Der Schock war groß im südbadischen Einzelhandel: Mit den Kaiser Modehäusern wird in Freiburg ein Geschäft mit einer Fläche von insgesamt 7000 Quadratmetern aufgegeben. Mit der Schließung im Juni 2022 verlieren 215 Menschen ihre Jobs. Die Stadt wirkt ratlos.
VON RUDI RASCHKE
Es hat sich abgezeichnet: Der Mix aus Pandemie und Online-Konkurrenz kann vor allem für größere Mittelständler in 1a-Lagen tödlich sein. Dass es nun die Marke „Kaiser“ trifft, wird in der Freiburger Öffentlichkeit als Schock für die City verstanden. Es wird spannend, ob daraus ein Weckruf werden kann. Und welche Konsequenzen Politik und Verwaltung daraus ziehen.
Kaiser-Chef Frank Motz, Inhaber der insgesamt drei Damen- und Herrenmodegeschäfte, hat Ende September in einem Brief an die Mitarbeiter und einer Mitteilung an die Medien die Probleme benannt: Die ohnehin schwindende Frequenz und Kaufkraft in der Stadt haben im Lockdown zu katastrophalen Umsatzrückgängen geführt, die aus seiner Sicht nicht mehr aufzufangen sind.
Der in dieser Zeit gewachsene Onlinehandel gibt dem stationären Geschäft in den Städten den Rest. Die Kaiser Modehäuser und Frank Motz legen Wert darauf, dass zum Sommer eine Geschäftsaufgabe geplant ist, das Unternehmen geht nicht in die Insolvenz. Auf diese Weise soll den 215 Mitarbeitern ein finanziell fairer und sozialer Ausgleich ermöglicht werden.
Frank Motz und sein Team können sich nicht vorwerfen lassen, dass sie zu wenig investiert hätten.
Motz hat gut daran getan, sich nicht mit Schuldzuweisungen in die Öffentlichkeit zu begeben, aber die Aufarbeitung dieses Abschieds sollte eine ausführliche Analyse im Rathaus nach sich ziehen. Mit der Einweihung weiterer Blumenbänkle, wie sie Freiburgs Oberbürgermeister am Tag nach dem Schrecken als lustiges Wirtschaft-Ankurbeln-Foto veröffentlichte, dürfte es nicht getan sein.
Im Gemeinderat agiert eine überwiegende Mehrheit dem Einzelhandel gegenüber eher gleichgültig bis unfreundlich. Als größte Fraktion hatten die Grünen bis vor wenigen Jahren selbst mit der Genehmigung von Gastrobetrieben ihr „Kommerz“- Problem.
Die Innenstadt-Belebung fand bis zum Lockdown überwiegend in Form von ein paar Palmen samt des ähnlich stilsicheren „Mega-Samstag“ statt – einer Mischung aus Betrunkenen-Shopping und Kleinkunst. Für Kaiser kommt das Ende Juni neu beschlossene „Gesamtkonzept zur Belebung der Innenstadt“ für das erste Quartal 2022 jetzt zu spät.
Es braucht ein Bekenntnis
Es fällt schwer zu glauben, dass die närrisch klingende „Arbeitsgruppe AG Belebung Innenstadt“ jetzt mit dem Dreiklang aus Runden Tischen, Bundeszuschüssen und Taskforces etwas umkehren wird. Wenngleich im Gemeinderat sehr wohl formuliert wurde, dass ein „Kipppunkt“ droht, „ab dem die Attraktivität der Innenstadt durch Leerstand und Qualitätsverlust sinkt“, fehlt in erster Linie ein Bekenntnis zu qualitativen statt quantitativen Maßnahmen.
Es ist bisweilen ernüchternd zu sehen, wie egal es Stadt und Wirtschaftsförderung zu sein schien, dass zuletzt ein 4300-Quadratmeter-Leerstand nahe des zentralen Bertoldsbrunnens drei Jahre lang vor allem als Pinkelwand genutzt wurde. Das Ganze wurde achselzuckend quittiert wie schlechter Glühwein auf Weihnachtsmärkten. Dass soeben der internationale Bekleidungs-Verramscher “TK Maxx” hier Einweihung feierte, sorgte eher für Erleichterung.
Zugleich wurde der Fachhandel des Hauses Kaiser behördlich noch sanktioniert. Wir erinnern uns an eine Winteraktion von Kaiser, die wir 2018, zwei Jahre vor der Pandemie, in einer Ausgabe zum Thema „Einzelhandel“ beschrieben: Ein netter Kuchenverkauf samt DJ anlässlich einer Schaufenstereinweihung endete für Kaiser mit einer Geldbuße durch Gemeindevollzugsdienst und Polizei.
„In einer Stadt, die nächtliches Bongotrommeln, Junggesellenkrach und organisierten Drogenverkauf nicht in den Griff bekommt, wird aktuell der Handel mit Baumkuchen bekämpft“, berichteten wir damals. Keine drei Jahre später hat Frank Motz seinen Rückzug bekannt gegeben, in erster Linie wegen Pandemie und Zalando, aber letztlich auch wegen der Rahmenbedingungen.
Immer mehr Leerstand
Die Stadt, die sich schon damals wenig für Kooperation, Kaufkraft und ein nettes, gut erreichbares Einkaufserlebnis zu interessieren schien, hat jetzt ein echtes Problem: Schon damals stand im Raum, dass kaufhausgroße Häuser leerstehen, jetzt passiert es.
Motz und sein Team können sich nicht vorwerfen lassen, dass sie zuwenig investiert hätten. Bis zuletzt wurden Umbauten an Sortiment und Ambiente vorgenommen, selbst im Online-Geschäft war Kaiser mit viel Aufwand dabei. Angesichts von 60-Prozent-Retouren-Quoten bei Bekleidung eher ein Grund zum Aufgeben als ein Zukunftsmarkt.
Enorm traurig dabei ist, dass mit Kaiser nicht nur ein tapferer Steuerzahler die City verlässt, sondern auch ein Unternehmen, das verlässlich mit Spenden seinen Beitrag zu Projekten der Stadtgesellschaft geleistet hatte. „In welcher Stadt wollen wir leben?“ wird in Freiburg gern unter Kulturschaffenden gefragt. Meist in Verbindung mit dem Anspruch, so genannte Freiräume für sich zu reklamieren, ob mit oder ohne Konzept. Es wäre mal angebracht, diese Frage auch für die City und den Handel zu stellen.
Dort werden demnächst Immobilien geräumt, die für einen mittleren zweistelligen Millionenwert über den Tisch gehen könnten (das Damenhaus und die Herrenmode „S1“ sind im Besitz von Kaiser, das große Herrenhaus nicht). Es wird daher nicht unbedingt zielführend sein, sich einen Nutzungs-Mix aus Urban Gardening samt vermeintlich fehlenden Bürgertreffs, Ateliers und Hobbytheater in Bestlage zusammenzufantasieren.
Die Stadt täte stattdessen gut daran, sich ernsthaft Gedanken über eine Art „aktive Liegenschaftspolitik“ beim Gewerbe zu machen, auch wenn ihre Macht beschränkt ist. Eine offensive Strategie wie beim Wohnen wäre zum Beispiel nicht abwegig. Denn auch im Unterlinden-Quartier stehen aktuell zwei von fünf Ladenflächen leer.
Es braucht Ideen
Zumindest sollte möglichst vor 2024 eine Vorstellung vorliegen, wie im Dialog mit der Immobilienwirtschaft regionale Lösungen gefunden werden können, die eine Erneuerung der Innenstadt in die Wege leiten. Wären Multiconceptstores eine Idee? Wie könnten Wohnen und Handwerk zurück kommen?
Gibt es provisorische Pop-up-Lösungen, die eben nicht aus Regio-Gin und „Bobbele“- T-Shirts bestehen, sondern hochwertigere Kundschaft erreichen und die Miete beibringen? Verkehr und fehlende Parkmöglichkeiten mögen gar nicht so sehr im Vordergrund stehen. Es geht nicht darum, dass die Leute jeden Samstag einen Kühlschrank nach Hause karren müssen.
Es ist dennoch einer von mehreren Gründen, warum Menschen am Wochenende die Innenstadt großräumig umfahren. Wer angesichts dieser Themen bei kosmetischen Eingriffen und St. Nimmerleins- Maßnahmen bleiben möchte, wird wenig nachhaltige Folgen zeitigen: Weitere Leerstände und Trashhändler à la Primark stehen vor der Tür.
9 Kommentare
Sehr treffend Rudi!
Schuld sind aber auch die Menschen, die den lokalen Handel nicht unterstützen und stattdessen lieber online bestellen weil es bequemer ist…
@ Tanja, ich denke es ist ein Mix auf vielen verschiedenen Gründen, auch dem von Ihnen genannten. Meine Mutter, eine langjährige gute Kundin im Geschäft sagte z.B. dass sie in den vergangenen Jahren immer seltener Kaisers besuchte, da die Verkäuferinnen ihr so hochnäsig begegneten und teilweise sehr unmotiviert waren, so dass einfach keine Lust mehr hatte dort einzukaufen… Auch eine Wahrheit.
Danke dir Rudi,
du bringst es wieder mal wunderbar auf den Punkt! Mit Blumenkübeln und ähnlichen Aktionen ist uns Händlern in der City wahrlich nicht geholfen!
Und bei der Freiburger Grünen Gemeinderatsfraktion ist eh davon auszugehen das kein Konzept bei rumkommt, das nachhaltig den lokalen Einzelhandel stärkt.
Die paar Hansele die konzeptlos mit ihren Bongos, kostenlose Räume zur Selbstverwirklichung fordern sollten sich mal fragen wie diese bezahlt werden sollen…
Liebe Grüße
Ireneus
Somit fällt auch ganz viel Förderung der Kunst und im sozialen Bereich weg von den Steuern mal abgesehen ..aber grün regiert die Stadt und da wird es noch mehr Leerstand geben bis dann viel zu spät reagiert wird.. scheint vom Gemeinderat und dem Rathaus so gewollt.. somit wird Freiburg nur noch unattraktiver..
@Tanja – ich bin derselben Meinung. Wer fast nur im Internet bestellt – und ich kenne da einige Leute im Bekanntenkreis – braucht sich nicht zu wundern, dass es irgendwann keine schönen Geschäfte mehr zu besuchen und auch keine Schaufenster zu beschauen sind. Wenn man dann noch die kostenlosen Lieferungen und Rücksendungen sieht, darf man sich über zunehmenden LKW-Verkehr nicht wundern.
Ja klar: Die Rahmenbedingungen für eine Belebung der Innenstadt könnten von städtischer Seite aus mit einem kohärenten Konzept verändert, verbessert werden. Ich finde allerdings auch, dass die Händler*innen, die dort ansässig sind, gemeinsam über eine Strategie nachdenken sollten. Daran scheint es mir ebenfalls zu fehlen. Und an einem Bewusstsein dafür, dass nur beide zusammen – Stadt und Handel – etwas Sinnvolles erreichen können. Eingeschlossen die Gastronomie, die Cafés und die kleinen, aber feine Lebensmittelgeschäfte.
Danke Rudi für den guten Bericht.
Freiburg hat einen sehr jungen, aktiven Stadtrat. Doch die Prioritäten sind auf preisgünstiges Wohnen, Klima und autofreien Straßen gerichtet. Was sehr wichtig ist. Dabei wird Handwerk und Geschäftswelt viel zu wenig Beachtung gegeben. Kein Handwerker sitzt trotz großer Bewerbung im Stadtrat. Auch die Geschäftswelt ist nur wenig vertreten. Freiburg braucht eine bunte Mischung der Kümmerer. Vielleicht klappt es bei der nächsten Kommunalwahl.
Irgendwie verstehe ich die ganze Hysterie um die Schließung des Kaufhauses Kaiser nicht ganz. Und auch die immer wiederkehrende Ausreden Pandemie und Onlinehandel, lasse ich hier nicht unbedingt gelten.
Wer in den letzten Jahren im Kaiser einkaufen war, wurde selten von Verkäuferinnen wahr genommen, wenn, dann eher unhöflich bedient, und auch das Warensortiment bot nun wirklich nichts iInnovatieves, was man an anderer Stelle in Freiburg nicht hätte auch erwerben können.
Ich arbeite selbst seit kurzem in Freiburg in einem Einzelhandesgeschäft, und wir können nicht über mangelnde Umsatz klagen, im Gegenteil, und das, obwohl es unser Angebot auch im eigenen Onlineshop zu erwerben gibt.
Was allerdings allgemein in alteingessenen Modehäusern fehlt, ist innovatives Denken, was gibt es ,was andere nicht haben, und womit kann ich Kundeninteresse auf mich ziehen.
An kaufwilligen Kunden fehlt es wohl eher nicht, wenn an einem Samstag die Kajo so voll ist, das man kaum umfallen kann…
Nun ja, da bin ich nicht ganz mit konform . Ich denke dass es in erster Linie daran liegt dass Freiburg vorallem von Schweizern und Tages Touristen lebt . Die Freiburger an sich sind ein biederes Völkchen und Mode ist Ihnen ein Fremdwort . Natürlich ist daran Corona bzw. die überzogenen Maßnahmen und nicht zu vergessen die unattraktiven Parkgebühren ein nicht unerheblicher Punkt . Jetzt das Verkaufspersonal schlecht reden ist jetzt natürlich einfach . Ich denke die vielen Menschen in der Stadt ( evtl. Samstags ) mal sind die wenigsten kaufkräftige Kunden , sondern eher zum
Zeitvertreib in der Stadt . Da ein Eis dort ein Kaffee und dann noch ein Sektchen … so geht der Samstag auch zu Ende ..