Wälder Genuss in Bärental und die Reithalle Achern verfolgen ein ähnliches Konzept, in dem sie konsequent auf Regionalität setzen. Das zahlt sich gerade in der Krise aus – der zum Trotz beide in diesem Jahr ihren Neustart hinlegen.
VON CHRISTINE WEIS
“Ich bin der Wälder“, sagt Johannes Pokrzywa mit festem Begrüßungshandschlag am Stammtisch seiner Gaststätte. Damit wird gleich deutlich, der 62-jährige Geschäftsführer ist ein Teil seiner eigenen Marke. Zusammen mit seinen beiden Kindern betreibt er unter dem Namen Wälder Quartier mehrere Ferienwohnungen und Gästehäuser im Hochschwarzwald. Im Mai dieses Jahres eröffnete er den Wälder Genuss: ein regionaler Landmarkt (700 Quadratmeter Verkaufsfläche) mit integrierter Gastwirtschaft (je 140 Sitzplätze im Innen- und Außenbereich) in Feldberg-Bärental. Demnächst soll es zudem regionale Produkte wie Gin oder handgemachte Füller und Schreibwerkzeuge aus heimischen Obsthölzern mit dem Label Wälder geben.
Pokrzywa kann sich auch vorstellen, weitere Wälder-Märkte im Schwarzwald aufzubauen. Doch das sei noch Zukunftsmusik. „Heute sind wir erstmal froh, dass wir nach einem halben Jahr wissen, wie alles funktioniert und wir wieder geradeaus laufen können“, sagt der Unternehmer.
Ein Neubau und Neustart in diesen Zeiten sei ein schwieriges Unterfangen. Wie bei den Produkten setzte er bei Planung und Bau auf Bewährtes aus der Heimat. Die Pandemie habe den Bau erschwert und verzögert, doch die globalen Lieferengpässe aufgrund des Ukraine-Krieges konnten sie umgehen, weil sie ausschließlich regionale Lieferanten und Handwerker hatten, erzählt Pokrzywa.
Wir sind froh, dass wir nach einem halben Jahr wissen, wie alles funktioniert und wir wieder geradeaus laufen können.“
Johannes Pokrzywa, Inhaber Wälder Genuss
Sieben Jahre dauerte die Phase von der Planung bis zur Fertigstellung. Und sieben Millionen Euro stehen auf der Ausgabenseite. Pokrzywa beschreibt es bildhaft: „Wir sind als Flussboot gestartet, aus dem dann allmählich ein Traumschiff geworden ist – auch finanziell.“
Jedes Produkt hat eine Geschichte
Das „Traumschiff“ in Holz- und Sichtbetonoptik ohne kitschige Bollenhutromantik liegt zwischen den Hotspots Feldberg, Titisee und Schluchsee und wurde zunächst hauptsächlich von Touristen angesteuert. Mittlerweile finden auch immer mehr Einheimische den Weg in den Wälder Genuss. Für den Geschäftsführer sind es gute Zeichen, wenn etwa ansässige Rentner regelmäßig zum Mittagstisch kommen und immer mehr Familien und Firmen ihre Feiern hier ausrichteten.
Auf der Speisekarte von Küchenchef Leon Wuchner stehen Forellen aus seiner eigenen Zucht in Görwihl, Hirschbraten aus heimischer Jagd oder Ibacher Freilandgans – auch vegetarische und vegane Gerichte wie Linsenküchle oder Rösti. Regionalität ist Bedingung für Küche, Getränke und alles, was im Laden angeboten wird
„Mir ist wichtig zu wissen, wie und von wem etwas hergestellt wird.“
Johannes Pokrzywa
Rund 3000 Artikel von etwa 200 Lieferanten umfasst das Marktsortiment, vom Bauernbrot über den Fallerhaus-Bastelbausatz bis zum Wutach-Rum. Egal ob Bücher, Kosmetik, Schmuck oder Speck – alles kommt aus dem Schwarzwald oder hat etwas mit ihm zu tun. „Wir wollen gerade für kleine Manufakturen eine Plattform bieten“, sagt Pokrzywa, „aber es muss qualitativ gut sein.“ Die meisten der Lieferanten kennt er persönlich, und er testet alles selbst, bevor etwas in den Warenkorb aufgenommen wird. „Mir ist wichtig zu wissen, wie und von wem etwas hergestellt wird. Jedes Produkt hat seine Geschichte, die wollen wir den Kunden erzählen.“ Deshalb sollten die Verkäufer Einblick in die Herstellung bekommen. Gerade hätten Mitarbeitende in der Schwarzwälder Geisserie in Lauterbach oder bei der Design-Manufaktur Raumgestalt in Bernau mitgearbeitet.
Mit Veranstaltungen wie Lesungen, Verkostungen oder der Krippenausstellung erschließe man neue Zielgruppen, von denen auch andere Geschäfte und die hiesige Gastro profitiere. Der Wälder Genuss wolle keine Konkurrenz gegenüber bestehenden Betrieben sein, sondern eine Ergänzung, bekundet Pokrzywa.
Reithalle Achern – geschichtsträchtiger Neubeginn
Unter dem Dach der Reithalle in Achern versammeln sich seit April ein Regionalmarkt, die Buchhandlung Rhema, das Café 58, Büros und Wohnungen. Die Eröffnung war am 7. April, zeitgleich mit der offiziellen Einweihung des Julius Hirsch Platzes davor. Julius Hirsch, am 7. April 1892 in Achern geboren, war Jude. Zwischen 1911 und 1913 spielte der Fußballer für die Nationalmannschaft. 1943 wurde er von den Nationalsozialisten ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. In einer Zeit, da ein schrecklicher Krieg in der Ukraine herrscht und die Fußball-WM in einem Land spielt, das die Menschenrechte verletzt, hat Achern hier ein Zeichen gesetzt.
Die 1946 erbaute Reithalle hat ebenfalls eine Geschichte. Sie war Teil der Reparationszahlungen nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde von den französischen Besatzungstruppen bis 1994 genutzt. Heute gehört sie dem Acherner Unternehmerehepaar Astrid und Gerold Weber. Die Kosten für die Sanierung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes verraten sie nicht. Es ist anzunehmen, dass gerade die Instantsetzung der historischen Nagelbinderkonstruktion und das nachhaltige Heizsystem kostenintensiv waren. Das Ergebnis ist jedenfalls gelungen. Betritt man die Halle, wird man von einem mächtigen Raumgefühl ergriffen.
Der Gebäudekomplex mit 70 Prozent öffentlicher Nutzung gehört zum Gesamtkonzept des Areals Illenau-Wiesen, ein Teilgebiet des Geländes der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Illenau. Hier entstehen gerade der Campus des IT-Unternehmens Powercloud, rund 140 Wohnungen und ein Hotel. „Die Reithalle ist das Bindeglied zwischen der Innenstadt und den Illenau-Wiesen“, sagt die Eigentümerin Astrid Weber, „mit den Geschäften und der Gastro ist sie nicht nur architektonisch eine Bereicherung für das Quartier.“
Tango an der Tanke und Milch von der Zapfsäule
Der Vollsortimenter im Innern nennt sich Markthalle Achern. Die meisten Produkte kommen von rund 20 regionalen Betrieben wie der Zeller Mühle, dem Aspichhof in Ottersweier, dem Acherner Weingut Max Bohnert oder vom Obsthof Kasper aus Nußbach. Eine Besonderheit sind verpackungsfreie Lebens-, Reinigungs- und Waschmittel. Milch kann aus dem Automaten oder Haferflocken können aus einem Großbehälter abgefüllt werden.
„Es ist schön zu sehen, dass es mit den Synergien funktioniert. Viele, die zu uns zum Einkaufen kommen, besuchen auch das Café oder den Buchladen.“
Carolin Kohler, Leiterin Markthalle Achern
Betreiber der Markthalle ist eine Genossenschaft mit aktuell 180 Mitgliedern. Carolin Kohler leitet die Markthalle. Die 25-jährige geschäftsführende Vorständin blickt mit gemischten Gefühlen auf die ersten Monate: „Die Kundenfrequenz steigt kontinuierlich, das ist schön. Wir haben ja mitten in der durch den Krieg bedingten Krise geöffnet und hatten keine Inflation in unserer Planung vorgesehen“, sagt Kohler. Dennoch seien ihre Preissteigerungen geringer als jene in den großen Supermärkten. Wegen der regionalen Bezugsquellen gab es jedenfalls keine Engpässe bei Mehl oder Sonnenblumenöl, berichtet Kohler. „Es ist schön zu sehen, dass es mit den Synergien funktioniert. Viele, die zu uns zum Einkaufen kommen, besuchen auch das Café oder den Buchladen“, sagt Kohler. Mit Events wie Advents- und Feierabendmärkten oder dem Oldtimertreff wolle man weitere publikumswirksame Akzente setzen.
Akzente setzt auch Jana Reinhardt mit ihrem Café 58. Die Konditorin hat sich bereits ein Stammpublikum erarbeitet. Einige Gäste reisten für ihren Cappuccino oder Linzertorte eigens aus Straßburg an. „Bis jetzt habe ich noch keinen Monat rote Zahlen geschrieben“, sagt die 21-Jährige. Sie bewirtet neben dem Café auch den Außenbereich mit der Tanke 58. Die alte Tankstelle wurde zur Außengastro umfunktioniert und vom Offenburger Künstler Werner Nagel gestaltet. Alle drei Wochen gibt es Tango an der Tanke. Donnerstags und freitags auch Deftiges aus dem Feuerkessel. Bei jedem Wind und Wetter – der Kälte zum Trotz.