Der Landkreis am Bodensee bietet Tourismus und Industrie, Lebensqualität in hohem Maß, nicht zuletzt dank einer gut funktionierenden Wirtschaft.
VON RUDI RASCHKE
Der erste Eindruck von Konstanz: Diese Stadt beherrscht den Spagat. Große weite Welt mit fast-wie-Meerblick, Gipfeln im Hintergrund, ein wenig Glanz à la Zürich – auf der anderen Seite aber auch Touristen in Trekkingsandalen, Schweizer Schnäpplikundschaft und Studenten, die neben Einheimischen das Stadtbild prägen.
Da ist diese mittelalterliche Altstadt, die mit schöner Kleinteiligkeit, inhabergeführten Läden und engen Gassen ein tolles Bild abgibt. Da sind aber auch Erlebnisstätten wie die gut belegte Shoppingmall Lago mit Läden von Aldi bis Dutti oder das Sealife Center am Hafen, die rund um die Jahrtausendwende entstanden. Erstaunlicherweise haben sie der Altstadt nicht geschadet – nach dem Freiburger Märktekonzept gäbe es kein Lago – sondern sie offenbar erhalten.
Konstanz ist kleinstädtischer als Freiburg, es hat keine großen Filialisten und keine breite Kaiser-Joseph-Straße, aber neben mancher Boutique im Mittelalterhaus eben auch Vorzüge wie das Tim-Raue-Restaurant Colette. Ja wirklich, der Zwei-Sterne-Koch aus Berlin unterhält eine Adresse mit einem Bistro am Bodensee. Französisch inspiriert und mit wenig Regionalität, aber eben auch schönen Meeresfrüchten und Champagner-Aperitifs.
Der Grund für die Dependance: Raue berät die sehr komfortable Seniorenresidenz Tertianum. In Konstanz, München und Berlin kommen die Gerichte für die Senioren aus seiner Restaurantküche im selben Haus nebenan. So schön kann Altwerden am Bodensee sein.
Zum Spagat gehört aber neben solchen Grenzgängen zwischen Exzellenz und Bodenständigkeit auch ein sehr kluges Austarieren von Enge und Weitläufigkeit. Konstanz hat eine vergleichbare Wohnungsnachfrage wie Freiburg und einen entsprechenden Dichtestress. Es hat aber auch Antworten auf solche Herausforderungen: Am schönsten ist neben der Uferpromenade sicher das Freibad Hörnle mit seinen riesigen Flächen und Stränden, übrigens bei freiem Eintritt. Der Landkreis Konstanz hält noch großzügige öffentliche Erholungsmöglichkeiten bereit.
Zu diesem Landkreis am Ostrand des Regierungsbezirks Freiburg gehört ein Hinterland mit Städten wie Singen und Radolfzell, die Insel Reichenau zählt ebenfalls dazu. Über eine pappelumrahmte Allee fährt man mit Auto oder Rad auf eine Insel, die für ihre landwirtschaftlichen Produkte berühmt ist. Auch das viereinhalb Kilometer lange Eiland ist umsichtig besiedelt und erscheint trotz Touristenströmen naturnah und entspannend.
Besuch bei einem Wirtschaftsbetrieb auf der Reichenau, wie es ihn nur hier gibt: Der Fischmarkt Koch verarbeitet die Fänge aus dem Bodensee, ist als Großhandel aber auch mit überregionalen Sortimenten von frischem Fisch, Tiefkühlware oder Geräuchertem am Markt.
An diesem Morgen Ende August waren zwei der noch sieben aktiven Bodenseefischer vom Untersee draußen auf dem Wasser, kurz vor Sonnenaufgang um 6.30 Uhr sind sie rausgefahren und haben die am Abend zuvor ausgelegten Netze eingeholt. Es war ein mittelguter Tag sagt Gabriel Hecht, der bei Fisch Koch den Vertrieb organisiert. Er deutet auf eine halbvolle Plastikwanne mit Bodenseefelchen, etwa sieben Kilogramm sind die Lieferung von einem der beiden Fischer, die heute draußen waren.
Mehr von dem gefragten Bodenseefisch wird es nicht mehr werden in Zukunft, der See ist schlicht zu sauber. Die Trinkwasserqualität, die immer modernere Kläranlagen produzieren, verhindert eine bessere Ernährung der Fische mit Plankton, sagt Hechts Chef Thomas Mazzardo, der Geschäftsführer vom Fischmarkt Koch. Der Bodensee mache gerade noch zwei Prozent seines Umsatzes aus. Als er vor 17 Jahren sein Amt antrat, hat er deshalb auf das heutige Portfolio umgestellt. Felchen kommt jetzt auch – entsprechend deklariert – vom Gardasee.
Mehr Fischer werden es allerdings auch nicht. Der jüngste Bodenseefischer, der den Fischmarkt Koch beliefert, sei 36 Jahre, der Beruf fast nur noch im Nebenerwerb möglich, erklären Mazzardo und Hecht, zugleich erfordere er eine sechs Jahre dauernde Ausbildung und Berufspraxis, an deren Ende man als selbstständiger Meister der Fischwirtschaft mit dem Boot rausfahren darf.
Trotz aller Schwierigkeiten mit dem Nachschub bodenseeeigener Erzeugnisse haben die 17 Mitarbeitenden hier im Fischmarkt große Freude am Verarbeiten, Räuchern und Handeln von Fisch aus nah und fern. In Hälterungsbecken sprudeln Lachsforellen, Forellen und Saiblinge umher, Thomas Mazzardo erklärt nebenan, dass ein Fischereibetrieb mit einem einstelligen Millionenumsatz kein Thema für die örtliche Wirtschaftsförderung sei. Zum Bild der Regionalwirtschaft am Bodensee liefert er dennoch einen vorzeigbaren Beitrag.
Nur noch sieben Berufsfischer fahren am Untersee morgens aufs Wasser
Wirtschaftsförderung im Landkreis Konstanz, sie findet auch in Singen als Spagat statt. Zum einen gilt es namhafte Betriebe in der Gemeinde zu halten, zum anderen stockt die Entwicklung mit guter Nachfrage, wenn Flächen fehlen. Unternehmen wie Bipso (400 Mitarbeiter) oder Takeda (1000) sind als Pharmaunternehmen ebenso wichtig wie die über 120 Jahre alte Eisengießerei Fondium mit 750 Angestellten oder das heute zu Nestlé gehörende Maggi-Werk (650).
Allerdings gab es zwischenzeitlich keine städtischen Gewerbeflächen mehr, sagt Singens Wirtschaftsförderer Oliver Rahn. Abhilfe soll eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme in Tiefenreute-Bühl schaffen, die Gewerbe und Wohnen mischt. Vom Osten der Stadt werde ein Gewerbegebiet und vom Süden ein Wohngebiet erweitert, sagt Rahn. „Dadurch können 25 Hektar Gewerbegebiet entstehen“. Im Herbst steht hierzu ein Satzungsbeschluss im Rat der Stadt an.
Auf diese Weise könnten nicht nur Unternehmen, sondern auch deren Mitarbeitenden am Standort gehalten werden. Bei den genannten Traditionsbetrieben gebe es eine regelrechte Treue von Fachpersonal über Generationen hinweg, sagt Rahn. Die 45.000-Einwohner-Gemeinde (Konstanz hat 85.000, Radolfzell 30.000) sieht sich „breit aufgestellt“, auch die Zukunftssicherung des Autozulieferers Fondium aus Kreisen des Managements vor vier Jahren könnte in einer schwierigen Branche eher geholfen haben.
Ein weiterer großer Unternehmenskauf hat in diesem Jahr Konstanz beschäftigt, wo der Hamburger Technologiekonzern Körber die Post- und Paket-Logistik der Firma Siemens für über eine Milliarde Euro übernommen hat. Die Zeichen bei dem 1200-Mitarbeiter-Unternehmen stehen dadurch eher auf Wachstum. Über den Standort sagte der zuständige CEO von Körber Supply Chain, Dirk Hejnal, im Südkurier: „Was den Bodensee als Standort betrifft, bietet der so ziemlich alles, was das Herz begehrt.“
Was das Herz begehrt, vor allem aber was Leib und Seele wollen, hat der Koch Klaus Neidhart auf der Höri bei Radolfzell über viereinhalb Jahrzehnte in seinem Restaurant Gottfried angeboten, ehe er 2016 in Rente ging. Neidhart, das Unikum vom See mit den wundervollen Fischgerichten, ist heute noch als Eventkoch aktiv und sieht den Landkreis als Standort für Wirtschaft und Lebensqualität überwiegend positiv. In der Gastronomie hätte es zwar nach der Pandemie etliche Pächterwechsel zulasten einheimischer Wirte gegeben, insgesamt aber sei die Region um Konstanz auch mit ihren kleineren Unternehmen um die 400 Mitarbeitenden gut aufgestellt. Dazu trage auch die länderübergreifende Lage des Sees bei. „Auch wenn es manchmal schwer ist, hier Personal zu finden“, sagt er im Gespräch mit unserem Magazin, „es gibt sicher weniger vorteilhafte Grenzen in Europa als die Nähe zur Schweiz.“