Es gibt eine bundesweite Initiative für eine neue Unternehmens-Rechtsform: Sie soll sicherstellen, dass Betriebe keine Gewinne ausschütten und nicht verkauft werden können. Zwei Unternehmen aus Freiburg machen es vor.
VON SUSANNE MAERZ
Eine neue Unternehmensform mit sogenanntem gebundenem Vermögen wird durch zwei Entwicklungen vorangetrieben: Erstens wollen viele Unternehmer auf Nachfolgersuche sicherstellen, dass ihr Unternehmen erhalten bleibt und in ihrem Sinne weitergeführt wird. Zweitens ist der jungen Start-up-Generation die Sinnhaftigkeit ihres Tuns besonders wichtig.
Die Mitarbeiter hier nehmen häufig Abstriche beim Gehalt in Kauf, weil sie von den Werten des Unternehmens überzeugt sind. Und die Jungunternehmer selbst wollen ihnen und den Kunden garantieren können, dass sie auch halten, was sie versprechen. Zum Beispiel, dass sie ihr Unternehmen später nicht gewinnbringend verkaufen.
Bislang kann dies nur über eine Satzung, die sich die Unternehmen geben, geregelt werden. Allerdings hat der politische Prozess für eine neue Rechtsform nach dem Engagement vieler bekannter Unternehmer und Wissenschaftler an Fahrt aufgenommen. So steht im Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr: „Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen.“
Für die Stiftung Verantwortungseigentum ist dies „ein ganz toller Erfolg, auf den wir stark hingearbeitet haben“, wie Pressesprecher Christoph Bietz hervorhebt. Die Stiftung setzt sich für eine neue Rechtsform ein und ist Mitinitiator des Aufrufs der genannten Unternehmer.
Zudem haben fünf renommierte Gesellschafts- und Steuerrechtler einen Gesetzentwurf für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV) erarbeitet und ihn an die zuständigen Ministerien geschickt. Die sind am Thema dran: Die Mitarbeiter räumen derzeit noch „letzte steuerliche Bedenken aus“, heißt es vom Bundestagsbüro der Freiburger Grünen-Abgeordneten Chantal Kopf. Dann könne mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs begonnen werden. „Wir verfolgen eine möglichst baldige Umsetzung.“
Prinzipien in Satzung festgeschrieben
Das Freiburger Start-up Wetell wollte darauf nicht warten: „Wir freuen uns, dass es eine Gesetzesinitiative gibt. Aber wir glauben noch lange nicht daran, dass sie in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt wird“, sagt Andreas Schmucker, einer der Gründer und Geschäftsführer. „Wir sehen uns als Aktivisten und wollen vorangehen.“ Daher haben er und seine Mitstreiter ihr 2018 gegründetes Unternehmen Ende Juni in ein sogenanntes Purpose-Unternehmen umgewandelt. Mit einer großen Party haben sie das Unterzeichnen der Satzung gefeiert.
Purpose heißt auf Deutsch Zweckbestimmung, Sinnhaftigkeit. Die Grundsätze von Purpose-Unternehmen sind ähnlich, zum Teil sogar strenger, als es der Gesetzentwurf für die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen der Wissenschaftler vorsieht: Auch ein Purpose- Unternehmen darf weder Gewinne ausschütten noch verkauft werden. Es gehört quasi sich selbst, die Verantwortungseigentümer agieren treuhänderisch. Gesellschafter darf außerdem nur sein, wer im Unternehmen arbeitet. Dafür, dass dies auch eingehalten wird, trägt die Purpose-Stiftung Sorge, die ein Prozent der Stimmanteile hält.
Wetell bietet nachhaltigen Mobilfunk an. Die Kunden telefonieren über das Vodafone-Netz und Wetell garantiert ihnen, dass allen Emissionen aus der Netzinfrastruktur selbst erzeugter oder zugekaufter grüner Strom entgegengesetzt wird. Weitere Prinzipien sind faire Bezahlung, allen voran der Servicemitarbeiter, transparente Verträge und Datenschutz. Schmucker geht davon aus, dass das Unternehmen Anfang 2023 den Break-even erreicht.
„Wir sehen uns als Aktivisten und wollen vorangehen.“
Andreas Schmucker, Gründer der Wetell GmbH
Dafür sind etwa 15.000 Kunden nötig. Rund 9000 sind es derzeit, Tendenz rasch steigend. 16 Mitarbeitende sind beschäftigt. „Mit der Umwandlung in ein Purpose-Unternehmen wollen wir sicherstellen, dass unsere Kundschaft weiß, dass wir es mit dem nachhaltigen Mobilfunk auch ernst meinen und unseren Werten Klimaschutz, Datenschutz, Fairness und Transparenz für immer treu bleiben“, sagt Schmucker. Bislang gibt es weltweit rund 50 Unternehmen, die nach dem Purpose-Modell agieren. In Deutschland befi nden sich schätzungsweise etwa 300 in einer Form von Verantwortungseigentum.
Es gibt auch Kritiker einer solchen Gesellschaftsform: Zu denen zählen Vereinigungen von Familienunternehmen, die sich vor allem am Begriff stoßen und hervorheben, dass auch sie verantwortungsvoll und im Sinne der Gesellschaft agieren. Und es existieren andere Möglichkeiten, den Fortbestand eines Unternehmens zu sichern – zum Beispiel eine Stiftung zu gründen, die nach den Prinzipien von Verantwortungseigentum agiert. Laut Sprecher Bietz von der Stiftung Verantwortungseigentum ist die Umsetzung vor allem für kleine und mittlere Unternehmen aber kompliziert und teuer. Eine Vermögensbindung hat auch eine gemeinnützige GmbH (gGmbH). Doch ein Mobilfunkanbieter ist nicht gemeinnützig. Ebenso wenig ein Versandhändler für nachhaltige Produkte wie Waschbär.
Vorreiter aus Freiburg
Dafür ist Waschbär ein Vorreiter der Purpose-Idee: Der ehemalige Geschäftsführer Ernst Schütz fand keine für sich passende Unternehmensform, als er seine Nachfolge regeln wollte. Er hatte die Freiburger Firmengruppe im Jahr 2001 aus der Insolvenz übernommen und wieder profitabel gemacht. In seiner Familie gab es keinen Nachfolger. Ohnehin stand es für ihn an erster Stelle, den Fortbestand des Unternehmens zu gewährleisten und zu verhindern, dass es zu einem Spekulationsobjekt werden kann. In drei leitenden Mitarbeitenden fand er Nachfolger sowie Mitstreiter für seine Idee.
Einer von ihnen ist Matthias Wehrle, der gemeinsam mit Ernst Schütz eine passende Satzung erarbeitete. „Im Mittelpunkt stand die Frage: Was bedeutet Nachhaltigkeit in Bezug auf die Unternehmensnachfolge, und wie stellen wir sicher, dass auch weiterhin der Geschäftszweck im Mittelpunkt steht und unser Wirtschaften für die Menschen da ist?“, berichtet er.
Die Satzung war eine der ersten ihrer Art, trat zum Jahreswechsel 2017/2018 in Kraft und dient Unternehmen wie Wetell als Vorbild. In diesem Zug wurde der Esoterik-Versandhändler Pranahaus aus der Firmengruppe herausgelöst und agiert nun unter der Leitung von Tobias Jerg von Riegel aus – ebenfalls als Purpose- Unternehmen.
Matthias Wehrle und Katharina Hupfer sind seitdem Verantwortungseigentümer des Waschbär-Versands mit seinen drei Ladengeschäften, gut 400 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von zuletzt 79 Millionen Euro. Der Betrieb wächst und erwirtschaftet Gewinn. Ein Teil wird in die Weiterentwicklung des Unternehmens investiert, einen anderen erhalten die Beschäftigten als Prämie.
„Wir geben den Mitarbeitenden ein hohes Maß an Eigenverantwortung und binden sie stark in die Entscheidungen ein“, sagt Wehrle. Das ist für ihn eine Besonderheit im Unternehmensalltag. Überhaupt stehe die Gemeinschaft im Vordergrund. Auch wenn Waschbär vormacht, dass es ohne Gesetz geht, so hoff t doch auch Matthias Wehrle auf eine in Gesetzesform gegossene neue Rechtsform – „damit rechtlich alles wasserdicht ist. Das ist uns auch unseren Kunden gegenüber wichtig“, sagt er.