Hurra, ein Konflikt? – Auf der Suche nach der konstruktiven Streitkultur.
VON UDO MÖBES
Es hat etwas länger gebraucht zu verstehen, was vor vielen Jahren mein eigener Coach damit gemeint hat. Wird „Gutes Management“ nicht eher mit einem reibungslosen Betrieb gleichgesetzt? „Er hat sein Team im Griff!“ oder „es läuft rund in dem Bereich und man hört nur Gutes“. Ergo ist die Führungskraft mit Ölkännchen unterwegs, damit es gar nicht erst zu Konflikten kommen kann.
Aber: Wie können Produkte, Prozesse, Kulturen oder Persönlichkeiten weiterentwickelt werden, wenn diese nicht immer wieder einmal hinterfragt werden? Ist das nicht das Potenzial eines Unternehmens, dass gerade ganz unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen aufeinander prallen? Wird in Unternehmen wirklich um die beste Lösung gestritten und gekämpft?
Die These ist, dass vor lauter Sorge um die Harmonie das inhaltliche Streiten verlernt wurde. Welchen Beitrag habe ich als Führungskraft daran, dass es in meinem Umfeld mehr oder nur weniger Vielfalt gibt? Und Unausgesprochenes vielleicht vor sich hin schwelt?
Warum ist Harmonie für uns so wichtig?
Als soziales Wesen ist der Mensch auf Gemeinschaft angewiesen. Wurden unsere Ur-Vorfahren ausgestoßen, dann hatte das die existenzielle Bedrohung zur Folge. Ohne einen Platz am Lagerfeuer und den Schutz gegen Feinde war kein Überleben möglich.
Anpassung, Zurückhaltung und Unterwerfung waren vermutlich schon dort erfolgreiche Strategien. Vielleicht die ersten Komfortzonen? Die klare Rangordnung (Hierarchie) hat Entscheidungen übernommen und für Ruhe in der Gruppe gesorgt. Lediglich die jungen Wilden haben dieses System von Zeit zu Zeit herausgefordert.
Unser heutiges Verhalten ist immer noch von diesem Ursprung geprägt. Wir fühlen uns dann wohl, wenn wir von unserem Umfeld Anerkennung bekommen und Teil einer Gruppe sein dürfen. So wägen wir – oft unbewusst – bei drohenden Meinungsverschiedenheiten ab, ob wir diesen Frieden wirklich strapazieren wollen und durch einen Konflikt einen Ausschluss riskieren wollen?
Wenn sich Sach- und die Personen-Ebene Vermischen
Im Kleinen beschäftigt das immer wieder bei der Zusammenarbeit in einem neuen Team oder neuen Projekt. Dann besteht durchaus die Gefahr, dass die inhaltliche Perspektive zurückgestellt wird. Die Sorge ist, dass wenn meine andere Meinung es zu kompliziert macht, ich dann alleine in die Mittagspause gehen muß.
Es gibt Unternehmenskulturen, die das Persönliche im Job komplett ausblenden. „Das gehört hier nicht her!“ Aber ist es nicht ein Irrglaube, dass die persönliche Ebene nicht da ist, nur weil man nicht darüber spricht? Die These ist: Findet die persönliche Ebene keine Öffentlichkeit, dann wächst dafür das Reich der Spekulationen und Interpretationen an anderen Stellen.
So kann man manchmal in Unternehmen eine sehr sachliche, distanzierte und betriebssame Atmosphäre beobachten. In denen es aber nicht selten dann eine Sub-Kultur an Flurfunk, Lagerbildung und ein Hintenherum über Andere zu sprechen gibt, inklusive Ironie und Sarkasmus. Und das Management sind „die da oben“. Das Gegenmodell: Wenn die Kommunikation sehr stark von der persönlichen Ebene geprägt wird.
Die Atmosphäre wirkt friedlich, warm und harmonisch. Verständnis für alles von allen scheint eine unlimitierte Ressource zu sein. Und wird der Tränenkanal erst einmal freigelegt, dann kann das je nach Persönlichkeitsstrukturen auch ausufern. Und unbemerkt auch auf private Themen wechseln. Wenn Arbeitsmeetings regelmäßig den Touch einer Gruppentherapie bekommen, sollte man sich hier fragen, ob die Beteiligten den Zweck der Zusammenkunft noch klar vor Augen haben?
Die richtige Balance finden?
Die Herausforderung bei der Führungsarbeit ist, die beiden Ebenen unter einen Hut zu bekommen. Den Sinn und Geschäftszweck klar im Mittelpunkt zu haben, aber die persönlichen Themen nicht zu übergehen.
Wieviel Aufmerksamkeit das eine und das andere benötigt, ist sicherlich ganz unterschiedlich! Es hängt von der Branche (Baufirma oder Versicherung), der Arbeitsorganisation (Einzelkämpfer oder Teamplayer), den Werten und den handelnden Personen in der Führung und in Teams ab. Die Erfahrung aus dem Berater- und Coaching-Alltag ist, dass man der persönlichen Ebene auf jeden Fall regelmäßig einen Raum geben sollte.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Thema über eine Klimakrise den Raum selbst erobert. Die klare Empfehlung ist daher, präventiv vorzugehen, anstatt nur noch reagieren zu können. Gibt es regelmäßige Entwicklungsgespräche, um darauf einzugehen? Finden ein- oder zweimal im Jahr Team-Workshops statt, bei denen die Zusammenarbeit und die Atmosphäre reflektiert werden können? Oder ist das ein fester Agenda- Punkt bei Standard-Meetings? In Coachings haben Führungskräfte immer wieder die Sorge vor dem, was alles hochkommt. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht viel ist. Sofern es noch nicht 5 vor 12 ist!
Alles kein Problem mehr bei flachen Hierarchien?
Ohne Zweifel: Die neuen Organisationsmodelle schaffen viel mehr Raum. Eigentlich das ideale Terrain für eine konstruktive Streitkultur. Aber es sind ja weiterhin die Sozialen Wesen, die sich darin bewegen und ihre Bedürfnisse haben. Daher ist es wichtig, im Auge zu behalten, ob die Freiräume genutzt werden und der Austausch auch so offen stattfindet.
Erste Schritte zur konstruktiven Streitkultur:
- Bei sich selbst beginnen.
Wie gehe ich persönlich mit Konflikten um? Wann habe ich das letzte Mal im Job für eine Sache gestritten und gekämpft? Oder kann ich mich viel besser an mehrere Situationen erinnern, bei denen ich eingeknickt bin und es dann einfach laufen ließ? Wer sich selbst weiterentwickeln möchte, sollte mit kleinen Themen in einem bekannten und vertrauten Umfeld starten! Hier muss man nicht die Sorge haben, gleich ausgegrenzt zu werden. - Sein Umfeld zur Vielfalt ermuntern.
In Gesprächssituationen die „anderen“ Meinungen und Sichtweisen herauskitzeln. Es ist dann hilfreich, der geäußerten Meinung einen Raum zu geben, sie in eigenen Worten wiederzugeben und sie nicht gleich zu bewerten. Und man sollte darauf achten, dass die Vielfalt nicht gleich als weiteres Problem gesehen wird (für was sollen wir uns nun entscheiden?), sondern als Schatz und Fundus! - Funktionale Klarheit herstellen.
Wenn nicht klar ist, wer am Ende die Entscheidung trifft oder zu verantworten hat, dann führt das zu Verwirbelungen. Wenn alle mitreden, dann kann der Entscheider den Eindruck gewinnen, die Führung aus der Hand zu geben und die Kontrolle zu verlieren. Das kann man vermeiden, wenn am Anfang klargestellt wird: „Am Ende muss ich die Entscheidung treffen, aber ich möchte gerne von Euch beraten lassen“. - Den Prozess strukturieren.
Zeit ist Geld und daher lassen wir uns gerne von dem Paradigma (ver-) führen, dass eine schnelle Lösung auch immer eine gute Lösung ist! Tipp: Den zeitlichen Rahmen für den Prozess abstecken! Wieviel Zeit nehmen wir uns für die Analyse des Problems, der Lösungsfindung und der Entscheidung. Dann ist allen Beteiligten klar, was man an welcher Stelle beitragen kann. Das können je nach Thema nur 15 Minuten sein oder auch Tage und Wochen. Als Coach kann man immer wieder beobachten, dass sehr schnell schon im Detail über die Umsetzung von Lösungen gesprochen wird, bevor überhaupt das Problem herausgearbeitet wurde. - Weiterhin nur für Fortgeschrittene…
Bei aller Freude am Ausprobieren entlang von sachlichen Konflikten: Die persönlichen Konflikte mit Kollegen bleiben anspruchsvoll! Es gibt Schulungen, Trainings und Werkzeuge, die das erleichtern. Ein zusätzlicher Faktor ist, dass wenn man selbst Teil des Konfliktes ist, man selbst eine eingeschränkte Wahrnehmung der Situation hat (Blinde Flecken). Für Einsteiger ist es daher ratsam, einen Dritten (Kollegen, Freund, …) in Anspruch zu nehmen.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes wird an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching- Themen an unsere Leser weitergeben.
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