In einem Jahr startet die Landesgartenschau in Neuenburg. Die kleinste Ausrichterstadt aller Zeiten hat ein großes Stadtentwicklungsprogramm drumherum gebaut. Auch andere Städte nutzen solch eine Bühne. Was ihnen die Natur bringt? Eine Bestandsaufnahme.
VON DANIEL RUDA
Bis auf 30 Meter Höhe lässt sich eine Drehleiter der Feuerwehr fahren. Immer wieder ging es vor zwölf Jahren in der Zwei-Mann-Kabine surrend nach oben, jeweils mit einem anderen Landschaftsarchitekten. „Von da konnte man am besten sehen, was mit einer Landesgartenschau möglich wäre“, erinnert sich Joachim Schuster, Bürgermeister von Neuenburg an den Tag, als die Jury einst da war. „Hier der Rhein, dort hinten die Stadt, da könnte man wieder eine Verbindung herstellen“, lautete seine Botschaft für die brachliegende und unzugängliche Fläche direkt am Rheinufer. Unten war eine Biertischgarnitur aufgestellt, es gab noch ein Vesper, „ohne viel Tamtam“ lief die Präsentation vor Ort ab, nachdem das Konzept und die Machbarkeitsstudie schon überzeugt hatten.
Im Juni 2010 bekam die 13.000-Einwohner-Stadt dann den Zuschlag, sie ist damit der kleinste Ort, dem je eine Landesgartenschau (LGS) zugesprochen wurde. Bis 2036 wird das noch so bleiben, so lange im Voraus sind die Schauen schon vergeben, zu denen jährlich vor allem Ü50er mit Vorliebe für Vorgärten pilgern.
Nach Lahr 2018 ist es die zweite Landesgartenschau innerhalb von vier Jahren in Südbaden. Davor muss man bis 2010 (Villingen-Schwenningen), 2004 (Kehl und Straßburg) oder bis in die Neunziger (Weil am Rhein) und Achtziger (Freiburg, Lörrach) zurückgehen. Geblieben sind in allen Städten vor allem grüne Flächen und Parks wie in Freiburg etwa der Seepark, aber auch Infrastruktur, Stadtentwicklung und mancherorts auch ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.
Katalysator für Aufwertung
So angestaubt das Image der Sechs-Monate-Schau an sich sein mag, so sehr ist sie auch ein Katalysator für ein vielfältiges Upgrade der jeweiligen Ausrichterstadt. In Neuenburg ist man gerade mittendrin, dieses Upgrade zu installieren.
„Eine Stadt geht zum Rhein.“ So lautet das Motto der Landesgartenschau, das ohne Marketingsprech rund um irgendwas mit Blumen, Blühen und Begeisterung daherkommt, sondern auf den Punkt bringt, worauf die Zähringerstadt gerade zusteuert
An einem der ersten sonnigen Frühlingstage Ende März ist auch ein Senioren-Ehepaar im abgestimmten Steppjacken-Look für einen Zerstreuungsspaziergang zum künftigen Landesgartenschaugelände gekommen, um das große Motto schon mal im Kleinen umzusetzen. Zwar ist das Gelände gesperrt, aber vor kurzem hat die Stadtverwaltung einen Weg für Spaziergänger geöffnet. „Hier war ja nix, nur Steilufer und Dornenhecken“, sagt der Mann beim Smalltalk über diesen Ort.
Auch wenn die Stadt in ihrem vollständigen Namen den Zusatz „am Rhein“ trägt, hat sie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts räumlich immer mehr von dessen Ufer entfernt. Landschaftlich prägend war der Rhein in Neuenburg schon lange nicht mehr. Der Ortskern liegt 800 Meter entfernt.
„Wenn hier alles fertig ist, wird das richtig Lebensqualität bringen“, sagt die Frau, da freue sie sich schon drauf. Drumherum kann man schon ahnen, dass sie da Recht behalten könnte. Die Bauarbeiten sind bereits ordentlich fortgeschritten. Ein neues Naherholungsgebiet also, direkt am Ufer, mit einer 700 Meter langen Parkpromenade als Herz. Diese Rückkehr an den Rhein werde der Stadt sehr gut tun, sagt auch Bürgermeister Schuster. Bürgerinnen, Bürger, Leute aus der Region, Touristen, allen werde damit etwas geboten. Und nicht nur das: „Auch abseits des Geländes tut sich sehr viel.“
Ein ganzes Stadtentwicklungsprogramm
In den letzten Jahren wurde in Neuenburg um die LGS herum ein ganzes Stadtentwicklungsprogramm gestrickt. „Es sind viele Projekte dabei, die ohne die Landesgartenschau sicher nicht zustande gekommen wären“, sagt Joachim Schuster. Sei es der Bau der beiden Kreisverkehre an der Autobahnanschlussstelle, wo man bis vergangenes Jahr noch täglich im Stau stehen konnte, oder die Rekultivierung der ehemaligen Kreismülldeponie, die direkt an der Autobahn und unweit des Gartenschau-Geländes liegt.
Dazu wird die Ortsmitte saniert, ein großes Geschäfts- und Wohnhaus entsteht, sowie ein Parkhaus mit direkter Verbindung vom Kronenrain-Areal zum Wuhrloch-Park, dem anderen Teil der insgesamt 27 Hektar großen zweigeteilten Gartenschaufläche. Neben vielen Fördermitteln nimmt die Stadt für alles auch selbst ordentlich Geld in die Hand.
„Es hat sich etabliert, dass Gastgeberstädte eine Landesgartenschau immer auch als Hebel für ein richtiges Stadtentwicklungsprogramm sehen“, sagt Tobias de Haën, Geschäftsführer von BW-Grün, der Fördergesellschaft der Landesgartenschauen, die mit Erfahrung und Büro-Manpower vor Ort der Ausrichterstadt unter die Arme greift. „Es ist schon eine große Herausforderung, weil die Verwaltung hier kleiner aufgestellt ist, das merkt man“, sagt er. „Mit einer Landesgartenschau lassen sich sehr viele Maßnahmen auf einen Zeitpunkt hin bündeln und öffentlichen folgen dann auch private Investitionen“, so sei das auch in Neuenburg. Am LGS-Gelände soll beispielsweise ein Seniorenpflegeheim entstehen.
24 Millionen investiert Neuenburg allein 2021
Nimmt man alle Investitionen zusammen, die sich direkt oder indirekt mit der Landesgartenschau verknüpfen lassen, komme man auf 80 Millionen Euro, rechnet Joachim Schuster vor. Eine riesige Summe für die Kleinstadt. Im neuen Haushaltsentwurf, den der Bürgermeister kürzlich im Gemeinderat vorgestellt hat, stehen allein städtische Investitionen von 24 Millionen Euro, „für uns ist das mit großem Abstand ein Rekord, normalerweise stehen da im Schnitt 8 Millionen Euro“, verdeutlicht Joachim Schuster den Effekt.
Die großen direkten Investitionen seitens der Stadt selbst werden erst im nächsten Haushaltsjahr auftauchen: zehn Millionen Euro für die Durchführung, die Summe muss sich durch Sponsoren und Eintrittsgelder während der Dauer von April bis Oktober wieder einspielen. Dazu insgesamt zehn Millionen Euro für die bleibende sogenannte Daueranlage, die Hälfte davon kommt aus einem Fördertopf des Landes.
„Es sind viele Projekte dabei, die ohne die Landesgartenschau sicher nicht zustande gekommen wären“
joachim schuster, bürgermeister von neuenburg
Es gibt noch weitere Zuschüsse rund um das ganze Stadtentwicklungsprogramm und die LGS, Schuster rechnet damit, dass es am Ende rund 17 Millionen Euro sein werden. Die Stadt selbst hat in den vergangenen Jahren elf Millionen Euro Rücklagen gebildet, „davon zehren wir jetzt“. Schuster spricht von einem Generationenprojekt, in dem sich Neuenburg gerade befindet. Dass damit auch eine Verschuldung auf die Stadt zukommt, „das muss es uns wert sein“.
Hört man sich in anderen Städten um, die eine Landesgartenschau ausgerichtet haben, bekommt man in Rathäusern nur zu hören, wie toll das doch war. Guido Schöneboom, Erster Bürgermeister von Lahr, wo die LGS 2018 zu Gast war, berichtet, dass die 50.000-Einwohner-Stadt seither ein schöneres Gesicht und auch ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit habe. Noch heute liefen viele ehrenamtlichen Bürgerprojekte, die zur LGS angestoßen wurden.
In Lahr blieb 2018 ein Minus in der Kasse
Auch Lahr entwickelte die Stadt baulich entlang der Veranstaltung ein Stück weiter: Halle, Museum, das Gelände an sich, eine große Fußgängerbrücke, die quasi im letzten Augenblick vor der Eröffnung noch fertiggestellt wurde. „Die Schau wirkt noch an vielen Stellen nach, das sieht und spürt man“, sagt Schöneboom. Zwar kam die Lahrer Variante nicht auf die kalkulierte Zahl von einer Million Besucher, sondern nur auf 800.000, was ein Minus in der Kasse von anderthalb Millionen nach sich zog, aber das sei bei all den anderen positiven Effekten zu verschmerzen gewesen. „Wir würden es jederzeit wieder tun.“
„Die Durchführung ist fast immer ein Zuschussgeschäft“, sagt Tobias de Haën, das sei neben Lahr auch die Erfahrung vieler anderer Städte gewesen. Auch in Neuenburg ist man darauf vorbereitet. Die Einnahmen werden konservativ kalkuliert, obwohl man im Markgräflerland mit deutlich mehr elsässischen Besuchern rechnet als in Lahr. Nicht nur weil Frankreich direkt auf der anderen Rheinseite liegt, ist man optimistisch. Es gibt auch schon eine Kooperation, das Elsass sowie die Basler Region werden sich mit eigenen Bereichen auf der Schau einbringen – die Trinationalität ist eine Premiere für eine LGS.
Eine weniger schöne Premiere ist der Umstand, dass es 2022 gleich zwei Landesgartenschauen parallel geben wird. Nach der coronabedingten Absage im vergangenen Jahr hat Überlingen am Bodensee auch seine diesjährige Variante verschoben. In Neuenburg nimmt man das zweckoptimistisch hin, man hat gar keine andere Möglichkeit. Die Menschen werde es im nächsten Jahr nach Corona bestimmt umso mehr nach draußen auf Veranstaltungen ziehen.
„Wir sind gut im Zeitplan“, sagt Andrea Leisinger, die Geschäftsführerin der Landesgartenschau-GmbH, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Die Arbeiten für die Daueranlage werden noch in diesem Sommer abgeschlossen, wo neben Corona auch die Kampfmittelbeseitigung alles etwas erschwert hat. Jetzt geht es gerade daran, das Programm zu entwickeln und das Marketing ins Laufen zu bringen. „Man spürt, dass jetzt Zug reinkommt.“ Die Bürger sollen dazu animiert werden, an der LGS aktiv mitzuwirken – als „Rheinheimische“.
Offenburg bereitet sich auf das Jahhr 2032 vor
Rund 90 Kilometer nördlich kann man es derweil noch ruhig angehen lassen: Ende vergangenen Jahres bekam Offenburg den Zuschlag für die LGS 2032. Nun wird in ersten Schritten das erarbeitete Konzept angegangen, das eine kleine Parallele zu Neuenburg hat. Auch Offenburg spielt Stadt, Land, Fluss. „Die Kinzig, die durch die Stadt fließt, ist eigentlich identitätsstiftend, aber sie ist fast nicht erlebbar für die Menschen, das wollen wir ändern“, sagt Oberbürgermeister Marco Steffens. Auch er hebt auf die Möglichkeit der Stadtentwicklung ab, die der Zuschlag für die Schau mit sich bringt: Die Kinzig wird renaturiert, nahe des Stadtzentrums entsteht ein Park, an den ein „grüner Hochschul-Campus“ angedockt werden soll, die Sportstätten werden neu konzipiert und auch das Burda-Areal am Stadteingang wird in das Konzept einbezogen.
Auch der Jury-Besuch im letzten Sommer in Offenburg war dem von Neuenburg damals ähnlich. Es ging hoch hinaus, um aus rund 60 Metern Höhe auf das zukünftige Gelände zu schauen – aus dem 15. Stock des Burda-Hochhauses. Die Feuerwehrleiter brauchte es dazu nicht, in den Aufzug durften trotzdem auch nur jeweils zwei Leute rein, wegen Corona.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Printausgabe vom April 2021.