Das Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ ist vielerorts ein Tabu. Betroffene wie Unternehmen sind wenig informiert, beispielsweise über Rechtliches oder Ansprechbarkeit. Die Beratungsstelle Frauenhorizonte will dies mit Fortbildungen ändern. Ein Gespräch mit Christian Kuhn-Régnier, Fachanwalt für Arbeitsrecht, über das Thema.
INTERVIEW: RUDI RASCHE
Herr Kuhn-Régnier, wie verbreitet ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Ich kann nur vermuten, dass es solche Fälle häufig gibt. Dafür spricht die Vielzahl der hierzu ergangenen Urteile diverser Arbeitsgerichte bis hin zum Bundesarbeitsgericht, die sicherlich nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Ich befürchte, dass es eine große Dunkelziffer gibt, da nicht alle Übergriffe angezeigt oder gerichtlich ausgetragen werden.
Wie lässt sich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz arbeitsrechtlich eingrenzen?
Nach der gesetzlichen Definition stellt jedes unerwünschte sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt, eine sexuelle Belästigung dar. Dazu gehören sowohl sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, sowie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sowie das Zeigen pornographischer Darstellungen.
Gibt es einen gemeinsamen Nenner bei den Klientinnen, die sich von Ihnen bezüglich sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beraten lassen?
Ganz wichtig ist die Empathie, das Zuhören und die Sachverhaltsermittlung. Das geht nicht schnell, sondern braucht manchmal mehrere Termine, bis sich Vertrauen aufgebaut hat, die Dinge zu benennen. Dann kommt die schwierige Phase der rechtlichen Beratung, die manchmal durchaus ernüchternd ist für die Betroffenen. Auf der einen Seite ist es zwingend, jede Form der sexuellen Belästigung zu benennen und auch dafür zu sorgen, dass bereits erfolgte Belästigungen sanktioniert werden und für die Zukunft vermieden werden. Auf der anderen Seite ist stets zu bedenken, wie sich das arbeitsrechtlich eigentlich gebotene Vorgehen auf das laufende Beschäftigungsverhältnis auswirkt. Es ist leider oft festzustellen, dass es die belästigten Beschäftigten sind, die – um sich zu schützen – um eine Versetzung bitten oder das Arbeitsverhältnis ganz beenden, und nicht die eigentlichen „Störer“ zur Verantwortung gezogen werden.
Was sagt die Gesetzeslage? Wozu sind Unternehmen und Organisationen rechtlich bindend verpflichtet, ab welcher Größe? Und was sagt die Realität?
Jedes Unternehmen hat seine Fürsorgepflicht zu erfüllen, unabhängig von der jeweiligen Größe. Jeder Arbeitgeber ist dabei verpflichtet, geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen bei verübten Benachteiligungen und Belästigungen zu ergreifen, wenn diese während der Ausübung der Tätigkeit erfolgten. Die gesetzliche Regelung umfasst dabei auch präventive Maßnahmen, wozu in Einzelfällen auch Schulungen der Beschäftigten gehören können. Verstößt ein Beschäftigter gegen die gesetzlichen Verbote, muss der Arbeitgeber geeignete bzw. erforderliche Maßnahmen ergreifen, wozu beispielhaft Abmahnungen, Umsetzungen, Versetzungen oder auch die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses des „Störers“ gehören können. Den belästigten Beschäftigten steht neben ihrem Beschwerderecht auch ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Das heißt, sie können ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einstellen, wenn der Arbeitgeber keine geeigneten und erforderlichen Maßnahmen zur Unterbindung einer sexuellen Belästigung ergreift und die Einstellung der Tätigkeit zum Schutz der Beschäftigten erforderlich ist. Nach unserer Erfahrung sind die meisten Arbeitgeber in der Zwischenzeit hinreichend sensibilisiert und in den meisten Fällen auch sehr um Sachverhaltsaufklärung bemüht.
Was raten Sie Betroffenen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?
Zunächst gegenüber dem „Störer“ deutlich machen, dass seine Vorgehensweise unerwünscht ist und gegebenenfalls Konsequenzen nach sich ziehen wird. Wichtig ist auch, Kolleginnen und Kollegen einzuweihen und sich zunächst auf dieser Ebene um Unterstützung zu bemühen. Auch die direkten Vorgesetzten einzubeziehen und den Kreis der „Wissenspersonen“ hierdurch zu erweitern und ergänzend um Unterstützung zu bitten, kann hilfreich sein. In jedem Fall gilt: intensive Betreuung und keine leichtfertigen Schritte. Ein Verfahren kann auch verloren werden, was besonders bitter sein kann und die Situation nur noch verschlimmert. Die Chancen und Risiken müssen in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.
Der Arbeitsrechtler Christian Kuhn-Regnier berät und vertritt Klientinnen, die bei Frauenhorizonte Unterstützung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz suchen und anwaltliche Beratung benötigen. Damit dieser Schritt nicht an der Kostenhürde scheitert, wird Frauenhorizonte von der CMS Stiftung gefördert. Die Kosten der beiden Erstberatungen übernimmt die Stiftung. Sie erhalten so die Möglichkeit dagegen vorzugehen, erste juristische Schritte einzuleiten und damit Tätern ihre Grenzen aufzuzeigen.
netzwerk südbaden unterstützt mit einer Reihe von Beiträgen seit April 2022 die Arbeit von Frauenhorizonte bei diesem wichtigen Projekt. Dabei soll die Arbeit von Vorreitern dargestellt werden, aber auch Experten sollen zu Wort kommen.