Die Transformation der Medien ist seit Jahren im Gange und hat in den zurückliegenden Monaten nochmals Fahrt aufgenommen angesichts hoher Herstellungskosten im Print und weiterer digitaler Möglichkeiten. Was lesen, hören und sehen wir künftig?
VON KATHRIN ERMERT
Der Landkreis Prignitz im Nordwesten Brandenburgs ist eine idyllische Gegend mit vielen Seen, Alleen, Pferden – und wenigen Menschen. Nur 36 Einwohner teilen sich einen Quadratkilometer (im Bundesdurchschnitt sind es 230, in Baden-Württemberg 312). Und nur ein kleiner Teil von ihnen liest den Prignitz-Kurier, die Lokalausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ), was für die Austräger weite Wege und für den Verlag hohe Kosten bedeutet. Das lohnt sich nicht mehr, hat deshalb der Eigentümer, die Madsack Mediengruppe, vor Kurzem bekanntgegeben. Man könne die gedruckte Zeitung nicht mehr kostendeckend zustellen. Im Herbst stellt die MAZ die Printausgabe in der Prignitz ein, die Abonnenten sollen stattdessen das E-Paper lesen.
Kann Ähnliches in Baden-Württemberg passieren? Auch hier hat sich die Schere zwischen abnehmenden Printauflagen auf der einen und gestiegenen Energie-, Papier- sowie Lohnkosten auf der anderen Seite noch weiter geöffnet, zuletzt von den Auswirkungen des Ukrainekriegs verstärkt. „Es wird immer schwieriger, das gedruckte Produkt zuzustellen – und Personen zu finden, die das morgens zuverlässig tun“, sagt Holger Paesler. Der 53-jährige promovierte Jurist hat zehn Jahre die Ulmer Verlagsgruppe Ebner geleitet und vertritt jetzt als Geschäftsführer des Verbands südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV) die Interessen der Branche im Land.
Kanarienvogel im Bergwerk
Seine Lösungsideen? Zum Beispiel Zustellgemeinschaften, (noch) höhere Preise für die Papierausgabe oder die gedruckte Zeitung per Post verschicken, weil die Lohnkosten der Zusteller mittlerweile das Porto übertreffen. Und in manchen ländlichen Regionen könnten tatsächlich digitale Angebote manch eine gedruckte Ausgabe ersetzen. Die Interlakener Zeitung Jungfrau, die Paesler in dem Zusammenhang als Beispiel erwähnt, sieht sich selbst als Pionier der Digitalisierung im Zeitungswesen. Sie ist ein Zusammenschluss mehrerer kleiner lokaler Tageszeitungen im Berner Oberland. Ab dem Jahr 2000 wurden nur noch zwei Ausgabe pro Woche gedruckt, seit 2020 erscheint sie ausschließlich als E-Paper.
„Die Zeitungsverlage sind bei der digitalen Transformation der Kanarienvogel im Bergwerk“, sagt Paesler. Sie fallen als Erste von der Stange, und warnen so den Rest, dass die Luft toxisch geworden ist. Denn eine Lösung für das grundlegende Problem der journalistischen Medien im Internet ist laut Paesler nach wie vor nicht gefunden: ein wirklich funktionierendes Geschäftsmodell. Dass also die journalistischen Inhalte vor dem Zugriff von Suchmaschinen und anderen elektronischen Dienstleistern geschützt beziehungsweise die Verlage für die Nutzung angemessen bezahlt werden. Paywalls und Abomodelle allein schaffen das nicht.
“Es wird immer schwieriger, das gedruckte Produkt zuzustellen – und Personen zu finden, die das morgens zuverlässig tun.“
Holger Paesler, GEschäftsführer des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger
Eigentlich soll das sogenannte Leistungsschutzrecht, ein Teil des Urheberrechts, dies seit 2019 gewährleisten. Aber die Verwertungsgesellschaft, die für viele Verlage tätig ist, streitet noch mit den Betreibern der Suchmaschinen über den angemessenen Preis für die Inhalte. Das Gesetz lässt zudem Einzelverträge zu, die die Digitalkonzerne mit einigen großen Verlagen geschlossen haben, während die große Zahl der kleineren Häuser leer ausgeht. „Solange die Verhandlungen laufen, bekommen die Verlage kein Geld“, erklärt Paesler.
Und solange muss das angeschlagene analoge Geschäft die Kosten für die digitale Transformation erwirtschaften. „Die Verlage wollen ja ins Netz“, betont der VSZV-Chef. „Sie müssen dort aber auch Erlöse erzielen, sich refinanzieren.“ Diese Voraussetzungen seien noch nicht hinreichend gegeben. Und da komme jetzt auch noch ChatGPT dazu. Die künstliche Intelligenz bedient sich über die Suchmaschinen ja auch wieder der journalistischen Inhalte der Verlage, deren Geschäftsmodell sie weiter zusetzt. Ein Teufelskreis. „Die Verlage haben ein Kostenproblem“, fasst Paesler zusammen.
Weniger Auflage, weniger Umsatz
Das bestätigt ein Blick auf die Zahlen: Der Umsatz der Zeitungsverleger hat sich, wenn auch nicht im selben Ausmaß, parallel zu den sinkenden Druckauflagen verringert. Seit dem Jahr 2000 ist die Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland um mehr als die Hälfte zurückgegangen, von knapp 30 Millionen gedruckten Exemplaren pro Erscheinungstag auf rund 12 Millionen. Der Umsatz sank im selben Zeitraum von rund 10,8 Milliarden Euro auf etwa 7,2 Milliarden Euro. Bemerkenswert ist die Verschiebung zwischen Anzeigen- und Vertriebsumsatz: Im Jahr 2000 machten die Anzeigen etwa zwei Drittel des Gesamtumsatzes der Tageszeitungen aus, der Verkauf das restliche Drittel. Das Verhältnis hat sich auf etwa ein Viertel zu drei Viertel mehr als umgekehrt.
Wie sieht es bei den Tageszeitungen in der Region aus? Die Auflagen der Badischen Zeitung und des Südkuriers sind auch deutlich gesunken, allerdings nicht ganz so dramatisch wie im deutschen Durchschnitt. Die Badische Zeitung verkauft laut der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) mittlerweile rund 117.000 Exemplare pro Tag, davon gut 100.000 gedruckt; der Südkurier etwa 100.000 (80.000 gedruckt). Das sind jeweils knapp ein Drittel weniger als im Jahr 2000. Die gedruckte Auflage sank um annähernd die Hälfte.
Über diese Entwicklung hätten wir gern mit dem Badischen Verlag und dem Südkurier Medienhaus gesprochen. Leider war in beiden Häusern niemand dazu bereit. Der Reiff-Verlag, der das Offenburger Tagblatt und andere Tageszeitungen in der Ortenau herausgibt, wollte ebenfalls kein Interview geben. Deshalb konnten wir ihn nicht fragen, warum er seit dem Jahr 2000 keine Auflagen mehr an die IVW meldet und warum er als einziger Verlag im Land nicht Mitglied im Verlegerverband ist.
Verkäufe und Entlassungen
Auch der Burda-Verlag äußerte sich nur schriftlich. Auf die Frage, wie es den Printprodukten geht, antwortete eine Unternehmenssprecherin: „Im Burda-Verlag gab es zuletzt aufgrund der insgesamt großen wirtschaftlichen Herausforderungen in der Verlagsbranche (sehr hoher Kostendruck u.a. bei Papier, Energie, sinkende Kauflaune durch hohe Inflation etc.) einige in die Zukunft gerichtete, punktuelle Umstrukturierungsmaßnahmen an einzelnen Verlagsstandorten. Insgesamt ist der Burda-Verlag sehr solide aufgestellt.“
In Hamburg war das Beben größer, dort hatte die RTL-Bertelsmann-Gruppe im Februar verkündet, Dutzende Zeitschriftentitel des Verlags Gruner + Jahr, den sie zwei Jahre zuvor gekauft hatte, einzustellen oder zu verkaufen und hunderte Stellen zu streichen. Unter anderem die Zeitschriften Barbara, Brigitte Woman, Eltern oder GEO Saison soll es bald nicht mehr geben. Magazine wie 11 Freunde, Art, Beef, Business Punk oder Essen und Trinken sowie Salon sollen verkauft werden. Ende Mai hat es wohl 15 Gebote gegeben, wie eine RTL-Sprecherin der Süddeutschen Zeitung sagte.
“Es gehört zu unserer Verantwortung, journalistische Produkte nicht nur zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, sondern sie auch einzustellen, wenn sie nicht funktionieren.“
Philipp Welte, Burda-Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Medienverbands der freien Presse
Schon vor diesem Kahlschlag sah der Markt für Publikumszeitschriften nicht eben rosig aus. Die Gesamtauflage hat sich von rund 128 Millionen im ersten Quartal 2000 auf knapp 50 Millionen Anfang dieses Jahres reduziert. „Ist das noch eine Marktbereinigung oder die beginnende Zerstörung des Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes?“, fragte das Medienmagazin Horizont kürzlich den Vorstandsvorsitzenden des Medienverbands der freien Presse, Philipp Welte, der zugleich Vorstand von Hubert Burda Media ist. „Es gehört doch zu unserer alltäglichen Verantwortung, journalistische Produkte nicht nur zu entwickeln und auf den Markt zu bringen – sondern sie auch konsequent einzustellen, wenn sie eben nicht funktionieren und durch ihre Unrentabilität das gesamte System eines Verlages belasten“, lautete die Antwort. Diese kaufmännische Sorgfaltspflicht gelte gerade in einer Zeit knapper Ressourcen und hoher Kosten – „das tun wir bei Burda kontinuierlich“.
Wie das aussieht, hat die Burda-Belegschaft jüngst gemerkt: Auch hier wurden im Frühjahr Redaktionen neu sortiert, und es gab ein paar Dutzend Entlassungen. Entsprechend schlecht ist seither die Stimmung unter den verbliebenen Mitarbeitenden (circa 7800 sind es in Deutschland, 1500 in Offenburg). „Jeder ist verunsichert, wie es jetzt weitergeht“, berichtet eine Redakteurin. „Man hat das Gefühl, dass es keine richtige Digitalstrategie gibt und viele Entscheidungen gerade übers Knie gebrochen werden, nur um etwas entschieden zu haben, ohne darüber nachzudenken, was die Folgen sein könnten. Die Wertschätzung fehlt, gerade weil teils extrem betont wird, dass KI toll ist und einen Großteil unserer Arbeit ab-, sprich übernehmen kann.“ Dieses Statement stammt von Anfang Mai. Kurz danach wurde bekannt, dass ein Extraheft „Kochen & Backen“ der Zeitschrift Lisa, deren Redaktion auch Federn gelassen hat, komplett von künstlicher Intelligenz erzeugt wurde – alle Texte, alle Bilder.
Zahlungsbereitschaft steigt
Auch Produkte, die angetreten sind, die klassischen Medien zu ersetzen, haben Schwierigkeiten. Das amerikanische Lifestyle-Magazin Vice zum Beispiel, das auch einen deutschen Ableger hat und laut Süddeutscher Zeitung (SZ) kapiert zu haben schien, wie man digital Geld mit Journalismus verdienen kann, hat im Mai Insolvenz angemeldet. Wegen hoher Schulden und fehlender Werbeeinnahmen. Davon sind auch andere Portale betroffen, wie die SZ weiter berichtet: Das Onlinemagazin Buzzfeed stellte seine Pulitzer-Preis-gekrönte Sparte Buzzfeed News ein und Paramount Media das legendäre Popkultur-Programm MTV News.
Immerhin deutet sich seitens der Internetnutzer ein Wandel in der Gratismentalität an, die bislang vor allem in Deutschland dominierte. Laut der aktuellen Paid-Content-Studie der Score-Media-Gruppe geben immer mehr Menschen für Onlineangebote Geld aus, vor allem für Streamingdienste. Der jüngste Digital News Report vom Reuters Institute der Universität Oxford konstatiert eine steigende Zahlungsbereitschaft für digitalen Nachrichtenjournalismus. Er zeigt allerdings auch, dass immer weniger Menschen Nachrichten verfolgen und die junge Generation sie nicht über klassische, sondern fast ausschließlich über soziale Medien konsumiert.
Die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau schauen zwar konstant viele Menschen – etwas mehr als zehn Millionen waren es durchschnittlich laut Statista im vergangenen Jahr –, doch sie werden immer älter. Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei fast allen deutschen Fernsehsendern deutlich über 50 Jahre, bei den öffentlich-rechtlichen sogar über 60. Um auch jüngeres Publikum zu erreichen, betreibt die Tagesschau Kanäle bei Facebook, Twitter, Mastodon, Youtube, Instagram und Tiktok, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Einer Reuters-Umfrage zufolge ist die Tagesschau die glaubwürdigste Nachrichtenquelle: 67 Prozent der Deutschen schenken ihr Vertrauen. Das heißt aber auch: Ein Drittel vertraut ihr nicht und sucht Informationen andernorts, wo sie vielleicht nicht von Journalisten verarbeitet und eingeordnet worden sind.
In der Nachrichtenwüste
Die Veränderungen der Medienlandschaft sind nicht nur ein Problem für Sender und Verlage. Dass die sogenannte vierte Gewalt schwächelt, kann auch die Demokratie gefährden. „Die systematische Verschmutzung der Informationskreisläufe überall auf der Welt destabilisiert Demokratien und verleiht Antiliberalen Auftrieb, wie zahlreiche Studien im Detail zeigen“, schreibt der Medienprofessor Bernhard Pörksen in seinem Gastbeitrag für diesen Schwerpunkt . Eine dieser Studien zeigte beispielsweise, dass in den USA überall dort, wo lokale journalistische Medien verschwinden, die Korruption zunimmt.
In den Vereinigten Staaten haben die Veränderungen der Medienlandschaft besorgniserregende Dimensionen erreicht. Dort sind beispielsweise seit 2005 rund ein Viertel der damals knapp 10.000 Zeitungen eingestellt worden und in der Folge „Nachrichtenwüsten“ entstanden, wie es die Medienwissenschaftlerin und Autorin der Studie Penelope Abernathy nennt. 70 Millionen Amerikaner, mehr als ein Fünftel der US-Bevölkerung, leben der Studie zufolge in so einer Wüste. Davon sind wir hierzulande noch ein Stück entfernt. Immerhin gibt es in Prignitz noch eine Zeitung, wenn auch nicht aus Papier.