Mittelstand, industrieller Mittelstand und Mittelschicht – drei Begriffe, die ganz ähnlich klingen, aber doch ganz unterschiedliche Szenarien beschreiben. Zum Mittelstand zählen in Deutschland 99 Prozent der Unternehmen – also fast alle: vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum großen Automobilzulieferer. Der industrielle Mittelstand ist ein Teil davon, und in Südbaden haben sich viele dieser Unternehmen im Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden e.V. (wvib) zu einer lernenden Gemeinschaft zusammen geschlossen. Sie sind innovativ, exportstark, solide, leistungsfähig, bilden aus, sind in ländlichen Regionen zu finden und zum größten Teil in Familienhand. Die Mittelschicht ist eine Gruppe in der Gesellschaft, die sich nach bestimmten finanziellen und soziodemografischen Merkmalen abgrenzt. Soweit zur Definition.
Zieht man gedanklich einen Kreis von 200 km um Freiburg und schaut sich die Betriebe in Stadt und Land an, so gehören sie alle zum Mittelstand. Der kleine Handwerksmeister, die kreative Werbeagentur, der Einzelhändler, der CNC-Fräser, der Serienfertiger, der Automobilzulieferer, der Sondermaschinenbauer, der Medizintechnikhersteller – sie alle gehören dazu, denn 99 Prozent sind alle. Darunter gibt es fast nichts und darüber nur ein paar Konzerne, die sich im DAX 30 und DAX 100 wiederfinden.
Die mittelständischen Betriebe bilden nicht nur das vielzitierte Rückgrat der deutschen Wirtschaft, sie sind auch die Lunge, die Leber, die Milz, das Hirn und das schlagende Herz der deutschen Wirtschaft. Unsere Mitglieder denken nicht in Quartalszahlen, sondern in Generationen: Sie richten ihre Strategien so aus, dass Kinder und Enkelkinder noch von den Weichenstellungen ihrer Vorfahren profitieren können. Die gesamte Unternehmenskultur in familiengeführten Betrieben steht für langfristige und nachhaltige Beziehungen mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten.
Fast alle mittelständischen Betriebe bilden aus, manche haben eine Ausbildungsquote, die deutlich über zehn Prozent liegt. In den tiefen Schwarzwaldtälern muss man sich heute als Arbeitgeber attraktiv machen, mit Facebook-Auftritten oder einer eigenen Schafherde, die jungen Menschen klar macht, was es heißt Verantwortung zu übernehmen. Übernahmegarantien sind nicht selten, man will die gut ausgebildeten Kräfte gerne behalten.
Kleine und wendige Boote sind schneller am Ziel als die großen Tanker, das zeigt sich auch bei der Innovationskraft im Mittelstand. Große Konzerne haben oft Schwierigkeiten aus komplexen Strukturen heraus, neue Ideen zu generieren. Die Forscher und Entwickler in mittelständischen Betrieben sind nah am Geschehen. Sie stehen nach wenigen Schritten mitten in der Produktion und können sich mit den Kollegen aus der Fertigung schnell über Innovationen austauschen. Oft entstehen diese aus dem Lösen von Kundenproblemen und nicht durch die Grundlagenforschung. So gelingt es immer wieder, Produkt- und Prozess-innovationen auf den Markt zu bringen. Zahlreiche Technologie- und Weltmarktführer haben im Verbandsgebiet des wvib ihre Wurzeln – auf der Liste der „Hidden Champions“ stehen viele gute Namen aus unserer Region.
Bei familiengeführten Mittelständlern – die den größten Teil der Betriebe ausmachen – verbinden sich Eigentum, Haftung und Leitung zu einer starken Einheit, die sich durch eine langfristig orientierte Geschäftspolitik auszeichnet. Zudem sind diese Betriebe stark regional verankert, übernehmen in Städten und Gemeinden soziale Verantwortung und werden dadurch zu einer tragenden Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft.
In einer Region, in der es Vollbeschäftigung zu guten Löhnen gibt, kann man nicht von einem Verschwinden der Mittelschicht sprechen. Ein starker produzierender Mittelstand ist der beste Garant für eine vitale Mittelschicht im ländlichen Raum. Die gesunde Mittelschicht ist ein guter Indikator für eine gelebte Demokratie und für die Mobilität einer Gesellschaft. Wenn wir das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich verhindern wollen und es weiter eine intakte Mittelschicht in Deutschland geben soll, brauchen wir den produzierenden Mittelstand, der gerade im ländlichen Raum stark vertreten ist.
Der industrielle Mittelstand steht vor großen Herausforderungen: Digitalisierung und Industrie 4.0 fordern neue Konzepte und Strategien in Fertigung und Verwaltung, der Fachkräftemangel ist für viele Unternehmen eine echte Wachstumsbremse. Um weiter im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, brauchen wir eine Entlastung bei der zunehmenden Bürokratisierung, eine mittelstandsfreundliche Erbschaftssteuer und gute politische Rahmenbedingungen in Deutschland und über die Ländergrenzen hinweg. Nur so kann der „German Mittelstand“ – wie das deutsche Phänomen von anderen mit Respekt und Bewunderung genannt wird – weiter wachsen!
Im wvib – gegründet 1946 von Unternehmern für Unternehmer – erwirtschaften rund 1.000 produzierende Unternehmen mit 193.000 Beschäftigten rund 40 Mrd. Euro Umsatz. Die Schwarzwald AG beschäftigt weitere 33.000 Mitarbeiter im Ausland. Für uns ist Mittelstand eine Haltung und lässt sich nicht allein an Umsatzzahlen oder Beschäftigten festmachen. Wir leben eine gemeinsame Wertekultur und haben diese bereits 2006 in einem Leitbild für den Mittelstand festgeschrieben. Wer langfristig auf dem Weltmarkt erfolgreich sein will, kann dies nur, wenn er mit Umwelt und Gesellschaft verantwortlich und nachhaltig umgeht.