Die zweitgrößte Stadt der Ortenau hat zwei Besonderheiten: Sie verfügt über sehr viel Industrie, auch mit alteingesessenen Familienunternehmen. Und sie bietet etwas, was vor allem in vielen Tälern der Ortenau Mangelware ist: Platz für Neuansiedlungen. Auf Maschinen aus Lahr wird auch die New York Times gedruckt.
VON SUSANNE MAERZ
Wer von der A5 nach Lahr fährt, sieht zuerst die Schilder in Richtung des Flughafens und der verschiedenen Industriegebiete. Hier, vor den Toren der Stadt mit ihren rund 47.000 Einwohnern und 3.700 Unternehmen, ist der Wandel am stärksten spürbar: Wo bis zum Fall des Eisernen Vorhangs die kanadischen Streitkräfte präsent waren, reiht sich inzwischen eine namhafte Neuansiedlung an die nächste. Die prominenteste ist das 2016 eröffnete, 130.000 Quadratmeter große Logistikzentrum des Onlinehändlers Zalando. 2.000 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, mehrere Zehntausend Pakete verlassen am Tag den Standort und werden vor allem zu Kunden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gebracht. Die „strategisch günstige“ Lage war laut Zalando-Sprecherin Anne Frohnmayer ein wichtiger Punkt für den Standort.
Den vielen Platz am Lahrer Flugplatz nutzen auch andere Unternehmen für ihre Logistikstandorte – darunter DHL, Rewe, DSV Solutions und Fiege. Von der rund 220 Hektar großen Nettobaufläche sind inzwischen rund 126 Hektar belegt, wie es von der verantwortlichen IGZ Raum Lahr GmbH heißt. Auch kleine und mittlere Betriebe wie ein Architektur- und Ingenieurbüro oder das EDV-Unternehmen Schrempp sind hierhergezogen. Und auch die im benachbarten Ortsteil Hugsweier beheimatete Rubin Mühle hat hier ein Werk eröffnet. Zu den Industrieansiedlungen am Flugplatz zählen der Heizungs- und Klimaspezialist Zehnder genauso wie die Kohler Maschinenbau GmbH.
Günstige Lage nahe der Autobahn
Kohler entwickelt, konstruiert und produziert am Lahrer Flugplatz Richtmaschinen und -anlagen für Industrieunternehmen. Diese werden dazu verwendet, um Bleche vor der Weiterverarbeitung zu richten, das bedeutet, sie zu ebnen und Spannungen im Material zu minimieren. Maschinen von Kohler nutzt beispielsweise die Liebherr Hydraulikbagger GmbH.
Auch Komponenten für die Elektromobilität werden auf den Maschinen der Lahrer gerichtet, bevor sie verbaut werden. Das 1963 von der Familie Kohler in Friesenheim gegründete Unternehmen, das inzwischen zu einer österreichischen Firmengruppe gehört, verlegte 2014 seinen Sitz an den heutigen Standort. Am alten fehlte der Platz für weiteres Wachstum. Am Flugplatz in Lahr gab es ihn samt der Nähe zur Autobahn. „Unser Standort ist für unsere Kunden und Lieferanten sehr günstig gelegen“, sagt Marketingleiterin Isabell Lehmann. 110 Mitarbeiter sind hier beschäftigt.
„Die Lahrer Industrie ist inzwischen ziemlich breit gefächert.”
Ralf Leser, Geschäftsführer Leser GmbH und ALMI-Sprecher
Rund 140 Unternehmen mit zusammen circa 5100 Mitarbeitern haben sich laut IGZ auf dem Flugplatzareal angesiedelt. Dafür, dass auf dem Flugplatz auch noch gestartet und gelandet wird, sorgt der Unternehmer Martin Herrenknecht aus dem nur wenige Kilometer entfernten Schwanau. Er hat nach der Insolvenz der vorherigen Betreibergesellschaft im Jahr 2013 die Lahrer Flugbetrieb GmbH gegründet.
Das Beispiel Nela
Knapp zwei Kilometer entfernt Richtung Innenstadt liegt das Ende der 1980er-Jahre erschlossene und längst volle Industriegebiet West. Hier haben viele traditionelle Lahrer Industriebetriebe ihren Sitz. Darunter ist auch die Brüder Neumeister GmbH, besser bekannt als Nela, der Name steht für Neumeister Lahr. Sie ist ein Beispiel für ein weltweit agierendes, alteingesessenes Lahrer Familienunternehmen. Ihre Maschinen finden sich in Zeitungsdruckereien in New York, Paris und London genauso wie in Indien, Singapur oder Australien und natürlich auch in Südbaden. Nela gehört zu den weltweit führenden Herstellern von automatisierten Anlagen für die Druckvorstufe.
„Wir waren schon immer die Großen in unserer kleinen Nische.“
Frank Neumeister, Geschäftsführer Nela Brüder Neumeister GmbH
„Wir entwickeln Maschinen, die die verschiedenen Platten passgenau auf die Druckmaschinen bringen“, erklärt Frank Neumeister, der das Familienunternehmen in dritter Generation führt. Von Anfang an war Nela weltweit aktiv. „Wir waren schon immer die Großen in unserer kleinen Nische“, sagt er. Stetige Innovationen, aber auch der Kauf von Wettbewerbern waren der Garant dafür. In Halle 1 auf dem Werksgelände warten derzeit Maschinen für Druckhäuser auf der Schwäbischen Alb, in Holland und in Neuseeland auf den Transport, etwa ein Dutzend weitere sind in Arbeit.
Zweites Geschäftsfeld auch passend für Industrie 4.0
In Halle 2 dreht sich alles um das zweite Geschäftsfeld von Nela: Dort schrauben Mitarbeiter Gehäuse von automatischen Prüfanlagen zusammen, arbeiten an den Schaltschränken oder installieren die Software. Der Grund, auf ein zweites Standbein zu setzen, war für Frank Neumeister die Lage der Druckindustrie. Durch die Digitalisierung veränderten sich für seine Kunden Abläufe. Der Kauf einer kleinen, auf Bildverarbeitung spezialisierten Firma half bei der Entscheidung für die automatischen Prüf-maschinen. „Wir verbinden dabei unsere Expertise in der Kamera- und Sensor-technik mit unserem Know-how im Maschinenbau“, sagt Frank Neumeister. Inzwischen macht Nela etwa die Hälfte des Umsatzes mit dem neuen Geschäfts-feld. Die Technologie ist laut Neumeister ein Zukunftsfeld und wird dabei helfen, vernetzte Fabriken im Sinne der Industrie 4.0 zu betreiben. Auch da will das Unternehmen mit dabei sein.
Früher Drucker- und Schächtele-Stadt, heute Branchenmix
In Nicht-Coronajahren setzt Nela rund 20 Millionen Euro um, dazu kommen sieben Millionen Dollar der US-Tochter. Diese beschäftigt 40 Mitarbeiter. In Lahr arbeiten bei Nela 140 Frauen und Männer. Das Unternehmen wurde 1938 gegründet, als Lahr noch eine bekannte Druckerstadt war. Das 1816 gegründete Druckhaus Kaufmann, das diesen Ruf begründete, gibt es heute noch. Lahr wurde lange auch die „Schächtele-Stadt“ genannt, Anfang des 20. Jahrhunderts war es Zentrum der badischen Verpackungsindustrie. Die Familienunternehmen Dahlinger und Leser sowie der Wellpappehersteller Nestler führen diese Tradition immer noch fort.
Wie divers die Lahrer Industrie vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, davon zeugen beispielsweise das Werk des Bad- und Küchenarmaturenherstellers Grohe und des Automobilzulieferers Schaeffler. Dieser ist mit mehr als 1400 Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt. „Die Lahrer Industrie ist inzwischen ziemlich breit gefächert“, sagt auch Ralf Leser, der zusammen mit seinem Bruder Ralf in vierter Generation die Leser GmbH führt und zugleich Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Lahrer Mittelständischer Industrieunternehmen (ALMI) ist. Als weitere Beispiele nennt er die Oscar Weil GmbH mit ihren Stahlwolleschwämmen der Marke „abrazo“ und die unter anderem für ihre Möbelgleiter bekannte Wagner System GmbH.
Doch Lahr ist nicht nur Industrie- und Logistikstadt: Wer weiterfährt, von den Industriegebieten in die Innenstadt, sieht zuerst die markanten Wohntürme und gelangt dann in die historische Altstadt mit ihren kleinen inhabergeführten Geschäften. Nicht zu vergessen das kulinarische Aushängeschild der Stadt, das Michelin besternte Hotel Restaurant Adler im Stadtteil Reichenbach – ebenfalls ein familiengeführtes Unternehmen.