Kennen sie ihre produktivste Phase?
Das ist die Woche vor dem Urlaub. Was bekommt man da nicht alles weggeschafft? Das ist doch der Hammer: Entscheidungen, die man seit Wochen vor sich herschiebt, werden dann mit Leichtigkeit getroffen. Es werden Nägel mit Köpfen gemacht. Tatsachen geschaffen. Und ein sattes Gefühl an Erleichterung begleitet einen nach so einer Power-Woche in die freien Tage.
Davon scheint sich der aktuelle Homeoffice-Alltag sehr stark zu unterscheiden, oder? Und nicht nur, weil kein Auslandsurlaub in Aussicht steht. Die meisten Homeofficer bewegen sich in einem Umfeld, in dem es immer weniger Struktur gibt. Es gibt keine Stechuhr und die Kernarbeitszeit weicht auf. Nicht einmal der Weg zur Arbeit, so nervig er vielleicht immer war, hilft mir zum bewussten Übergang in den anderen Modus. So hatte die Arbeit einen klaren Anfang und ein klares Ende – meine Freizeit und mein Familienleben ebenso. Und nun wackelt selbst das letzte Struktur-Merkmal: Das ist nur ein Übergang!
Aktuell befinden sich nicht wenige Heimwerker in einem gefühlten 24/7 Verfügbarkeits-Modus. Was für den Standy- Fernseher gilt, gilt auch für uns: Auch wir benötigen Energie, obwohl nichts passiert. Der fehlende Ausgleich wie Fitness-Studio und Sozialkontakt macht es nicht besser. Je länger Homeoffice nun andauert, desto mehr wünschen sich viele Arbeitnehmer, zum Arbeiten wieder ins Büro kommen zu dürfen. Zumindest tageweise.
Was haben wir gelernt? Zuhause konzentriert zu arbeiten ist anspruchsvoll und verlangt viel Disziplin. Vielleicht stört nicht so oft der Kollege, dafür gibt es den Paketdienst, Home-Schooling, Kochen, Waschmaschine undundund. Aber ich bewege mich nun mal im privaten Kontext: Ich sehe zwar die Couch, aber sie ist für mich nicht zum Liegen da. Ich sehe meinen Partner, aber auch er oder sie ist in dem Moment nicht zum Drücken da. Wohl dem, der ein Arbeitszimmer hat. Das hilft… zumindest etwas.
Was nützt das Jammern? Das Leben ist – im Moment – nun mal kein Wunschkonzert. Weiterhin ist Homeoffice angesagt. Auch wenn viele von uns inzwischen auf Reserve fahren. Es bleibt also die Herausforderung: Wie kann ich zuhause einerseits arbeiten und aber auch mit gutem Gewissen abschalten und die Aus- und Freizeit genießen?
Ich will an dieser Stelle drei Anregungen geben:
Impuls 1: Die Intervallwoche
Zeitmanagement-Guru Lothar Seiwert hat sich zusammen mit Silvia Sperling im gleichnamigen Buch dem produktiven Schaffen von einer ganz neuen Seite genähert. Angelehnt an das Intervallfasten gehen die beiden Autoren der Frage nach, welche Art von Arbeit zu mir und meinem Tagesablauf passt? Das Thema Lerche und Eule kennt vermutlich der eine oder andere schon. Aber in dem Buch geht es viel weiter, mit Checklisten und Impulsen, mit denen man sich auf Spurensuche bei sich selbst begeben kann. Mit dem Ziel, seinen Arbeitstag effektiver zu gestalten und nicht nur hinterher zu laufen.
Ein konkretes Beispiel: Bin ich morgens produktiver für konzentriertes Arbeiten? Dann könnte ich versuchen, alle Abstimmungsmeetings auf die 2. Tageshälfte zu legen? Je nach Unternehmen und Funktion wird man vielleicht nicht alles selbst bestimmen können. Aber es geht mehr als man glaubt.
Impuls 2: Minimale Veränderungen und maximale Wirkung?
Bei diesem Untertitel geht man vielleicht erst einmal in den Widerstand. Das Buch „Die 1 Prozent-Methode – Mit minimalen Veränderungen eine maximale Wirkung“ von James
Clear rangiert aktuell auf den Bestseller-Listen. Auf den ersten Blick: typisch amerikanisch. Auf den zweiten ist es das immer noch! Aber wenn man die Superlative etwas zur Seite legt, liefert das Buch viele Impulse, um seine eigene Produktivität zu verbessern. Man lernt die dem Menschen innewohnenden Mechanismen und Belohnungssysteme besser kennen. Und so regt es schnell die Phantasie an, wie man selbst die Kraft der guten Gewohnheiten nutzen kann.
Zu dem Thema der Kolumne passt es insofern, dass man im Homeoffice auch mal reflektieren kann, welche Gewohnheiten mich bei der Arbeit führen und verführen. Einfaches Beispiel: Der kleine Briefumschlag in der Fußzeile von meinem Bildschirm, die kurz eingeblendete Mail-Nachricht, ein Ton oder eine Vibration auf dem Handy? Hand aufs Herz: Wer möchte die Nachricht dann nicht sofort lesen? In der Folge wird das unterbrochen, was ich gerade gemacht habe. Und bei 30, 50 oder 100 Nachrichten am Tag kommt da schon etwas zusammen.
Am Rande noch gibt es auch viel Erhellendes für die private Anwendung. Zum Beispiel: Dass die Versuchung, zuviel TV zu schauen schon erheblich reduziert werden kann, wenn man die Fernbedienung nicht auf dem Tisch liegen lässt, sondern immer zum Fernseher legt. Hardliner erhöhen diese Hürde noch, in dem jedes Mal die Batterien aus der Schalte genommen werden!
Das Attraktive an dem Aufbau und Nutzen von Gewohnheiten ist, dass diese dann keinerlei Anstrengungen kosten. Der Effekt soll sich schon nach einer überschaubaren Anzahl von Wiederholungen einstellen.
Impuls 3: Läuft wie geschnittene Tomate?
Ein befreundeter Kollege hat mir in den letzten Tagen die Pomodoro-Technik empfohlen. Der Ansatz klingt nicht nur italienisch, sondern hat auch dort seinen Ursprung. Den Namen hat diese Zeitmanagement-Methode von der Küchen- oder Eieruhr, die in Italien in Form einer Tomate (= Pomodoro) weit verbreitet ist.
Die Idee ist schnell erklärt: Sich EINE Aufgabe konkret vornehmen, dann 25 Minuten fokussiert und konzentriert an dieser arbeiten, dann 5 Minuten Pause. Das dann wiederholen. Nach 4 Durchgängen (genannt: Pomodori) eine längere Pause (10-15 min).
Es klingt banal, aber ist wirklich sehr empfehlenswert, diese Technik mal anzuwenden. Zumindest Homeofficer, die an einem Text oder Dokument, an einer Recherche oder an Vorgängen arbeiten, sollten das unbedingt mal ausprobieren.
Die Pomodoro-Technik ist quasi die „Power-Woche vor dem Urlaub“ in Kurzform. Der Arbeitsabschnitt hat einen klaren Anfang, ein klares Ende und ein Ziel – und man belohnt sich mit der Pause.
Wer nicht mit seiner Küchenuhr arbeiten möchte, der kann sich eine entsprechende App runterladen (z.B.: Focus To-Do, Focus-Timer, etc.). Wobei das analoge Erlebnis auch etwas hat! Und je nach Neigung und Art der Tätigkeit kann so oder so mit der Dauer experimentiert werden.
Oder noch einfacher?
Vor Kurzem lief eine Reportage von einem Familienvater, der bevor er mit der Arbeit im Home-Office startete, einfach kurz rausgegangen ist, um eine Runde um den Block zu machen. Das gleiche hat er am Abend nach der Arbeit wiederholt. Für seine kleinen Kinder war das das Zeichen, wann Papa ganz für die Familie da ist. Schöne Idee, oder? Aber auch ohne Kinder ist das vielleicht ein gutes Ritual für das eigene Bewusstsein, in welchem Kontext ich mich gerade befinde? Erholung kann erst stattfinden, wenn das eine einen Abschluss gefunden hat und die Aus- und Freizeit dann einen Anfang hat. Das „Always on“ ist vielleicht chic – macht aber auf Dauer müde.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching-Themen an unsere Leser weiter.