Eine Eröffnungs- und eine Schlussrede, zweimal zwei Parallelvorträge und eine Podiumsdiskussion mit zusammen zehn Fachleuten aus der ganzen Republik: Der Freiburger Mittelstandskongress hat den rund 500 Teilnehmenden viel Input geboten. Eine unvollständige Zusammenfassung.
TEXT: KATHRIN ERMERT, JULIA DONÁTH-KNEER, CHRISTINE WEIS
FOTOS: FELIX GROTELOH
Mensch und Technik
Die Bilder von Braunkohletagebau, Megacities und riesigen Industrieanlagen, die Armin Grunwald in seinem Eröffnungsvortrag an die Wand projizierte, belegten seine These deutlich: Menschen haben den Planeten umgestaltet, sagte der Physiker und Philosoph, der am Karlsruher Institut für Technologie einen Lehrstuhl für Technikphilosophie innehat. Sein Thema, das sogenannte Anthropozän, also das Zeitalter des Menschen, erfüllt auch im geologischen Sinne die Definition eines Zeitalters. Die wissenschaftlich-technologischen Fortschritte der letzten 200 bis 300 Jahre haben diese menschgemachten Veränderungen erst ermöglicht. Damit einher ging die exponentielle Entwicklung der Weltbevölkerung im zurückliegenden Jahrhundert.
Aus der Herausforderung, diese Massen zu ernähren und ihnen ein gutes Leben auf dem Planeten zu ermöglichen – „ein gewaltiger Stoffumsatz“ – resultieren Umweltprobleme und Verteilungskämpfe. Klima, Pandemie, Krieg: Multiple Krisen bestimmen das Lebensgefühl dieser Tage, konstatierte der Professor. Aber ihn nervt, „wieviel in Deutschland über schlechte Zeiten gejammert wird“. Noch nie hätten so viele Menschen so gut gelebt. „Da haben wir echt etwas geschafft, das kann man gelegentlich sagen.“
Noch nie haben so viele Menschen so gut gelebt. Da haben wir echt etwas geschafft, das kann man gelegentlich sagen.“
Armin Grunwald, Professor für Technikphilosophie, Karlsruhe
Wohin führt das alles? Wie kommen wir aus dem Anthropozän raus, was ist die Alternative?, fragte Grunwald. Die Zahl der Menschen zurückdrehen auf eine Milliarde, funktioniere nicht – „das ist zynisch“. Einzige Möglichkeit sieht der Wissenschaftler darin, nach vorne zu gehen und die Probleme anzupacken. Das habe teilweise schon begonnen, viele Innovationen seien schon entwickelt worden, beispielsweise erneuerbare Energien. Grunwald warnte aber vor einem weitverbreiteten Glauben: „Technik ist nicht die Lösung, sondern verursacht teilweise neue Probleme.“ Die „Ambivalenz der Technik“ zeige sich zum Beispiel bei Verbrennungsmotoren oder Social Media. Gerade weil sie tadellos funktionierten, erzeugten sie Probleme, den Klimawandel und die Verrohung der Kommunikation. Des Professors Ausblick war dennoch optimistisch: Die Probleme global angehen, denn es braucht viele Akteure. Und die richtige Richtung einschlagen – dann kommt es auf das ein oder andere Jahr nicht an.
New Work needs New Human?
Am Ende des Vortrags von Angelika Kambeck wurde klar, wie gut sie wirklich ist. Denn aus dem Plenum kamen jene Fragen, die den Unternehmern wirklich unter den Nägeln brennen. Kambeck, die auf mehr als 25 Jahre Erfahrung im Leadership und Personal zurückblickt, hatte auf jede einen konkreten Rat in petto. Dazu später mehr.
Zuvor hatte Kambeck rund eine Stunde lang ausgeführt, was die neue Arbeitswelt mit den Unternehmen macht und wie sie dafür aufgestellt sind. Das „Was“ habe sich verändert, deshalb brauche es ein neues „Wie“, sagt Kambeck, die unter anderem Personalchefin bei Klöckner & Co und der CWS Group war, bevor sie sich als Coach für internationale Unternehmen selbstständig machte. Ihre These: „In einer volatilen Welt, in der Standardabläufe immer seltener und komplexer werden, gewinnt das Humankapital eines Unternehmens zunehmend an Bedeutung. Aber dieses ist nur geliehen und braucht eine viel stärkere Pflege als früher.“
„Geben Sie Orientierung, setzen Sie Ziele. Wo will das Unternehmen hin? Dafür ist es unerlässlich, klar zu kommunizieren – unmissverständlich und in Echtzeit.“
Angelika Kambeck, HR Impacts!, Duisburg
Doch was sollen die Firmen konkret tun? Zuerst müssen sie sich mit der neuen unternehmerischen Realität auseinandersetzen: Homeoffice, Remotearbeit, Jobsharing, Coworking seien nur einige Stichpunkte. „Sie müssen als Führungskraft in der Lage sein, freiwillige Kooperation und Leistung auszulösen und genau überlegen, wie Sie Mitarbeitende dazu wertschätzend befähigen können.“ Es gehe um eine Kommunikation mit „Herz und Hirn“, sagt die Expertin. „Geben Sie Orientierung, setzen Sie Ziele. Wo will das Unternehmen hin?“ Dafür sei es unerlässlich, klar zu kommunizieren – „unmissverständlich und in Echtzeit.“ Sie rät, einen konkreten Kanal auszuwählen, auf dem wichtige Informationen ausgespielt werden. Wer sein Unternehmen transformieren will, dürfe das nicht von heute auf morgen in Angriff nehmen. Ein verlässlicher Rahmen, der Zuversicht vorgibt, sei wichtig, um den Mitarbeitenden Sicherheit zu geben und sie dauerhaft zu halten. Unter dem Strich brauche es vor allem ein neues Führungsverständnis. „New Work ist Inner Work“, sagt die Expertin. „Das startet bei der Haltung in Handeln, Denken und Sprechen.“
Zurück zum Plenum. Ein Herr, Ende 50, sagte, er tue sich schwer als Babyboomer in seiner Rolle als Chef in der neuen Arbeitswelt, ob er sein Ego dafür überwinden müsse? „Nein“, antwortete Kambeck. „Behalten Sie Ihr Ego. Machen Sie es nur ein bisschen kleiner, wenn es nötig ist.“
Green Marketing – Green Branding
Am 2. August war dieses Jahr der Erdüberlastungstag. Im Vergleich dazu war er für das Jahr 1961 erst am 15. Mai des darauffolgenden Jahres. Dieses Datum markiert den Zeitpunkt, an dem der menschliche Verbrauch biologischer Ressourcen die Kapazität der Erde zur Regeneration übersteigt. Ralf T. Kreutzer unterstrich mit dem Datum zu Beginn seines Vortrags „Green Marketing – Green Branding“ die Dringlichkeit einer nachhaltigen Wirtschaftsführung. Konkret bedeutet dies den Übergang von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft. Für diese Transformation empfiehlt er das Triple-Bottom-Line-Modell (Planet – People – Profit), das darauf abzielt, nicht nur den finanziellen Erfolg zu steigern, sondern auch den sozialen und ökologischen Verpflichtungen gerecht zu werden. „Wir haben keinen Planeten B, aber einen Plan B”, betonte der Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
„Wir haben keinen Planeten B, aber einen Plan B.“
Ralf T. Kreutzer, Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Zum Plan B zähle auch eine nachhaltige Markenstrategie für Unternehmen. Diese sollte sich auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen. Für den Bereich Kommunikation hatte Kreutzer einige Denkanstöße dabei: Statt auf Verzicht zu setzen, sei es effektiver, eine Win-win-Situation zu schaffen. Der Kunde kann sich beim Kauf und Konsum eines nachhaltigen Produkts wohler fühlen. Die Natur profitiert, weil sie noch etwas länger erhalten bleibt. Das Unternehmen punktet, weil es sich durch Nachhaltigkeit profiliert. Auch „Nudges“ (Anschubser) findet Kreutzer sinnvoll. Beispielsweise Labels auf Lebensmittel wie Nutri- oder Planet-Score, die Verbraucher auf unaufdringlicher Weise ansprechen und zur Verhaltensänderung motivieren. Ähnliches kennt man von den Geschwindigkeitsmessern, die mit Smileys zeigen, dass man nicht zu schnell fährt.
Das Thema Nachhaltigkeit sei so umfangreich und wichtig, dass es einen Chief Sustainability Manager in Unternehmen brauche. Dieser müsse gleich mehrere Berufe in einer Person vereinen: Storyteller, Rechtsberater, Mediator, Controller, Impulsgeber und Organisationsentwickler. Möglich, dass der ein oder andere Personaler im Raum nachdenklich wurde.
Junge locken, Babyboomer halten
2021 war es so weit: Da war der demografische Kipppunkt erreicht, den Sebastian Klüsener und seine Kollegen vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung jahrelang prognostiziert hatten. Seither verlassen mehr Menschen den Arbeitsmarkt als nachrücken. 100.000 bis 200.000 jährlich beträgt die Differenz. Allerdings verschwinde dank neuer Technologien die Arbeitskraft und -kompetenz nicht im gleichen Maße wie die Zahl der Köpfe, sagte Klüsener in der Podiumsrunde zum Thema Fachkräftesicherung. Ein Beispiel bot sein Gegenüber Nicole Kurek. „Sick liefert mit der Automatisierung Antworten auf den Fachkräftemangel“, sagte die Vorständin des Sensorspezialisten. Natürlich sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenfalls wichtig, so Kurek. Allerdings setze sich da der Fachkräftemangel fort, der Ausbau von Kitas scheitere mitunter an fehlendem Personal.
„Es braucht mehr Höhle der Löwen als Bauer sucht Frau.“
Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt Der Mittelstand
Auch Pflege ist ein Thema, betonte Zuzana Blazek, die früher beim Institut der Wirtschaft gearbeitet hat und jetzt als Coach und Speakerin tätig ist. Sie beobachtet, dass viele Firmen etwas zur Fachkräftesicherung tun, aber ohne Strategie. Doch die brauche es, um ein attraktiver Arbeitgeber und in fünf Jahren noch am Markt zu sein. „Das nennt man Employer Branding. Dafür gibt es verschiedene Werkzeuge wie zum Beispiel Social Media“, erklärte sie auch Moderator Markus Brock, der die Begriffe genauso durcheinander warf, – wie ihre Kunden. Ziel sei es, eine Kultur zu entwickeln, die Lust macht, ins Unternehmen zu kommen. Blazek sieht Firmen in der Pflicht, jungen Leuten die große Zahl von Berufen zu zeigen. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Verbands Der Mittelstand, reichte den schwarzen Peter weiter an die Medien: „Es braucht mehr Höhle der Löwen als Bauer sucht Frau.“
„Nicht jeder muss MINT studieren. Ein digitales Grundverständnis reicht, wir denken oft zu eng.“
Nicole Kurek, Personalvorständin Sick AG, Waldkirch
„Nicht jeder muss MINT studieren“, sagte Kurek. „Ein digitales Grundverständnis reicht, wir denken oft zu eng.“ Die Sick-Personalchefin plädierte zudem für lebenslanges Lernen – smart in den Alltag integriert – und sprach von mehreren Berufen in einem Leben. Flexibilisierung sei das Zauberwort bei vielen Personalthemen. „Man kann über alle reden“, findet Kurek. Zum Beispiel darüber, wie die Arbeitskraft der Babyboomer übers Rentenalter hinaus erhalten bleibt. Denn ihre Lebenserwartung steige, sagte Demografieexperte Klüsener: Für Mittsechziger sei „durchschnittlich noch extrem viel Leben übrig.“
Krise, Krieg, Klima
Joschka Fischer ist bereits 75 und tritt noch als Speaker auf. Der ehemalige Außenminister hatte sich Zeit genommen für den Freiburger Mittelstandskongress. Obwohl er kurzfristig für Sigmar Gabriel eingesprungen ist, war der Grünenpolitiker bereits am Vorabend der Veranstaltung beim Rundgang der Referenten durch die Münsterbauhütte dabei. Im Konzerthaus saß er lange vor seinem Schlussvortrag am späten Nachmittag am Stand der Buchhandlung Rombach. Er signierte sein neuestes Buch „Zeitenbruch. Die Neuerfindung der Weltpolitik“, stand Rede und Antwort und wich keiner der vielen Selfie-Bitten aus.
„Unsere Enkel werden es sich nicht mehr leisten können, so egoistisch zu sein wie wir.“
Joschka Fischer
Mag man kraftvolle Leidenschaft, provokante Thesen und den Überzeugungswillen bei Fischers Auftritt vermisst haben, inhaltlich transportierte er klare, wenn auch bekannte Positionen. Grundtenor der Rede: Angesichts der Mehrfachkrisen mit dem Ukrainekrieg, den geopolitischen Machtverschiebungen, der technologischen Transformation und dem Klimawandel ist Veränderung das Gebot der Stunde. Wer dem Verwaltungsgrundsatz nachhänge, alles beim Alten zu belassen, werde abgehängt. Fischer mahnte, wenn Deutschland sich bei der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz von Ländern wie China überholen lässt, ähnlich bei der Solarindustrie geschehen, seien Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftsstandort gefährdet. Die Schlüsseltechnologien seien entscheidend. Und das Ziel von Politik, Wirtschaft und Forschung müsse sein, die Herausforderung anzupacken – und zwar gemeinsam.
Krieg in Europa und Antisemitismus in Deutschland – Fischer hätte es nicht für möglich gehalten, auf der Zielgeraden seines Lebens in einer solchen Situation zu sein. „Putin darf nicht gewinnen, die Konsequenz wäre, der Überfall auf das nächste Land.“ Der Ex-Außenminister machte deutlich: Europa muss sich einen und militärisch stärken, was bedeute verteidigen und abschrecken. Auf die USA als verlässlichen Partner könne man sich seit der Erfahrung mit Präsident Trump nicht mehr verlassen. „Unsere Enkel werden es sich nicht mehr leisten können, so egoistisch zu sein wie wir“, sagte Fischer, um die Brisanz der Klimakrise zu verdeutlichen. Man könne das Thema nicht vertagen. Auch beim Umweltschutz müssten die Probleme global gelöst werden.
Stabilität werde es in den nächsten Jahren nicht mehr geben, betonte Joschka Fischer zusammenfassend. Die Zukunft seien Krisen, doch es gebe Chancen, sie zu bewältigen.