Die Zahl der Auszubildenden im Handwerk nimmt ab. Gleichzeitig steigt der Bedarf am Fachkräftenachwuchs. Wollen junge Leute nicht mehr im Handwerk arbeiten? Ein Stimmungsbild aus der Region.
VON SUSANNE MAERZ
Eine gute Nachricht vorweg: Das Sanitär- und Heizungshandwerks leidet nicht mehr unter seinem schlechten Image. „Das hat sich zum Glück geändert“, sagt der Installateur- und Heizungsbaumeister Jens Marquart vom gleichnamigen Sanitärbetrieb aus Sulzburg und verweist auf die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hatte gesagt, dass diese Berufsgruppe für die Energiewende benötigt werde. Das zeige Wirkung. Die nötigen Mitarbeitenden fürs Meistern der Energiewende müssen die Unternehmen dennoch erstmal rekrutieren. Denn die Auftragsbücher der meisten Betriebe sind auch ohne Wende voll, die Mitarbeitenden ausgelastet. Gleichzeitig häufen sich zum Beispiel Anfragen von Menschen, die sich eine Wärmepumpe wünschen. Viele Betriebe brauchen also mehr Mitarbeitende, um all dies zu stemmen. Da Fachkräfte rar sind, setzen viele auf Ausbildung.
Zusammen mit anderen Mitgliedern der Innung Sanitär Heizung Klima Freiburg Müllheim Hochschwarzwald warb Jens Marquart daher Mitte Oktober auf der Job-Start-Börse in Müllheim für seine Branche. Am Stand der Innung konnten Jugendliche aus einem Kupferrohr ein Herz biegen. Und der Sohn des Innungsobermeisters erklärte ihnen nebenbei die Vorzüge der Lehre und welche Weiterbildungsmöglichkeiten sie danach haben. „Es wird nämlich immer suggeriert, dass nur der akademische Weg Aufstiegsmöglichkeiten bietet“, sagt er. Das stimme aber nicht.
Was sagen die jungen Leute? Viele Werkrealschüler oder Realschüler, so zumindest der subjektive Eindruck aus dem Bürgerhaus Müllheim, streben ganz selbstverständlich nach wie vor eine Lehre an. So wie der 15-jährige Felix. Er hatte jedenfalls Spaß daran, ein Herz zu biegen und will auch nach der Schule eine Ausbildung machen. Ob er sich eine Lehre im SHK-Handwerk vorstellen kann, weiß er noch nicht.
Für den 17-jährigen Biniam hingegen steht bereits fest: Er möchte auf jeden Fall Kfz-Mechatroniker werden. Damit steht er nicht allein. Diesen Berufswusch äußern mehrere junge Männer, die man auf der Messe nach ihrem Berufswunsch fragt. Auch die Handwerkskammern Freiburg und Konstanz berichten, dass alle fahrzeugtechnischen Berufe grundsätzlich gut laufen. Im Gebiet der Handwerkskammer Konstanz, das vom Bodensee bis in den Schwarzwald reicht, ist der Beruf des Kfz-Mechatronikers seit Jahren der mit den meisten Lehrverträgen. Gleichwohl geht auch hier die Zahl leicht zurück.
Langsamer Rückgang der Ausbildungsverträge
Offene Lehrstellen gibt es Mitte Oktober in der gesamten Region – quer über die mehr als 130 Ausbildungsberufe im Handwerk hinweg, zu denen genauso Orgelbauer wie Bestattungsfachkräfte oder Maurer zählen. Und eben auch die derzeit besonders gefragten Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Konstanz führen sie Mitte Oktober die Rangliste der insgesamt 253 offenen Ausbildungsplätze an. Auch im Kammerbezirk Freiburg, der vom Landkreis Lörrach bis zur Ortenau reicht, gibt es noch viele freie Stellen in der SHK-Branche und insgesamt 151 als unbesetzt gemeldete Lehrstellen. Besonders schwer, so berichtet Handwerkskammerpräsident Johannes Ullrich, hätten es die Nahrungsmittelhandwerke wie Bäcker, Konditor oder Fleischer.
Ob mehr oder weniger gesucht – ein Problem hat das gesamte Handwerk: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge geht seit mehreren Jahren zurück. Zwar nicht dramatisch, dafür aber kontinuierlich: Gab es bei der Handwerkskammer Konstanz im Jahr 2014 noch 1778 neue Lehrlinge, sind es dieses Jahr 1704. Während der Pandemie sank die Zahl noch mehr, dieses Tal ist aber überwunden. Die Handwerkskammer Freiburg verzeichnet für dieses Jahr 2332 neue Verträge, rund 100 weniger als im Jahr 2016, aber wieder mehr als während der Pandemie.
Die Agentur für Arbeit zählt in den Bereichen Freiburg, Offenburg und Lörrach einen Rückgang der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Auszubildenen in einem Handwerksberuf von knapp 7300 im Jahr 2013 auf knapp 6650 in diesem Jahr. Gestiegen ist in diesem Zeitraum indes der Anteil von Lehrlingen mit ausländischer Staatsangehörigkeit – von 7,2 auf 14,6 Prozent. Hier, so betont Hanspeter Fakler, Pressesprecher der Arbeitsagentur Freiburg, könne man Erfolge vorweisen. Das Rekrutieren einer neuen Zielgruppe hat sich gelohnt.
Problem demografische Entwicklung
Generell, so berichtet Fakler, würden sich die Nachwuchssorgen im Handwerk nicht von denen in anderen Bereichen unterscheiden. Denn derzeit suchen schließlich Unternehmen aller Branchen händeringend Auszubildende. Das zeigt sich auch auf der Job-Start-Börse in Müllheim. Industrieunternehmen, Krankenhäuser oder Banken aus der Region – sie alle werben um die jungen Leute der umliegenden Schulen von der Werkrealschule bis zum Gymnasium. Sei es für eine Ausbildung oder ein duales Studium.
Als Gründe nennt der Arbeitsagentur-Pressesprecher in erster Linie den „demografisch bedingten Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern“. Die Zahl der jungen Leute nimmt kontinuierlich ab. Zudem, so berichtet Fakler, sei der duale Ausbildungsmarkt besonders im Raum Freiburg einem starken Wettbewerb ausgesetzt. „Die Stadt Freiburg ist nicht nur Hochschulstandort, sondern auch Heimstätte zahlreicher rein schulischer Ausbildungsgänge“, sagt er. Dazu kämen weitere Alternativen wie weiterführende Schulen, Auslandsaufenthalte, Freiwilligendienste und Direkteinstieg in den Arbeitsmarkt.
Wer also im Raum Freiburg nach dem Haupt- oder Realschulabschluss noch keine klaren Vorstellungen hat, wohin es beruflich einmal gehen soll, dem bietet sich ein großes Spektrum beruflicher oder allgemeinbildender Schulen. Manch einer macht Abitur, um so mehr Zeit für die Berufswahl zu haben. Andere streben indes die (Fach-)Hochschulreife an, um danach mehr Möglichkeiten zu haben, keine Lehre machen zu müssen, sondern auch studieren zu können.
Den Trend zum Abitur gibt es in ganz Baden-Württemberg. Das belegen die Zahlen des Statistischen Landesamtes: Schlossen im Jahr 2000 noch rund 29 Prozent eines Jahrgangs in Baden-Württemberg die Schule mit der Hochschulreife ab, waren es im Jahr 2019 knapp 42 Prozent. Fast die Hälfte der jungen Frauen macht inzwischen Abitur, bei den jungen Männern sind es ein gutes Drittel. Viele junge Menschen starten also später ins Berufsleben als früher. Und viele von ihnen streben dann Berufe an, bei denen sie sich nicht schmutzig machen oder bei Wind und Wetter im Freien arbeiten. Da haben viele Handwerkbetriebe im Zweifelsfall das Nachsehen.
Viele sind noch unentschlossen
Zurück zur Job-Start-Börse in Müllheim: Am Stand der Knobel Bau-Gruppe aus Hartheim erklären drei Mitarbeitende die verschiedenen Ausbildungsberufe, die das Unternehmen anbietet. „Ab wann darf man die Maschinen fahren?“, fragt der 15-jährige Marcel, der sich für die Ausbildung zum Baugeräteführer interessiert. Er hört gespannt zu. Mit Infomaterial in der Hand geht er weiter – denn sein Mitschüler drängelt. Der will nämlich Landschaftsgärtner werden. Dafür interessiert sich ein anderer junger Mann für den Beruf des Land- und Baumaschinenmechatronikers, den die Knobel Bau-Gruppe ebenfalls anbietet. Doch nicht alle Berufe sind gefragt. „Leider ist der Straßenbauer bei den jungen Leuten nicht so beliebt, dabei brauchen wir den am meisten“, berichtet Personalreferentin Kathrin Maul. „Den Beruf verbinden die meisten mit schwerer körperlicher Arbeit.“ Die meisten Jugendlichen wollten lieber studieren, was mit Computern machen oder Influencer werden, ist ihre Erfahrung. Zum Glück gelinge es nach wie vor, viele junge Leute für das Bauunternehmen zu rekrutieren. Dennoch hat Knobel Bau noch offene Lehrstellen.
Die meisten Handwerksberufe sind also weiterhin beliebt. Aber angesichts des steigenden Bedarfs reicht das Interesse nicht aus. Dieses Bild zeichnen viele der Unternehmen auf der Messe. „Ausbildung ist immer noch gefragt“, sagt auch Franziska Weiß, Ausbilderin bei Weil Technology aus Müllheim. Sogar „richtig viele Mädels“ würden sich informieren. Ebenso der 15-jährige Silvan, der sich am Stand des Unternehmens über die verschiedenen Ausbildungsberufe erkundigt. Er ist sich indes noch nicht sicher, was er nach der mittleren Reife machen möchte. Weiter zur Schule gehen, oder eine Ausbildung – auch im Handwerk. Alles ist noch möglich.
Die 14-jährige Leonie, die sich zusammen mit Mitschülerinnen am Stand der Lerner Bedachung & Baublechnerei aus Kandern über den Beruf des Dachdeckers informiert, ist ebenfalls noch unentschieden. „Auf jeden Fall erstmal Realschulabschluss und dann Abitur“, sagt sie. Wie steht es um eine Ausbildung im Handwerk? „Ich überleg‘ es mir auf jeden Fall.“ Dachdecker Andreas Scharfenberg freut sich über das Interesse der Mädchen. „Es ist aber eine körperlich harte Arbeit“, gibt er zu Bedenken und rät zuerst zu einem Praktikum. Ob männlich oder weiblich – es werde immer schwieriger, die Ausbildungsstellen zu besetzen, berichtet er. Dabei gehören laut der Handwerkskammer Freiburg Zimmerer und Schreiner – zumindest bislang – zu den Ausbildungsberufen, bei denen es „recht solide aussieht“. Aber angesichts des demografischen Wandels steigt auch in dieser Branche der Bedarf.
Und er wird weiter steigen, egal ob im Handwerk, der Industrie oder im Dienstleistungsbereich: „Die Situation wird sich weiter verschärfen, weil die ersten Babyboomer bereits aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und wir erst am Anfang dieses Trends stehen“, sagt Hanspeter Fakler von der Arbeitsagentur. „Ohne selbst auszubilden, lassen sich diese Lücken kaum schließen.“ Und auch dies ist eben gar nicht so einfach.
Immerhin: Im Bereich der Handwerkskammer Konstanz wächst das Interesse an den „Energiewendeberufen“, wie die Berufe im SHK-Handwerk und der des Elektronikers inzwischen genannt werden. Das ist auch gut so, wie der Konstanzer Handwerkskammerpräsident Werner Rottler betont. Schließlich wäre ohne diese Fachkräfte „die Installation von Solaranlagen oder die Modernisierung von Heizanlagen nicht umsetzbar“.