Pflanzenöl und Mehl bei Endverbrauchern sowie Kabelbäume und Chips in der Industrie stellten vergangenes Jahr die prominentesten Lieferengpässe dar. Über dieses und andere Probleme, Gründe dafür sowie die aktuelle Situation spricht Streck-Geschäftsführer Gerald Penner.
INTERVIEW: KATHRIN ERMERT
Herr Penner, der Beginn der Coronapandemie ist drei Jahre her, und noch immer hakt es in den Lieferketten. Warum?
Das ist eine ganz bunte Gemengelage verschiedener Gründe, die sich teilweise gegenseitig bedingt haben. Dass mit der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg zwei so große Krisen aufeinanderfolgen, war in keinem Notfallplan vorgesehen. Es war nicht vorstellbar, dass 2020 fast kein Passagierflugzeug unterwegs ist. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Luftfracht, denn die fliegt zu 50 Prozent in Passagierflügen mit. Nach China fliegt immer noch so gut wie nichts. Und die Landalternative, die Seidenstraße, führt durch Russland – das nächste Problem für die Europäer. Für die weltweiten Lieferketten spielt der Krieg in der Ukraine allerdings kaum eine Rolle.
Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die europäische Logistik?
Im Frühjahr gab es Engpässe bei Grundstoffen wie Holz oder Metall und bei vielen Produkten, nicht nur Kabelbäumen. Man glaubt gar nicht, was alles in der Ukraine hergestellt wird! Zum Beispiel die für Europaletten verwendeten Nägel. Deshalb fehlten zwischenzeitlich die Paletten. Der Effekt war der gleiche wie bei Corona: Alle hatten dasselbe Problem und stürzten sich auf die verbliebene Ware. Schon war Notstand. Ähnlich beim Pflanzenöl. Ein Kunde von uns braucht das fässerweise als Grundstoff für seine Kühlmittel. Man merkte, dass vieles auf Kante genäht war in den einzelnen Produktionsschritten oder dass man sich auf zu wenige Lieferanten verlassen hatte – wie Apple auf eine große Fabrik in China. Das verdeutlicht die Fragilität der Lieferketten. Die sind nicht auf Überbedarf angelegt. Wenn alle überreagieren, führt das zum Kollaps.
Wie haben Sie bei Streck darauf reagiert?
Wir haben qualifizierte Mitarbeiter, viele aus der eigenen Ausbildung, die ihren Job gelernt haben, die die Produkte und Anforderungen unserer Kunden kennen und die sich immer eine Lösung einfallen lassen. Es gibt viele kleine Schräubchen, die in Summe dafür sorgen, dass es läuft. Wie viele Teilschritte für jeden einzelnen Transport nötig sind, kann sich ein Außenstehender nur schwer vorstellen. Vom Abholen über mehrere Umschlagplätze bis zur Zustellung braucht es bei Export-, Luft- und Seetransporten fünf bis zehn Teilschritte. Wenn einer nicht funktioniert, funktioniert die ganze Kette nicht. Deshalb können auch wir nicht zaubern, wenn der Container im Stau steht. Manchmal war die Lösung einfach Geduld.
Wieviel Geduld brauchte es?
Die Pünktlichkeitsquote in der Seefracht war teilweise auf 30 Prozent und weniger abgesunken. Die Verspätungen betrugen Tage, teilweise Wochen. Der Grund waren erst die Hafenschließungen in China, später in anderen Teilen der Welt, alles krankheitsbedingt. Es wurden Häfen ausgelassen und es kam vor, dass Schiffe im Kreis fuhren. Die Pünktlichkeit hat sich nun wieder deutlich verbessert, da sich die Staus vor den Häfen aufgelöst haben.
Diese Probleme gehören der Vergangenheit an?
Ja, die Lieferketten funktionieren weitestgehend wieder. Weil vieles besser geworden ist, zum Teil aber auch, weil wegen der Energieknappheit weniger produziert und somit transportiert wird. Und weil man sich an den Wahnsinn, also längere Lieferzeiten, gewöhnt hat und teilweise Sicherheitsbestände aufgebaut wurden.
Sind nun alle Probleme gelöst?
Nein. Allen fehlt es an Personal. Das ist kein Fachkräftemangel mehr, sondern ein Arbeitskräftemangel. Und der zieht sich überall durch. Deswegen gibt es zu wenig Material und Transportkapazitäten. Das merken wir jetzt in der Grippesaison gerade wieder, wenn viele krank sind. Im Sommer kam noch das Niedrigwasser der Flüsse hinzu, das die Binnenschifffahrt behinderte.
Wie wirkt sich die chinesische Erkrankungswelle infolge der geänderten Covidpolitik aus?
Das ist noch offen. Teilweise sind eh schon andere Beschaffungswege gewählt worden, und man hat sich daran gewöhnt, dass es länger dauert. Man arbeitet wieder mit Puffern und Lagern – all dem, was man zuvor abgeschafft hatte. Denn es hat sich gezeigt: Die Lieferketten waren zwar verlässlich, aber eben auch verletzlich.
Es wird diskutiert, die Produktion aus Fernost wieder herzuholen. Halten Sie das für sinnvoll?
Das ist an vielen Stellen längst im Gang und stand auch vor Corona schon im Raum. Denn der Preisvorteil ist sukzessive abgeschmolzen. Deshalb hat es sich zunächst von China in andere Länder bewegt. Jetzt hat sich die Kalkulation aufgrund der Logistikkosten und der Verlässlichkeit nochmals verändert, weshalb viele Unternehmen statt Single-Sourcing nun Multi-Sourcing, also mehrere Bezugsquellen haben.
“Egal wo produziert wird: Logistik wird es immer brauchen.”
Gerald Penner
Und wo sind die anderen Bezugsquellen?
Da ist kein Trend erkennbar. Aber es gibt eine andere Tendenz, die gerade massiv von den USA forciert wird: lokale Produktionen zu stärken. Auch die Chinesen verfolgen eine ähnliche Strategie. Dennoch wird es nie so sein, dass sämtliche Teile vor Ort produziert werden. Die Frage ist: Transportiert man die Einzelteile oder das fertige Produkt? Logistik wird es immer brauchen.
Wie wird sich das seit Jahresbeginn geltende Lieferkettengesetzes auswirken?
Das Lieferkettengesetz verlangt von allen Beteiligten eine Transparenz über die Lieferketten und die Produktionsbedingungen. Dies bedingt zusätzliche Dokumentationen und Kontrollen. Auf die eigentliche Logistik, das heißt die Bewegung der Waren, hat es jedoch kaum Einfluss.
Was erwarten Sie sonst für dieses Jahr?
Ich habe mir abgewöhnt, etwas Konkretes zu erwarten, weil es eh anders kommt. Die Logistik ist eine spannende und dynamische Welt, die sich gerade rasant verändert.
Gerald Penner (52) hat BWL in Gießen studiert und arbeitet seit 1998 bei Streck, seit 2010 als Geschäftsführer für Logistik, Technik & Immobilien. Die Streck Transport GmbH (1946 in Lörrach gegründet) gilt mit 1220 Mitarbeitenden an zehn Standorten in Deutschland und der Schweiz als größter südbadischer Logistiker. „Wir verbinden den Schwarzwald mit dem Rest der Welt“, lautet der Anspruch. Streck ist breit aufgestellt, zählt den Querschnitt der hiesigen Wirtschaft zu seinen Kunden und hatte deshalb weder in den Coronajahren 2020 und 2021 noch im zurückliegenden Jahr 2022 nennenswerte Einbußen. Die Zahl der Sendungen lag recht konstant bei rund 1,7 Millionen, die Tonnage bei knapp einer Million.