieder einfacher und natürlicher miteinander in Kontakt kommen kann? Eigentlich egal, es funktioniert! Daher: Einfach einmal ausprobieren.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching- Themen an unsere Leser weiter.