Auf Du und Du mit dem inneren Schweinehund.
Januar ist der Monat, in dem es an guten Vorsätzen nicht mangelt. Darüber freuen sich die Fitness-Studios, da die Neukunden sich auf der Yoga-Matte die Füße platt stehen. Weitere Vorsätze für Arbeit und Freizeit, Ernährung, Rauchen, Alkohol, Familie und Freunde dürfen nicht fehlen. Mit anspruchsvollen Vorsätzen bringen wir uns auf die richtige Bahn.
Jetzt aber erst recht
Nicht selten pumpt sich das über die Jahre auf. Aus „keinmal Sport pro Woche“ macht man gerne „zwei- bis dreimal“. Der eine legt die Latte hoch, da er weiß, dass er ohnehin nur die Hälfte schafft. Der andere glaubt zu dem Zeitpunkt wirklich noch daran, das Unmögliche zu schaffen. So hat sich jeder sein persönliches Set zugelegt, wie er sich selbst führt oder verführt. Wird Veränderung durch ambitionierte Ziele wahrscheinlicher? Oder bekommt man im Februar schon schlechte Laune, wenn man an die Vorsätze erinnert wird?
Alles nur eine Frage des richtigen Mindsets?
Leichtfertig mag man einem Raucher zuhauchen, warum er nicht endlich damit aufhören möchte? Aber ganz so einfach ist es halt nicht. So bewirken vermutlich die Bildchen auf den Packungen solange nichts, bis auf einem Röntgenbild der eigene Name steht. Der Mensch ist nicht nur ein Gewohnheits- sondern auch ein Verdrängungstier.
Und frei nach Wowereit darf man versöhnlich sagen: Das ist auch gut so! Zumindest in Alltagsfragen wären wir handlungsunfähig, wenn wir zu jedem Zeitpunkt alle Informationen abwägten, bevor wir etwas machen. „Scheuklappen dicht“ ist allerdings auch nicht das Allheilmittel. Es bleibt weiterhin eine Herausforderung, in unserem Leben zu navigieren.
Welches sind die Treiber für Veränderung?
Es gibt tonnenweise Literatur zu diesem Thema. Aus unterschiedlichen Perspektiven sei es technologisch, gesellschaftlich, politisch, psychologisch, undundund. Wer es gerne pragmatisch mag, der sollte sich dieses Wortpaar merken: Leidensdruck und Leidenschaft.
Leidensdruck funktioniert.
Im zurückliegenden Jahr konnten wir alle erleben, wie das mit Leidensdruck läuft. Wie plötzlich von zuhause gearbeitet werden durfte, welche Themen auch per Video besprochen werden konnten, wie man Urlaub nicht in Übersee, sondern im Schwarzwald macht und sogar einen Jahreswechsel ohne Böllerei überstehen kann. Es ist ja nicht so, als hätten wir vorher noch nie über die Themen nachgedacht und gefachsimpelt. Manches hätte man vielleicht auch schon viel früher angehen können.
Anscheinend braucht es erst die Alternativlosigkeit, um die Kurve zu bekommen? Die Schattenseite dieses Treibers ist, dass dieser meist über das Außen kommt und dann mit Angst und Stress verbunden wird. Die Veränderung kommt dann zwar in Gang, aber sie fühlt sich schwer und wenig freudvoll an. Die Folge kann dann sein, dass man in den alten Zustand zurückpendelt, sobald der Leidensdruck wegfällt. Verständlich, wenn es keine innere Überzeugung war, sondern nur die äußeren Umstände.
Die Kür: Leidenschaft
Viel seltener trifft man in der freien Wildbahn auf den zweiten Veränderungs-Treiber. Dessen Motor ist ein Glaube an einen neuen Ziel- oder Wunschzustand. Vielleicht auch eine Vision, die auf den ersten Blick als unerreichbar scheint. Wir kennen dafür auch prominente Vertreter aus den USA: Bill Gates, Steve Jobs, Elan Musk & Co. Interessanterweise laden uns diese nicht zum Nachahmen ein. Bequemer ist es, den mahnenden Zeigefinger zu erheben.
Und vermutlich frustriert uns einfach das Superlativ zu sehr. Aber: Wenn es auch nicht die idealen Benchmarks sind, warum darf sich das neue „Restaurant am Eck“ nicht einfach eine Scheibe davon abschneiden? Fast jeder Gründer oder Gründerin verkörpert doch so etwas: Es gibt eine attraktive Geschäftsidee, einen Bedarf oder einen neuen Markt, an den eine oder mehrere Personen fest glauben. Nur liegt es uns vielleicht kulturell nicht so nahe, das so aufzublasen.
Und Freiburg, Donaueschingen oder Offenburg ist nicht da Silicon Valley. Aber es ist im Verborgenen da, öfters als wir es glauben! Die Kehrseite dieses Veränderungstreibers ist, dass er vermutlich anspruchsvoller bzgl. des Erkennens und des Lösungsansatzes ist. Es ist einfacher, als nur dort noch zu reagieren, wo schon Rauch aufsteigt und sich selbst zu kasteien.
Wohin mit meiner Leidenschaft?
Wer möchte, kann ja in 2021 erforschen, welche Alternativen es für Veränderungen zu den Vorsätzen gibt. Das kann man im Übrigen auch auf alle anderen Lebensbereiche (Job, Partnerschaft, Freundschaften, Hobbies, …) übertragen. Konkret zu „privat“: Setze ich mich unter Druck, dass ich wieder grausam ausschaue und nun endlich fünf Kilo abnehmen muss? Oder: Suche ich mir eine Sportgruppe, in der ich mich sooo wohl fühle, dass ich gerne hingehe und die Gewichtsreduktion vielleicht sich von alleine einstellt?
Welche Veränderungen könnten an meinem Arbeitsplatz alte und neue Leidenschaften entfachen? Und wie könnte das in meinem Team oder im ganzen Betrieb ausschauen? Je emotionaler meine Vorstellung von dem Zielzustand ist, desto stärker. Wie ist die Atmosphäre und der gegenseitige Umgang? Wie geht es mir, wenn ich am Montag arbeiten gehe? Oder muss ich es wirklich immer so weit kommen lassen, bis Rauch aufsteigt?
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business-Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change- Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer- Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching-Themen an unsere Leser weiter.