Warum ein Lockdown light zur schweren Kost wird.
Im Frühjahr haben wir alle erlebt, wie uns ein langer Lockdown mit Home-Schooling und Home-Office für mehrere Monate in Beschlag genommen hat. Ende März ging es los, wir haben zuerst auf Mitte April gehofft, dann sportlich den Mai abgehakt und uns im Juni daran erfreut, wieder Fortschritte machen zu können.
Vielleicht waren wir damals ahnungslos, was auf uns zukommt? Vielleicht haben uns Bilder aus Norditalien, dem Elsass und später New York kleinlaut und zurecht demütig gemacht. Waren wir insgeheim froh, dass dieser Kelch an uns vorüber gegangen ist?
Nun ist der Lockdown light vergleichsweise dazu ein kleines Ding, aber dennoch hat man den Eindruck, dass er uns fast mehr zusetzt als das Frühjahr? Warum ist das so?
Lost of control
Der Philosoph Hartmut Rosa, hatte es im August bei einem Vortrag in seinem Heimatort Grafenhausen heraus geschält: Unsere Errungenschaften der letzten 200 Jahre waren, dass wir a) wissenschaftlich fast alles entschlüsselt haben b) alles technisch verfügbar gemacht haben, c) fast alles wirtschaftlich erschwinglich wurde und wir d) eigentlich alles im Griff haben. Ein plakatives Beispiel aus dem Tourismus: Die Nordmeer-Kreuzfahrt mit Polarlichtgarantie.
Plötzlich wird unser Leben von einem unsichtbaren „Corona“ dominiert. So ziemlich alles wurde von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Diese schlagartige „Unverfügbarkeit“ (so auch der Titel von Rosas neuestem Buch) hat uns eiskalt erwischt. Statt des Nordmeers blieben uns erst einmal die eigenen vier Wände. Statt Eisschollen das heimische Schaumbad. Und wir mussten lernen, von Woche zu Woche zu denken, wo bisher der Urlaub im nächsten Jahr schon gebucht war.
Was für eine Vollbremsung! Ist es da nicht klar, dass die Sehnsucht immer grösser wird, den alten Zustand wieder zurück zu bekommen? Und wenn ich die Wahl hätte: Bitte, so schnell als möglich! Nur: Wir haben diese Wahl nicht. Und auch nicht die Macht, das zu ändern. Mit dem Lockdown light wird nun all das wieder sichtbar, was vielleicht der eine oder andere von uns verdrängt hat.
Gesundes Misstrauen
Zu Beginn von Corona wurde man bei kritischen Rückfragen umgehend als Leugner stigmatisiert und am besten gleich noch in einen Topf mit Aluhutträgern, Querdenkern und marschierenden Reichsbürgern gesteckt. Inzwischen hat man den Eindruck, dass es zum guten Bildungsbürger gehört, sich durchaus auch kritisch zu geben und nicht alles per se gut finden zu müssen.
Das ist nicht nur generell für einen gesellschaftlichen Diskurs wichtig, sondern auch für jeden einzelnen von uns gesünder. Besser den Zweifel und die Sorgen rauslassen, als diese herunterzuschlucken! Das ist ein wichtiger Bestandteil jedes Veränderungsprozesses. Umso mehr, wenn es unklar ist, was am Ende dabei herauskommt. Mit der richtigen Diskussionskultur kann so auch das gegenseitige Verständnis wachsen. Und es bringt uns wieder einen Hauch von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit zurück.
Ist es nicht spannend, wie unterschiedlich wir nun auch wieder mit dem Lockdown light umgehen? Für die Pragmatschen sind es nur vier Wochen und schnell abgehakt. Für andere fühlt sich nicht nur der November, sondern auch gleich der Dezember wie ein Brückentag zum Jahresende an. Andere versetzt es in Angst und Schrecken, wie einerseits diese vier Wochen und die Zeit danach überstanden werden sollen. Je nach Persönlichkeit, Umfeld und Beschäftigungssituation unterscheidet sich der Umgang daher sehr stark. Und es ist eine gute Übung, sich mal in die Situation des Gegenübers wirklich hineinzuversetzen.
Kann Wirtschaft von Politik lernen?
Machen Sie einen kleinen Selbst-Test: Beamen Sie sich zurück. Wie hätten Sie die Politik in Deutschland vor einem Jahr beschrieben? Vielleicht so: Es dauert alles zu lang, zu kleine Schritte, weichgespülte Kompromisse, es fehlt an Profil, es möchte niemand anecken, fehlender Mut? Inzwischen diskutieren wir doch eher über vorschnelle Entscheidungen und zu harte Regelungen? Klar, kein Sinneswandel aus tiefer Überzeugung, sondern das wurde aus der Not geboren. Es geht auch nicht darum, das als besser einzustufen. Aber es lässt sich feststellen, dass sich hier doch etwas grundlegend geändert hat!
Während sich die Wirtschaft mit agilen Organisationsmodellen eher noch auf theoretischer Ebene beschäftigt, haben die politischen Strukturen nun wirklich einen Schnellkurs hingelegt. Auch auf unterschiedlichsten Ebenen, vom Bund, über Ländern bis hin zu Kommunen. Mit den gleichen handelnden Akteuren, die im Gremien-Mikado groß geworden sind. Aus Sicht der Veränderungsbereitschaft bleibt da nur ein ganz klares Chapeau!
Das (Ab-)Warten hat ein Ende
Es liegt in unserer menschlichen Natur, Risiken zu vermeiden. Und so sind viele von uns noch immer noch von dem Wunsch getrieben, dass irgendwann mal wieder alles so wird, wie es vorher war. Einen Impfstoff, der uns alle auf einen Schlag immun macht? Aber: Ist das nicht vielleicht eine Illusion? Durch die unternehmerische Brille ist das eine passive Haltung. Bevor sich das Abwarten nun bald jährt, geht es in den Betrieben und Unternehmen darum, die Initiative zu ergreifen. Es haben auch schon einige damit begonnen.
Methodisch kann die Szenario-Technik hier sehr hilfreich sein. Dabei geht es darum, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen und diese nebeneinander zu stellen. Wenn es eine direkte Abhängigkeit zu Corona gibt, dann könnte das z.B. heißen: Angenommen, die Einschränkungen blieben die nächsten ein, drei oder fünf Jahre so erhalten – was würde das für mein heutiges Geschäftsmodell bedeuten? Welcher Änderungsbedarf entsteht? Entstehen daraus Chancen? Gibt es Zeitpunkte, zu denen etwas entschieden werden muss? Und wer ganz mutig ist, kann sich dort auch mit Tabu-Fragen beschäftigen: Wann müsste ich mein Geschäft aufgeben? Was würde das für mich persönlich bedeuten? Und wie schaut mein Plan B aus?
Durch die unterschiedlichen Szenarien – auf einer Palette von strahlend bis ganz düster – kommt man wieder zurück ins Spielfeld. Auch wenn man nichts an der Entwicklung von Corona direkt beeinflussen kann, kann doch jeder seinen eigenen Umgang mit der Situation steuern. Sei es für ein Unternehmen, in meinem Team oder auf der eigenen persönlichen Ebene. Das fühlt sich dann nicht nur gut an, sondern macht etwas robuster für die Herausforderungen.
Diese Kolumne erschien in der Printausgabe von netzwerk südbaden zum November 2020. Hier geht’s zum Abo!
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business-Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching-Themen an unsere Leser weiter.
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