In Gemeinschaft lernen und leben: Dafür stehen Internate. Eine der deutschen Top-Adressen ist der Birklehof in Hinterzarten. Ein Ort des Luxus’ auf besondere Art und Weise, passend zum eigenen Motto „menschlich, mündig, mutig“.
Text: Susanne Maerz, Fotos: Hanspeter Trefzer
Stimmengewirr tönt durch den Raum, als um 13 Uhr die Schülerinnen und Schüler nach und nach in den Speisesaal kommen. Er wirkt freundlich und licht mit seinen hellbraunen Holzstühlen, den Sechser- oder Achtertischen mit ihren beigen Baumwolldecken und den großen Fensterfronten. Sie geben den Blick frei auf das hügelige Gelände am Ortsrand von Hinterzarten, in dem die rund ein Dutzend Gebäude des Birklehofs verstreut um das Haupthaus mit dem prägnanten Türmchen angeordnet sind, ähnlich wie die Häuser eines Dorfes um die Kirche.
Die etwa 200 jungen Leute und ihre Lehrer nehmen Platz und verstummen, als eine Schülerin eine Glocke läutet und allen guten Appetit wünscht. Dann wird es wieder lebhaft, die Kinder oder Jugendlichen holen Schüsseln voller Spätzle, Fleisch mit Pilzsoße und Karotten. Es ist der zweite Schultag nach den Herbstferien. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind ein festes Ritual im Alltag der Schule Birklehof.
Ein anderes ist der gemeinsame Start in die Schulwoche. Im großen Saal des Musikhauses, in dem Flügel und Schlagzeug auf der Bühne stehen, kommt jeden Montagmorgen die Schulgemeinschaft zusammen. Jeder Schüler und jede Schülerin trägt dabei einmal etwas vor: spielt ein Musikstück oder präsentiert ein Projekt. Warum dieses Ritual? „Weil es die Gemeinschaft fördert“, sagt Schulleiter Rüdiger Hoff.
Schulgeld nach dem Einkommen gestaffelt
„Von der Gemeinschaft“, antwortet auch Salomé Baumstark auf die Frage, wovon sie auf dem Internat Birklehof am meisten profitiere. Die 16-jährige Zwölftklässlerin wechselte vor gut zwei Jahren von einem staatlichen Gymnasium in Baden-Baden nach Hinterzarten. Schon während der Grundschulzeit in ihrem Heimatort Gaggenau hatte ihre damalige Lehrerin dem überdurchschnittlich begabten Mädchen, das die vierte Klasse übersprang, dazu geraten, auf ein Internat zu wechseln. Ihre Eltern waren allerdings skeptisch. Als eine Freundin zum Schloss Salem wechselte, weckte dies Salomé Baumstarks Interesse. Die fehlende Klassengemeinschaft angesichts der Coronazeit trug dazu bei. Sie recherchierte – zuerst nach Stipendien. Denn die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die als erste in der Familie das Gymnasium besuchte, wusste, dass sich die Familie ein Internat nicht würde leisten können.
„Der Preis für ein Kind einer Alleinerziehenden mit geringem Einkommen ist niedriger als für das eines gutverdienenden Unternehmerpaars“, veranschaulicht Geschäftsführer Franz-Michael Schöbel. Laut Website kostet das Internat pro Monat derzeit 4050 Euro, wer nur die Schule besucht, zahlt zwischen 330 und 1350 Euro. Dazu kommen die Kosten für Studienfahrten oder Extra-Angebote wie Instrumental- oder Reitunterricht. Etwa ein Drittel der Internatsschüler erhält ein Stipendium, finanziert von Stiftungen und/oder Spenden Ehemaliger, dem sogenannten Altbirklehoferbund. Deren rund 700 Mitglieder steuern etwa 80.000 Euro im Jahr dafür bei.
Salomé Baumstark bewarb sich bei der Dornier- und Neumayer-Stiftung, die jedes Jahr gemeinsam Stipendien unter anderem für den Birklehof vergibt, erfolgreich und profitiert ebenfalls von den Zuwendungen der Ehemaligen. Nicht allein ihre Noten gaben den Ausschlag, sondern auch ihr Engagement als Klassensprecherin, im Sportverein und ihre soziale Kompetenz. Auf letztere, so berichtet sie, sei im Auswahlverfahren besonders Wert gelegt worden.
Auch auf dem Birklehof engagiert sie sich. Gerade liegt ein Jahr als Schülersprecherin hinter Salomé Baumstark. Außerdem erzählt sie davon, wie gern sie im vergangenen Schuljahr in der Nachmittagsbetreuung der Grundschule in Hinterzarten mitgeholfen hat. Dass alle Schüler sich in ihrer Freizeit auch sozial engagieren, gehört dazu – sei es als Ersthelfer oder indem sie eine Arbeitsgemeinschaft leiten.
Schülerinnen und Schüler aus 15 Nationen
Etwa drei Viertel der rund 200 Schülerinnen und Schüler leben im Internat. Die anderen, vor allem aus den Klassen 5 bis 7, wohnen bei ihren Familien in den umliegenden Orten und kommen nur zum Unterricht auf das an der B31 gelegene Gelände. Etwa ein Drittel der Internatsschüler kommt aus dem Ausland, vor allem aus China und weiteren asiatischen Ländern. Insgesamt 15 Nationen sind darunter. Die Motive, warum die jungen Leute auf dem Birklehof leben und lernen, sind unterschiedlich.
„Bei 95 Prozent der Jugendlichen, die zu uns wollen, geht die Initiative von ihnen selbst aus“, sagt Rüdiger Hoff. Häufig müssten sie erst noch ihre Eltern überzeugen. So, wie es auch bei Salomé Baumstark der Fall war. „Die meisten Schüler wollen hierher“, sagt auch die Stipendiatin. „Natürlich kommen auch manche übers Jugendamt oder auf Wunsch der Eltern, weil die selbst mal ein Internat besucht haben, oder viel arbeiten“, sagt sie. „Aber spätestens nach zwei Wochen will hier keiner mehr weg.“ Das ist auch im Sinne des Schulleiters. Er sagt: „Wir erwarten, dass die jungen Leute freiwillig hier sind und sich an die Regeln halten.“
Was macht den Birklehof aus, hebt ihn von rund 300 Internaten in Deutschland ab? So viele Adressen führt das Handbuch „Der große Internate-Führer 2024/2025“ auf. Die Bandbreite ist groß. Katholische Internate wie das Kolleg St. Blasien zählen ebenso dazu wie das Sportinternat des Olympiastützpunkts Freiburg-Schwarzwald. Die Zeitschrift Wirtschaftswoche hat in einem Artikel über den Trend zu Internaten vor einem guten Jahr zehn Eliteinternate in Deutschland aufgelistet – darunter im Südwesten Schloss Salem und den Birklehof.
Rüdiger Hoff mag den Begriff Elite „nicht so sehr“, zumal er hierzulande häufig mit Geld verknüpft werde. „Ich empfinde den Birklehof nicht als elitär, sondern als bodenständig“, sagt er. Auf dem Birklehof würden an freien Wochenenden keine Kinder mit Nobelkarossen abgeholt werden, die meisten gingen zu Fuß zum Bahnhof oder radelten dorthin. „Hier sind nicht die Reichen unter sich, vielmehr sind wir ein wundervoll bunt gemischter Haufen.“ Auch Salomé Baumstark sagt: „Natürlich sind hier auch Kinder von vermögenden Eltern. Aber das kriegt man im Alltag nicht mit.“ Eher, wenn die Urlaubsfotos gepostet würden. „Hier sind alle gleich und ganz normal gekleidet“, sagt die Schülerin. Und was die Eltern arbeiten, sei kein Thema – so, wie wahrscheinlich bei den meisten Jugendlichen.
Aber Durchschnitt ist der Birklehof dann auch wieder nicht. Im Gegenteil. „Wenn es unbedingt der Begriff Elite sein soll, dann zählen die Schüler zur Bildungs- oder Leistungselite“, meint der Schulleiter. Allerdings würden nicht nur Einserschüler aufgenommen. Gleichwohl zieht der Birklehof naturwissenschaftlich Begabte an. Schließlich zählt das Internat zu einem von sechs plus MINT-Internaten in Deutschland. „Es ist ein bisschen vergleichbar mit den Leistungszentren des DFB, die es bundesweit gibt“, sagt Schulleiter Hoff. Auf der Website ist der Text zum naturwissenschaftlich-technischen Schwerpunkt mit den Worten „Die Einsteins von morgen“ überschrieben. Neben dem naturwissenschaftlichen gibt es auch ein musisch-künstlerisches und ein Sprachprofil. Hierbei kooperiert der Birklehof im Rahmen von Austauschprogrammen mit anderen Internaten im In- und Ausland oder zum Beispiel mit der Freiburger Musikhochschule.
Kleinere Klassen, mehr Lehrkräfte
Weitere Besonderheiten sind die kleinen Klassen mit maximal 20, durchschnittlich 15 Schülerinnen und Schülern. „Das, was viel Geld kostet, ist der Klassenteiler“, erklärt Hoff. Er verdoppele die Aufwendungen fürs Personal. Und dies sei für das pädagogische Konzept der privaten, als Verein organisierten Schule zentral: „Uns geht es darum, die Stärken und Talente jedes Kindes zu fördern“, sagt Rüdiger Hoff. Die Schule Birklehof ist staatlich anerkannt, die Lehrpläne müssen erfüllt werden, die Abiturprüfungen sind dieselben wie an staatliche Schulen. Aber die Lehrkräfte achten darauf, dass die Schülerinnen und Schüler viel frei und selbstbestimmt arbeiten können.
Etwa ein Drittel der insgesamt 40 Pädagogen (dazu kommen 25 Mitarbeitende in Handwerk und Hauswirtschaft sowie zehn in der Verwaltung) leben auf dem Gelände. Die Schülerinnen und Schüler wohnen in ihrem letzten Schuljahr in Einzelzimmern, davor jeweils zu zweit in nach Geschlechtern getrennten Jahrgangshäusern, die verstreut übers Gelände liegen. Stets wohnen auch Lehrkräfte mit reduziertem Deputat, sogenannte Hauserwachsene, allein oder mit ihren Familien in einer eigenen Wohnung in den jeweiligen Gebäuden. Die nicht einmal zwei Dutzend Fünf- bis Siebtklässler leben gemeinsam in einem Haus. „Ich würde erst Kinder ab der achten Klasse aufnehmen“, findet Salomé Baumstark. Bis dahin sollten die Kinder bei ihren Eltern wohnen. Dass dies nicht immer so praktiziert werde, sei das Einzige, was sie am Birklehof ändern würde. Ansonsten schwärmt sie von den vielen Sport- und anderen Freizeitangeboten, von den Freundschaften und der Kooperation auch mit anderen Internaten.
Die Wohngebäude selbst zeichnen die Geschichte des Birklehofs nach. Das älteste stammt aus dem Jahr 1550 und ist ein ehemaliger Bauernhof. Hier liegen die Wurzeln des im Jahr 1932 von Kurt Hahn, der bereits Schloss Salem mit aufgebaut hatte, gegründeten Einrichtung. Und dort, in dem mit Schindeln verkleideten Haus mit schiefen Türen und der guten Stube mit ihrem grünen Kachelofen wuchs auch Georg Picht auf, der das Internat nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufbaute. Nach und nach kamen weitere Gebäude dazu. Das neueste, fünf Millionen Euro teure diesen Sommer. Es ist das erste, dass auch mithilfe eines Kredits finanziert wurde. Zuvor haben wurden Bauprojekte stets aus eigens dafür gesparten Eigenmitteln gestemmt. Für kleinere Projekte oder andere Besonderheiten sammeln die Mitarbeitenden stets auch bei Ehemaligen Spenden. Da kommen schonmalmal einige 10.000 Euro zusammen.
Ob Spenden oder Schulgeld: Das Geld wird auch dazu verwendet, eine eigene Krankenschwester sowie eine Schulpsychologin zu finanzieren. Beides unterscheiden das private Internat von staatlichen Schulen. Ebenso die Bedeutung der Erlebnispädagogik. Beispielsweise steht in Klasse 9 eine Woche auf einer Selbstversorgerhütte in den Alpen an und in Klasse 10 eine neuntägige Tour mit Zelt und Rucksack in Norwegen. „Dabei lernen die Schüler, mit Herausforderungen umzugehen“, sagt Hoff und berichtet begeistert davon, wie ein im Unterricht eher zurückhaltender Schüler auf einmal eine Gruppe durch die Natur führte und daraus Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl entwickelte. „Davon profitiert er weiterhin auch im Alltagsleben sehr“, sagt Hoff.
Auch Salomé Baumstark sind die Tage in dem norwegischen Nationalpark in Erinnerung geblieben. Auch wenn sie neben der Einsamkeit und Stille in der unberührten, weiten Landschaft zuerst von den ständig nassen Füßen berichtet. „Aber die Zeit hat uns als Klasse noch einmal mehr zusammengeschweißt“, sagt sie.