Dem Boutique-Hotel Mühle gelingt am angestaubten Touri-Standort Schluchsee die Kombination aus Gemütlichkeit mit mutigen, neuen Ansätzen. Statt überladenem Einmal-alles-Angebot besinnt man sich im Team um Hoteldirektor Marius Tröndle auf eine klare Linie und wagt nie Dagewesenes.
VON ANNA-LENA GRÖNER
Der Kurort Schluchsee ist auf Touristen ausgelegt, die gute alte Schwarzwald-Nostalgie vor Seekulisse suchen. Die Natur einzigartig, die Unterkünfte oft austauschbar: Geranien in Plastikkästen, urige Teppichmuster, auf die schwere Vorhänge drücken. Dazu wird eine pseudogehobene, oft geschmeckte für-jeden-was-dabei Küche serviert.
Das Boutique Hotel Mühle bietet seit vergangenem Herbst eine angenehme Abwechslung, die ein bisschen Großstadtkreativität und Szene-Individualität in die Schluchsee-Einöde bringt. Oberhalb des Sees liegt das hölzerne Landhaus aus dem 16. Jahrhundert, umgeben von über 8000 Quadratmeter Gartenidyll.
Ohne Plastikliegestühle mit Blumenüberwurf, dafür hier und da ein Holzbänkchen zum Abhocken. Was auffällt, ist die Ruhe an diesem Donnerstagmorgen: das mag ein bisschen der Corona-Zeit geschuldet sein, doch es steht kein Auto auf dem Hotelparkplatz, keine Gäste weit und breit. Dabei ist die „Mühle“ scheinbar bis Ende August so gut wie ausgebucht. „Wir haben Dienstag und Mittwoch Ruhetag, unsere Gäste reisen heute erst an“, sagt Hoteldirektor Marius Tröndle.
Seit Oktober letzten Jahres läuft die „Mühle“ unter seiner Führung. Nach Restaurantumbau und kleineren Renovierungsarbeiten in den zehn Hotelzimmern wurde im Dezember eröffnet. Wenige Monate später der Lockdown durch Corona. Eine ungewollte Ruhe für den 28-jährigen Inhaber Tröndle und seine insgesamt acht Mitarbeiter.
Tröndle wurde in Waldshut-Tiengen geboren, machte am Schluchsee die Ausbildung zum Hotelfachmann, lernte in Zürich Betriebswirt und setzte in Mannheim im ehemaligen Sterne-Restaurant „Da Gianni“ noch eine Kochausbildung obendrauf. Jäger ist Tröndle auch, weshalb öfter mal frisches Wild im hoteleigenen Restaurant „Oxalis“ auf den Tellern landet.
Der Zufall hat ihn zurück in den Schwarzwald geführt. „Ich habe das Objekt über Immoscout gefunden und mich sofort verliebt“, sagt der Hoteldirektor. Dass er und sein Team am Schluchsee etwas anbieten können, was hier noch niemand macht, war und ist ein großer Anreiz. Seit Mitte Mai dürfen die Gäste endlich wiederkommen.
Nachhaltige Küche
Küchenchef Max Goldberg hat die Lockdown-Zeit genutzt, indem er viele seiner regionalen Lieferanten besuchte. So habe er jede Menge dazu gelernt und das Netzwerk intensiviert, sagt er. Ein Jahr lang hatte der Koch zuvor seine 30 Bauern aus der Region akribisch ausgewählt. Regionalität ist den Gastgebern wichtig, dogmatisch möchte man dabei nicht sein.
Daher darf der Fisch aus Bayern kommen, weil hier die Qualität stimme, die Weinkarte führt einmal um die Welt und Sojasoße und Koji (ein japanischer Schimmelpilz) – beides sind in Goldbergs Küche wichtige Aromalieferanten – kommen von „Mimi Ferments“ aus Berlin.
Bevor der 33-jährige Küchenchef an den Schluchsee zog, hat er unter anderem im Zwei-Sterne-Restaurant „Opus V“, bei Sternekoch Dennis Maier im „Emma Wolf“ (beides Mannheim) sowie in Österreich im Zwei-Sterne-Restaurant „taubenkobel“ gekocht. Ein eigener Stern ist das Ziel von Max Goldberg. „Er ist relevant, um die Mühen zu belohnen.“ Durch das damit legitimierte höhere Preissegment könne man beispielsweise Mitarbeiter besser bezahlen.
Jedes Jahr reist Goldberg nach Japan, dort faszinieren ihn neben der Küche vor allem die Kultur, die, wie er sagt, „in vielen Dingen ähnlich der deutschen ist“. Der gebürtige Pfälzer kommt selbst aus einer Gastronomenfamilie und will im eigenen Restaurant nun all seine Koch-Skills mit regionalen Produkten, saisonalen Zutaten und japanischer Küche zusammenbringen.
So wird beispielsweise in der Oxalis-Küche viel fermentiert, gerne über der Glut gegart und mit saisonalem Gemüse gearbeitet. Miso trifft Mangalitza Lardospeck auf dem Teller. Der bewusste und nachhaltige Umgang mit den Lebensmitteln ist für Goldberg Teil seiner Philosophie. Von der Kuh kauft er beispielsweise gleich das halbe Vieh, Schweine auch mal komplett. Alles restlos zu verwerten, ist Aufgabe des Küchenteams.
Omakase und Besteckschubladen
Im „Oxalis“ wird „Omakase“ gekocht: eine japanische Essenstradition, die übersetzt so viel bedeutet wie: „Ich überlasse es Ihnen!“ oder wie man im „Oxalis“ sagt: „Ich überlasse es Dir!“, denn die Gäste werden geduzt. Neben dieser zeitgeistigen Etikette übernehmen Goldberg und seine drei Küchenmitarbeiter auch die Qual der Speisewahl.
Sie bestimmen, was auf die Teller kommt. „Wir möchten damit einen gesunden Kreislauf schaffen. Nur genau ein Menü anzubieten, ist die einzige Möglichkeit, mit den richtigen Mengen zu kochen, da ich immer weiß, wie viele Gäste kommen.“ Die Gäste haben lediglich die Wahl zwischen einem sieben oder neun-Gänge-Menü (für 79 oder 99 Euro). Im benachbarten Schwarzwaldhof, bei dem schon die Beilagen-Auswahl eine halbe Seite im gelederten Speisebuch einnimmt, eher undenkbar.
Nicht nur für das „Du“ und „Omakase“ muss man als Gast im „Oxalis“ offen sein, auch auf die „Zeremonie“ sollte man sich einlassen: Der Küchenchef ist nah bei seinen Gästen, setzt sich gerne kurz mit an den Tisch, um „auf Augenhöhe“ das Servierte und seine Geschichte zu referieren. Dafür hält sich der Service zurück: Sommelière Kerstin Bauer berät vor allem bei der Weinbegleitung. Ständiges Besteck-Eingedecke spart man sich durch eine kleine Holzschublade am Tisch, darin versteckt sich das Menü-Werkzeug.
Der Gastraum ist gemütlich, die Decken des über 400 Jahre alten Hauses hängen tief, der Raum ist trotzdem hell und freundlich. Viel Holz, dafür wenig Staubfänger-Firlefanz. Stattdessen stehen kleine japanische Vasen mit frischen Blumen aus dem Garten auf den Tischen. Das Herz des Gastraums: ein begehbarer Weinklimaschrank. Die Schätze hier: Demeter- oder biodynamische Weine aus der Pfalz, Baden, dem Elsass und Burgund, aus Italien, Spanien, Südafrika und der Schweiz.
Und vor allem: ausgewählte Champagner. Insgesamt 11 Qualitätsschaumweine. Um einen der nur 19 Plätze im „Oxalis“ zu ergattern, muss man rechtzeitig reservieren. Denn trotz Corona und erst kurzem Dasein: das Restaurant ist gut besucht. Neben den Gewohnheits-Touristen finden die gib-mir-Neues-Gäste mit der „Mühle“ am Schluchsee eine würdige Adresse.
Die zehn „Mühlen“-Zimmer zwischen 28 und 48 Quadratmeter sind gemütlich und frisch, mit Holzdielenboden und dezenten Farben. Durch manchen Raum stemmen sich schwere alte Holzbalken, die seit vielen hundert Jahren tragen. Vor allem auf Kurztouristen setzt Hoteldirektor Marius Tröndle, „double income, no kids“ – diese dürften ohnehin erst ab 14 Jahren mit den Eltern einchecken.
Ein längerer Aufenthalt als fünf Tage ist in der „Mühle“ wegen der beiden Ruhetage nicht möglich. Das ist aktuell noch aus einer Not heraus geboren: „Solange ich nicht genug Mitarbeiter habe, belassen wir das so“, sagt Tröndle. Denn die zwei freien Tage pro Woche, möchte er jedem seiner acht Angestellten möglich machen. Nur wer sich selbst Ruhe gönnt, kann Ruhe bieten.