Der Logistikdienstleister Karldischinger fährt für die Genossenschaftsmolkerei Schwarzwaldmilch. Die Lkw des Ehrenkircher Unternehmens holen die Rohmilch vom Bauern ab und bringen die Butter zum Supermarkt. Unterwegs mit einem Milchfahrer.
VON CHRISTINE WEIS
Ende Dezember, kurz vor sechs Uhr morgens. Auf den Straßen in Freiburg ist kaum Verkehr. Nur wenige Fenster sind erleuchtet. Viele haben frei in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr. Nicht so Dirk Dürrwächter. Der Berufskraftfahrer gibt in der Frühe Tournummer und Belegung der vier Tankkammern samt Anhänger seines Milchsammelwagens für die Sorten Bio-, Bioheu-, Weide-Milch und konventionelle Rohmilch in den Bordcomputer ein. GPS-Daten und Erzeugernummer sind gekoppelt, damit wird später an jedem Bauernhof die Milch automatisch in den richtigen Behälter gepumpt und dabei eine Einzelprobe entnommen. Die Molkerei untersucht diese auf Fett-, Eiweiß- und Keimzahlgehalt und prüft, ob die Rohmilch Hemmstoffe wie Reinigungsmittel oder Antibiotika enthält. Milch ist ein sensibles Lebensmittel und streng überwacht. Dirk Dürrwächter schmeckt die Weidemilch am besten und er trinkt sie vor allem im Kaffee. Davon zieht er sich noch rasch einen Becher im Automaten. Dann lenkt er den Tankwagen mit Anhänger vom Betriebshof.
Enge Täler, glatte Straßen
Über die Schwarzwaldstraße geht’s Richtung Dreisamtal, in Buchenbach links die enge, kurvige Spirzenstraße hoch bis zum Thurner. Oben angekommen ist es noch immer dunkel und das Bergpanorama nur zu erahnen. Am Thurner-Parkplatz koppelt Dürrwächter den Hänger ab. Heute ist um Viertel nach sieben noch alles frei. Bei gespurten Loipen und gutem Wanderwetter kann’s hier eng werden, dann parken die Freizeitsportler seinen Hänger trotz Abstandhaltern zu. Eng ist es auch auf vielen Nebenstraßen zu den entlegenen Bauernhöfen oder vor Ort beim Einparken an den Ställen. Doch das ist für Dürrwächter kein Problem. Je herausfordernder die Strecke, desto mehr Spaß macht ihm die Arbeit.
„Das Vertrauen und die Wertschätzung, die mir die Landwirte entgegenbringen, ist einmalig.”
Dirk Dürwächter, Milchfahrer
Wendelin Willmann vom Michelehof in St. Märgen. Foto: Nws
Im Winter kann das Fahren allerdings auch gefährlich werden. Vor Kurzem ist er bei Blitzeis in den Graben geschlittert. „An dem Tag war es spiegelglatt, ich bin ich eher gerutscht als gefahren“. Eine Stunde hat es gedauert, bis er den schweren Lkw wieder auf Kurs hatte. Dass er Schneeketten aufziehen muss, ist keine Seltenheit. Die Zufahrtswege zum Bauernhof sollten immer frei sein, das müssen die Landwirte garantieren. Bleibt der Milchtankwagen dennoch im Schnee stecken, dann sind meist sie es, die ihn wieder rausziehen. „Wenn die Verkehrslage zu riskant wird, dann ist mir das Leben wichtiger als die Milch“, sagt der 46-Jährige. Das war in den fünf Jahren, in denen er Milch transportiert, allerdings nur selten der Fall.
Er will nichts mehr anderes als einen Milchsammelwagen fahren. „Das Vertrauen und die Wertschätzung, die mir die Landwirte entgegenbringen, ist einmalig“, sagt Dürrwächter. Und manche Anstrengung etwa bei Schneetreiben wird für ihn durch die schöne Landschaft entschädigt.
Milch statt Möbel
„Ich bin durch und durch Fahrer“. Dürrwächter wollte schon als Kind Trucker werden. Sein Vater arbeitete als Fernfahrer, und er ist mit ihm öfter nach Italien und Spanien gefahren. Zunächst machte er eine Ausbildung zum KfZ-Mechaniker, damit er bei einer Panne den Lkw selbst reparieren kann. Mit 20 wurde er Vater – Fernfahrten und Familienleben passte nicht zusammen. Nach einigen Jahren im Paketdienst und Möbeltransport arbeitet er seit 18 Jahren beim Logistikdienstleister Karldischinger (kd). Seit fünf Jahren fährt er den Milchsammelwagen von Kd-Trucking, einem Tochterunternehmen der Kd-Gruppe mit Stammsitz in Ehrenkirchen.
Fünf der Spezialfahrzeuge hat Kd-Trucking für die Schwarzwaldmilch im Einsatz. „Thermoskanne auf Rädern“, nennt Dürrwächter den silbrigen Tankwagen. Die Landwirte kühlen die Rohmilch im eigenen Tank auf vier bis sechs Grad. Der Milchwagen ist so gut isoliert, dass er diese Temperatur über Stunden hält.
In Doppelschichten sammeln 25 Kd-Mitarbeiter an 365 Tagen im Jahr bei rund 400 Landwirten im gesamten Jahr Milch ein. Das sind täglich 32 Höfe für jeden Fahrer und rund 500 Kilometer insgesamt. Das Geschäft mit der Milch hat bei Kd Tradition. Bereits seit den 1940er-Jahren ist Schwarzwaldmilch (vormals Breisgaumilch) ihr Kunde.
Von Hof zu Hof
Halb acht, Dürrwächter fährt im Jostal den ersten Bauernhof an. Nicht nur die Technik am Tankwagen funktioniert automatisch. Auch jeder Handgriff vom Fahrer läuft routiniert: einparken, aussteigen, Saugschlauch am Tank anschließen, Kontrollcheck aufs Display und die Milchprobe, Schlauch in die Halterung zurückhängen, einsteigen, rausfahren. Je nach Absprache startet er zudem die Reinigungsanlage des Milchtanks, schließt mit dem Generalschlüssel das „Milchhäusle“ ab und notiert die Menge im Kalender an der Tür.
1200 Liter Milch pro Minute kann die Anlage in den Tank pumpen. 450 Liter Weidemilch waren es an diesem Hof. Der Arbeitsgang hat keine zehn Minuten gedauert und Dürrwächter ist schon wieder auf der Hauptstraße. Auf dem Oberhöfenhof wird er bereits von Eugen Zähringer und seinem Sohn erwartet. Auch ihr Tag hat um halb sechs angefangen, damit die 40 Kühe gemolken sind, bis Dürrwächter am Hof hält. Gerade helfe ein Feriengast bei der Stallarbeit. Zähringer erzählt, Melken empfinde der Urlauber aus Heidelberg erholsam. Viel Zeit zum Reden hat Dürrwächter nicht, sobald abgepumpt ist, geht’s weiter. Er hat es eilig. Sein Arbeitstag ist getaktet. 28 Höfe steuert er bis elf Uhr an. Nach dem Jostal pumpt er am Thurner die Milch auf den Hänger um, bevor er weiterfährt ins Urachtal. Er kennt viele Familiengeschichten und fast jeden Hof auf seinen Strecken. Einige haben die Milchwirtschaft eingestellt, andere einen neuen Stall gebaut oder die Melkanalage erneuert. Und mancher Bauer fragt sich, wie es weitergeht, weil keiner den Hof übernehmen will.
Michael Rieder begrüßt Dürrwächter mit einer Tasse Kaffee, wie bei jeder Abholung. Rieder war selbst Milchfahrer. Heute betreibt er die 80 Hektar große Landwirtschaft mit Biomilchbetrieb im Vollerwerb. Landwirt und Milchfahrer – das Verhältnis ist kollegial. Man duzt sich. Man verlässt sich aufeinander. Einmal hat Dürrwächter spontan bei der Geburt eines Kalbes geholfen – auch sowas kommt vor. Rund um Weihnachten gibt es Geschenke von den Bauern, oft sind es Lebensmittel aus eigener Produktion oder Süßigkeiten. Darüber freut er sich immer.
Halb zwölf, Dürrwächter ist zurück an der Molkerei in Freiburg. Bevor er in die Abpumpanlage fährt, steckt er einen Abstrich aus dem Behälter mit der Mischung der gesamten Ladung in eine Schnelltestkartusche. Es leuchtet grün, die Milch hat keine unerlaubten Verunreinigungen. Wenn das der Fall wäre, müsste der gesamte Inhalt des Milchsammelwagens in der Forchheimer Kläranlage entsorgt werden. Der Verursacher kann durch die Einzelproben schnell ermittelt werden. Er muss für den Schaden aufkommen und erhält eine Sperre. „Das kommt selten vor“, sagt Dürrwächter, „ich habe das zum Glück noch nie erlebt.“ Das Ablassen der 23.000 Liter dauert nicht länger als eine halbe Stunde. Die Schlauchanschlüsse reinigt Dürrwächter mit heißem Wasser.
Mehr Fairness im Verkehr
Noch rasch einen dritten Kaffee und auf zur nächsten Runde, ohne Anhänger. Zwölf Höfe in Ebnet, Stegen und Eschbach warten auf den Milchwagen. Alles läuft nach Plan, hier und da ein kurzes Gespräch mit dem Bauern. Im Sommer trifft er mehr Menschen auf den Höfen an. Auch von Familie Fräßle ist am Zipfelmattenhof heute niemand zu sehen. Zu deren Hof im Obertal von Eschbach fährt man kilometerweit auf einer einspurigen, unbefestigten Straße durch den Wald. Plötzlich Gegenverkehr, an sich kein Problem. Der Fahrer weigert sich allerdings zurückzusetzen. Das Nummernschild verrät, er ist nicht von hier. „Im Schwarzwald gilt die Regel, der Milchlaster hat Vorfahrt“. Dürrwächter nimmt die Situation gelassen und fährt mit seinem 40-Tonner den kurvigen Weg rückwärts, bis sich der Autofahrer traut zu passieren.
„Im Schwarzwald gilt die Regel, der Milchlaster hat Vorfahrt.“
Er gibt offen zu, dass er nicht immer nachgibt in solchen Fällen, denn er findet, dass die Teilnehmer im Straßenverkehr rücksichtsvoll agieren sollen. Oft ärgert er sich etwa über Sportradler, die partout nicht den Radweg nehmen oder nebeneinander fahren, sodass Überholen unmöglich ist.
Der Scherpeterhof ist der letzte auf der Runde, einer der größeren. Doch egal, ob 80 oder 2000 Liter Milch, ob drei Kühe im Stall gemolken werden oder 200, ob der Tank fest installiert ist oder an der Straße steht: Die Milch wird alle zwei Tage von Dürrwächter abgeholt. Gerade die vielschichtige landwirtschaftliche Struktur macht die Routenplanung sehr komplex, aber auch abwechslungsreich. „Ich erlebe jeden Tag etwas neues.“
Vier Uhr, Feierabend. Dirk Dürrwächter trinkt seinen letzten Kaffee für heute. Er hat die zweite Fuhre abgeliefert und das Fahrzeug für den Kollegen bereitgestellt. Dessen Schicht beginnt in einer halben Stunde. Morgen früh um sechs übernimmt er wieder. Der Milchsammelwagen fährt nonstop, denn weder die Kühe noch die Landwirte haben frei – auch nicht zwischen Weihnachten und Neujahr.