Die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer erhält den diesjährigen Johann-Peter-Hebel-Preis, der im Mai in Hausen im Wiesental verliehen wird. In ihren jüngsten drei Romanen schreibt sie über die Geschichte ihrer Familie und erreicht damit ein großes Lesepublikum.
VON CHRISTINE WEIS
“Schreiben ist mein Beruf und ich nehme die Sache ernst“, sagt Monika Helfer (Jahrgang 1947) in einem Interview. Seit den 1970er Jahren erscheinen Romane, Kinderbücher und Theaterstücke von ihr. Sie schreibt keine Wälzer, ihre Sprache ist schnörkellos und klar. „Ich hatte immer wenig Zeit zum Schreiben, da gewöhnt man sich an die kurze Form“, bekannte sie gegenüber dem Frauenmagazin Brigitte.
Sie hat vier Kinder, zwei mit ihrem zweiten Ehemann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier. Eines ist verunglückt, auch darüber schreibt sie: „Meine Tochter Paula ist mit einundzwanzig Jahren von einer Burgruine gestürzt und von einem Stein erschlagen worden. Sie begleitet mich jeden Tag und den ganzen Tag, genauso wie meine Mutter, die mit zweiundvierzig starb und uns Kinder zurückgelassen hat, vier waren wir. Ich war gerade elf Jahre alt.“
Diese Passage ist aus dem Buch „Die Bagage“, das 2020 erschien, sich seitdem tausendfach verkaufte und viel rezensiert wurde. In kurzem Abstand folgten mit „Vati“ (2021) und „Löwenherz“ (2022) die weiteren Bände der Trilogie, die ebenfalls Bestseller sind. In den drei schmalen Werken blättert Helfer ihre Familiengeschichte auf.
Die Alltagswelt der einfachen Leute
Die Fäden aus eigenen Erinnerungen und Berichten von Verwandten spinnt sie zusammen mit Erfundenem. Auf diese Weise begibt sich die Autorin „auf die Reise zu ihren Wurzeln im Sprach- und Kulturraum Vorarlbergs“, sagte Petra Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst von Baden-Württemberg, anlässlich der Bekanntgabe der Hebel-Preisträgerin in Stuttgart.
Die Autorin richte den Blick auf „die Alltagswelt der einfachen Leute, die die tiefgreifenden Erfahrungen und Entbehrungen aus der Zeit zweier Weltkriege nicht loslässt.“„Die Bagage“ handelt von Helfers Großeltern Josef und Maria Moosbrugger, deren jüngste Tochter Grete Monika Helfers Mutter ist. Die Familie lebt ärmlich am Rand eines abgelegenen Dorfes im Bregenzer Wald auf einem kleinen Hof mit zwei Kühen und einer Ziege. Josef wird 1914 zum Kriegsdienst eingezogen.
Als einer der wenigen Soldaten aus dem Dorf überlebt er den Krieg. Er kommt gezeichnet zurück. „Wenn ich es ganz hart ausdrücke (…), dann habe ich den Papa im Krieg verloren. Ich habe vorher zu ihm Papa gesagt und, nach dem Krieg habe ich Vater gesagt“, zitiert Helfer ihre Tante. Die verarmte und dann verwaiste Familie wird von den Dorfbewohnern als „Bagage“ stigmatisiert und ausgeschlossen.
In „Vati“ steht Helfers Vater im Zentrum. Auch er heißt Josef, kommt aus bäuerlichen, prekären Verhältnissen und muss ebenso in den Krieg, in den nächsten. Er wird verwundet, verliert ein Bein. Im Lazarett lernt er Grete kennen, das vom Vater ungeliebte Kind der „Bagage“. Josef und sie übernehmen nach dem Krieg das Kriegsopfer-Erholungsheim auf der Tschengla, ein Hochplateau bei Bludenz im Voralberg.
Johann-Peter-Hebel Preis
Mehr als die Familie liebt der Vater die Bücher, das lässt er die Kinder spüren. Auf der idyllischen Alm erleben Monika und ihre Geschwister zunächst dennoch eine glückliche Kind-heit, bis die Mutter früh an Krebs stirbt. Der Vater taucht lange Jahre ab. Die Mädchen wachsen bei einer Tante auf. Der Bruder Richard kommt zu anderen Verwandten. Um Richard dreht sich der Roman „Löwenherz“.
Der Schriftsetzer mit künstlerischer Ader und einer Gehbehinderung ist ein Sonderling. In der Zeit als er sich um ein Mädchen und einen Hund kümmerte, fand er Zutrauen ins Leben. Als er Kind und Tier verliert, wird er haltlos. Mit 30 begeht er Suizid. Tod, Krieg, Verletzungen, Liebe – es sind die großen menschlichen Themen, die sich durch Helfers autofiktionalen Texte ziehen.
Die Jury hebt in ihrem Statement hervor, dass der Autorin in einem nüchtern-unpathetischen Erzählstil eine präzise und empathische Zeichnung der Figuren gelinge, gerade auch von gesellschaftlichen Außenseitern. Und sie zeige durch den Wechsel der Gegenwarts- und Vergangenheitsperspektive, „dass die Vergangenheit nie abgeschlossen ist, dass Unsagbares, Unausgesprochenes über drei Generationen nachwirke“.
Die Preisverleihung der mit 10.000 Euro dotierten Auszeichnung findet traditionell am 10. Mai, dem Geburtstag von Johann-Peter Hebel (1760–1826), in seinem Heimatort Hausen im Wiesental statt. Er war ein Vielschreiber, seine Kalendergeschichten und Mundartge-dichte würde man heute als Bestseller bezeichnen. Das Schreiben verstand der Theologe und Lehrer nicht als seinen Beruf. Man darf gespannt sein, was die Preisträgerin Helfer über Hebel sagen oder schreiben wird.