In Furtwangen entsteht nach den Entwürfen des Stararchitekten Arno Brandlhuber Das Siedle Haus. Bauherr des neuen Kulturzentrums ist die Horst und Gabriele Siedle-Kunststiftung, die der Region damit innovative Architektur, hochkarätige Kunst und ein Veranstaltungsforum bieten will.
VON CHRISTINE WEIS
Der preisgekrönte Berliner Architekt Arno Brandlhuber ist bekannt für Bestand und Beton. Alte Gebäude erfindet er neu. Vorhandenes wird umgenutzt. Damit hat er schon einige Ruinen ruhmvoll „gerettet“. Aus der im brutalistischen Stil gebauten St. Agnes Kirche in Berlin-Kreuzberg oder den Betontürmen eines einstigen DDR-Kohlekraftwerks in Berlin-Lichtenfelde sind Galerien, Büros und Ateliers entstanden.
Die zum Abriss freigegebene „Schlüpferbude“ in Potsdam (in der DDR-Textilfabrik wurden einst Unterhosen produziert) ist heute Brandlhubers Antivilla. Der markante Bau mit Betondach, grob rausgeschlagenen Panoramafenstern und Kratz-Putz-Fassade hat es 2016 auf den Titel des NY Times Style Magazine geschafft. “An Elegant Concrete Villa” war die Headline zum rauhen Bau.
Was vielleicht weniger bekannt ist, die Sprechanlage der Antivilla ist aus demselben Material wie der Putz und fügt sich perfekt in die Fassade. Die Spezialanfertigung ist von der Firma Siedle aus Furtwangen. Das Unternehmen aus dem Schwarzwald ist europaweit der führende Hersteller für Türsprechanlagen und Gebäudekommunikationstechnik.
Siedle engagiert sich für innovative Architektur, so gibt es etwa seit Jahren eine gemeinsame Veranstaltungsreihe mit der diskursiven Zeitschrift ARCH+, bei der Akteure auftreten, die sich mit zeitgenössischer Architektur auseinandersetzen. Auch Brandlhuber war schon zu Gast.
Vom Glockengießen zum Betonabguss
Der Entwurf des Siedle Hauses sei in einem mehrjährigen Prozess und intensiven Austausch zwischen Brandlhuber mit dem Ehepaar Gabriele und Horst Siedle entstanden, heißt es in einer Pressemeldung. Die Bauarbeiten in der Baumannstraße, direkt neben dem Firmengelände in Furtwangen, haben im November begonnen. Das Richtfest ist für Herbst und die Fertigstellung für 2023 anvisiert. Umgesetzt wird das ambitionierte Projekt vom Freiburger Büro Hotz + Architekten.
Dieses Mal konnte Brandlhuber keinen Bestand retten. Das am zukünftigen Standort baugleiche Haus der Siedle Villa (Sitz der Geschäftsführung) war zu marode und wurde abgerissen. Allerdings nicht bevor von der Fassade ein Abguss in Beton gemacht wurde. Mithilfe sogenannter photogrammatischer Scans entstand ein detailliertes 3D-Modell, das die charakteristischen Schindeln wie auch jegliche Risse, Löcher oder Unebenheiten des Hauses erkennen lässt. Das Abbild des ehemaligen Hauses wird der spätere Ausstellungsraum.
Mit den bis zum Boden reichenden Dachflächen aus Lärchenschindeln nimmt das Siedle Haus Bezug auf die Ursprünge des Unternehmens. Dessen Geschichte begann 1750 in einem Schwarzwaldhaus mit dem Gießen von Glocken und Uhrenteilen. Inspiration für Brandlhuber gab ein Aquarell von Max Siedle, dem Vater Horst Siedles, das eines der typischen Schwarzwaldhöfe zeige, die traditionellerweise „Raum geben für sehr vieles“, erläutert der Architekt: als Wohnraum und Stall sowie Herberge für Geräte, Heu und mehr.
Museum und mehr
Schwerpunkt der Kunstsammlung ist die Klassische Moderne mit Werken von Pablo Picasso und Ernst Ludwig Kirchner sowie bedeutende Arbeiten von Fernand Léger, Oskar Kokoschka, Alexej von Jawlensky, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff.
Diese Namen locken sicherlich viele Kunstinteressierte an. „Uns war immer klar, wenn man in der privilegierten Situation ist, Kunst erwerben und sammeln zu können, hat man auch die Pflicht – so haben wir es zumindest empfunden – diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, erklärt Gabriele Siedle. Die Idee die Sammlung in einem eigenen Museum zu präsentieren, bestünde schon lange – und zwar nicht in einer der großen Metropolen, sondern in Furtwangen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sei der Wunsch gewesen, den Menschen in der Region und den Siedle-Mitarbeitern etwas von bleibendem Wert zurückzugeben.
„Uns war immer klar, wenn man in der privilegierten Situation ist, Kunst erwerben und sammeln zu können, hat man auch die Pflicht, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Gabriele Siedle
Gabriele Siedle und ihr 2019 verstorbener Ehemann Horst Siedle wollten mehr als einen reinen Ausstellungsort. Das Haus soll demnach eine Plattform für verschiedene Formate bieten. Geplant sei ein vielseitiges Vermittlungsangebot, das von Workshops über Führungen bis hin zu Vorträgen und Diskursformaten reiche. Das Anliegen der Stifterin ist es, einen übergreifenden Beitrag zur Bildung zu leisten. Die Sammlung und ihre Werke sollen dazu anregen, neue Perspektiven einzunehmen und Fragen des aktuellen Zeitgeschehens zu reflektieren – auch solche, die über die Kunst hinausweisen und gesellschaftliche und politische Fragen aufwerfen. Konkrete Inhalte und Formate befinden sich in der Konzeptionsphase und sind noch nicht spruchreif. An den Veranstaltungen können bis zu 100 Gäste teilnehmen. Das Haus bietet ein Dach für Viele und Vieles.
Derzeit trifft die Sammlung der Horst und Gabriele Siedle Kunststiftung auf die des Museums für Neue Kunst in Freiburg. Ausgewählte Werke sind im Rahmen der Ausstellung „Freundschaftsspiel“ noch bis zum 6. März zu sehen.