In der Ortenau sind die Wege weit und viele Menschen vor allem mit dem Auto unterwegs. Urbane Verkehrskonzepte mit Schiene, Carsharing und Radwegen haben es hier schwer. Große Arbeitgeber wie Zalando und Europa-Park treten für die Verkehrswende in der ländlich geprägten Region aufs Pedal.
VON KATHRIN ERMERT
Etwas abseits des schicken Lahrer Busbahnhofs wartet die Linie 280. Hinterm Steuer eine blonde Französin mit Piercing und Fliegerbrille. „Cinq Euro“ kostet die Hin- und Rückfahrt nach Erstein. Der Bus ist leer und bleibt es auch bis zum Stopp bei Zalando. Dort steigen einige Frauen und zwei Männer ein und grüßen freundlich: „Salut“, „Ça va?“ Parallel zur A5 geht es zunächst Richtung Norden, vorbei an bemoosten Hangars und weidenden Kühen. Dann über die Autobahn Richtung Westen. Kürzell, Allmannsweier – die zwei Herren steigen aus. Durchs Ried saust der Bus Richtung Rhein.
50 Minuten dauert die Fahrt vom Lahrer Bahnhof durch badische Gewerbegebiete und Dörfer bis zur Endhaltestelle im elsässischen Erstein. Der grenzüberschreitende Bus ist ein Unikum im Land. Er startete 2017 als Sonderlinie des Eurodistrikts, seit Herbst 2020 ist er Teil des regulären Linienverkehrs, betrieben von der französischen Gesellschaft Fluo der Region Grand Est. Die Idee: Beschäftigte aus dem strukturschwächeren Elsass gezielt zu den Arbeitsplätzen auf badischer Seite zu bringen und wieder zurück.
Die Busfahrerin weiß, wer wann und wo einsteigt
Sie fährt jeden Tag drei Mal hin- und her, erzählt die charmante Busfahrerin, die anderen drei Buspaare macht ein Kollege. Seit vier Jahren sitzt sie am Steuer dieser Linie. Einige Fahrgaste kennt sie von Beginn an, hat deren Handynummern und sagt Bescheid, wenn sie sich wegen eines Staus verspätet. Sie weiß, wer wann wo ein- und aussteigt, kennt die Schichtzeiten. Im Sommer zählen auch Jugendliche zu den Fahrgästen, die ins Lahrer Freibad wollen. Vor allem aber nutzen Elsässerinnen, die bei Zalando arbeiten, den Bus. Anfangs waren es etwa ein Dutzend, mittlerweile „une trentaine“, schätzt die Busfahrerin, um die 30.
So nett und persönlich das Angebot angesichts der überschaubaren Zahlen ist: Die Nachfrage soll steigen. Der Onlinehändler hat deshalb seine Schichtzeiten mit dem Bustakt abgestimmt, um das ÖPNV-Angebot attraktiver zu machen und baut aktuell die Haltestelle aus, damit die Fahrgäste besser ein- und aussteigen können. Die Mobilität der Mitarbeiter ist ein wichtiges Thema für Zalando. „Seit 2016 haben wir mit unterschiedlichen Kooperationspartnern mehrere Mobilitätsprojekte vorantreiben können“, sagt Unternehmenssprecherin Anne Frohnmayer: Es geht um Busanbindung, Jobräder, Mitfahr-App.
Denn an dem wachsenden Logistikstandort Lahr, der täglich mehrere Zehntausend Pakete versandfertig macht, arbeiten mittlerweile rund 2000 Männer und Frauen – aus der Ortenau und den benachbarten Kreisen sowie aus dem Elsass. Einige organisieren zwar Fahrgemeinschaften, unterstützt vom Pendlerportal „Einfach mobil“ der Stadt Lahr, doch die meisten kommen bislang mit dem eigenen Auto. Der große Parkplatz lädt ja dazu ein. Ähnlich wie beim Tunnelbohrspezialisten Herrenknecht, der auch an der Strecke der grenzüberschreitenden Buslinie liegt. Einen einzigen Herren bringt sie aus dem Elsass dorthin nach Allmannweier, erzählt die Busfahrerin.
Viel Platz und viele Autos
„Solange Beschäftigte bei ihrem Arbeitgeber kostenlos parken können, haben sie kaum Motivation, etwas an ihrer Mobilität zu andern.“
Stefanie Dörfler, verkehrsamtsleiterin Ortenaukreis
“Solange Beschäftigte bei ihrem Arbeitgeber kostenlos parken können, haben sie kaum Motivation, etwas an ihrer Mobilität zu ändern”, sagt Stefanie Dörfler. Da die gleichen Arbeitgeber oft Flächen zur Expansion brauchen, könnten Wirtschaftsforderung und Mobilitätswende Hand in Hand gehen, findet sie. Die 38-Jahrige hat im Mai 2021 die Leitung des Amts für Verkehr und ÖPNV des Ortenaukreises übernommen und sich die Mobilitätswende auf die Fahnen geschrieben. Die Verwaltungsfachwirtin verfolgt das Landesziel – Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 – und freut sich über die vielen Programme und Fördertöpfe, die ihr dafür zur Verfügung stehen. So hat sich die Ortenau beispielsweise erfolgreich als Modellregion für den sogenannten Mobilitätspass beworben. Und vor einigen Wochen haben 18 Partner aus dem Kreis feierlich den Mobilitätspakt Lahr gestartet, eine Art freiwillige Selbstverpflichtung von Politik, Wirtschaft und Burgern in Sachen Verkehrswende.
Zudem läuft gerade eine Mobilitätsbefragung der Bevölkerung im Ortenaukreis. Ergebnisse werden erst Mitte des Jahres vorgestellt, doch auch ohne genaue Zahlen ist klar: Den größten Teil ihrer Wege legen die Ortenauer mit dem privaten Pkw zurück. Das liegt an der Struktur des Kreises, der flächenmäßig der größte im Land ist und eine deutlich unterdurchschnittliche Bevölkerungsdichte hat. 228 Menschen verteilen sich in der Ortenau auf einen Quadratkilometer, landesweit sind es 311. Deshalb kommen hier mehr Autos auf 1000 Einwohner als im Landesschnitt, nämlich 636 statt 606.
Mobilität hat im ländlichen Raum einen hohen Stellenwert. „Wenn ein Kind geboren wird, eröffnet die Oma ein Sparbuch, damit es sich mit 16 ein Mofa kaufen oder mit 17 den Führerschein machen kann. Das ist auch heute oft noch so“, erzählt Dörfler. Sie will das ändern. Die derzeitige Verkehrssituation im Kreis, zu der verstopfte Straßen und überfüllte Busse ebenso zählen wie Taktlücken und fehlende Fahrten insbesondere am Wochenende, sieht sie nicht als Problem, sondern als „großes Potenzial“. Dörflers Anspruch ist es, den öffentlichen Personennahverkehr bequemer, günstiger und verlässlicher zu machen und so mehr Menschen zum Umsteigen zu bewegen. Sie weiß allerdings auch um die Schwierigkeiten dieser Aufgabe: Personalmangel, zähe Genehmigungsprozesse, das Verhalten der Menschen.
Erst das Angebot schaffen
Was braucht es erst: die Nachfrage oder das Angebot? „Das ist ein bisschen wie bei der Henne und dem Ei“, sagt Dörfler. Denselben Vergleich benutzt Lukas Scheub, was vielleicht kein Zufall ist, denn er arbeitet häufig mit der Amtschefin zusammen. Der 32-Jährige ist im Stab der Geschäftsführung des Europa-Parks für „Public Affairs“ zuständig. Das heißt, er kümmert sich um die öffentlichen Angelegenheiten des größten Arbeitgebers der Ortenau, einschließlich des Verkehrs. Dabei geht es nicht nur um die annähernd 5000 Beschäftigten – 30 Prozent davon kommen aus dem Elsass –, sondern natürlich auch um die Gäste. Im Jahr vor der Pandemie zählte der Freizeitpark rund 5,7 Millionen Besucher, an Spitzentagen sind es mehr als 30.000.
„Jede Fläche, die wir nicht für Parkplatze verwenden müssen, ist gut.“
Lukas Scheub, Stab der Geschäftsführung des Europa-Parks
Scheub will erst das Ei legen, sprich: das Angebot schaffen, ehe er die Menschen drängt, das Auto stehen zu lassen. Dafür arbeitet der Europa-Park an vielen Stellen und mit vielen Partnern wie dem Landratsamt oder der Bahn zusammen. Er hat zum Beispiel einer Buslinie eine Anschubfinanzierung gegeben, setzt sich für sichere Fahrradwege ein sowie für bessere Zuganbindungen und -takte. Der gewünschte ICE-Halt in der Nachbargemeinde Ringsheim ist zwar bislang nur ein EC-Halt. Aber dafür durfte der Park seinen Namen auf die Schilder am Bahnhof schreiben. Das Angebot startete in der Pandemie, die Nachfrage ist deshalb noch ausbaufähig. Immerhin geben in Umfragen 40 Prozent der Gäste an, dass sie bei einem attraktiven Angebot ohne eigenen Pkw anreisen wurden. Bislang tun dies nur drei Prozent, bei Euro-Disney in Paris sind es sechzig Prozent.
Der Europa-Park reduziert allerdings auch auf andere Art Verkehr, indem er nämlich Gastgeber ist. Besucher, die mehr als einen Tag bleiben und in den parkeigenen oder umliegenden Hotels wohnen, können ihr Auto stehen lassen. Und Beschäftigte, die in weiter Ferne rekrutiert werden, beispielsweise in Kirgisistan oder Usbekistan, wohnen nahe ihrer Arbeitsstatte in Mitarbeiterwohnungen. Hinter der Wasserwelt Rulantica entsteht gerade ein weiterer Komplex, und in Emmendingen hat der Europa-Park ein ehemaliges Hotel angemietet, von wo er einen Shuttleservice organisiert. „Unser strategisches Ziel ist es, dass mehr Mitarbeiter und Gäste mit Bus und Bahn kommen“, sagt Scheub. „Jede Fläche, die wir nicht für Parkplatze verwenden müssen, ist gut.“