Die Diskussion um Wachstum und Zuzug ist auf dem Land im Regierungsbezirk nicht neu – sie wird aber zunehmend vehement und konfliktträchtig geführt. Warum das so ist, könnte auch an Kommunikationsdefiziten liegen. Und an früheren Neubürgern, die jetzt am lautesten protestieren.
VON MAXIMILIAN HESS
Malterdingen wächst und wächst. Wie eine sich langsam öffnende Hand greift das Dorf im Norden von Freiburg in jedes angrenzende Tal. Je weiter man sich vom Ortskern entfernt, desto suburbaner werden Straßen und Häuser. Und desto mehr verliert man das Gefühl, in einem Dorf zu sein. Ein Paradox, das zu Konflikten führt. Nicht nur in Malterdingen.
Das Thema Wachstum bestimmt in Südbaden vielerorts die Debatten. In Städten wie Freiburg füllt es Zeitungen, Konferenzsäle und Wahlplakate. In kleineren Kommunen ist es zwar weniger im Diskurs. Aber zwischen explodierenden Grundstückspreisen, randalierenden Eigenheimbesitzern und überforderten Bürgermeistern stellen sich auch auf dem Land zwei Fragen: Wie soll Wachstum aussehen? Und wie kann eine Dorfgemeinschaft darüber sprechen, wie stark sie sich vergrößern will?
Seit der Jahrtausendwende ist der Regierungsbezirk Freiburg um circa 100.000 Bürger gewachsen, auf aktuell knapp 2,3 Millionen Einwohner. Trotzdem liegt die Dichte weiterhin unter dem Landesschnitt. Das hängt auch damit zusammen, dass 10.000 Hektar neue Siedlungsfläche entstanden sind. Dieses Wachstum hat, gerade in den Gemeinden mit guter Anbindung nach Freiburg, neue Konflikte entstehen lassen. Die Diskussion um Zuzug und Neubau ist nicht neu, doch mit einer Vehemenz wie in den letzten Jahren wurde sie seit langem nicht geführt. Das liegt an alten Kommunikationsdefiziten und neuen Strukturproblemen.
“Keine Neubürger” stand auf der Straße
Malterdingen, das 3.600-Einwohner-Dorf ist 14 Minuten mit dem Regionalzug von Freiburg entfernt. Eine dieser Gemeinden, die zu weit weg von der Stadt liegt, um ein klassischer Vorort zu sein, aber nah genug dran, um automatisch mitzuwachsen. Im Rathaus im idyllischen Ortskern leitet Bürgermeister Hartwig Bußhardt seit 1994 die Geschicke des Dorfes. „3000 Einwohner, das war anfangs mein Ziel”, erzählt Bußhardt. Ein Ziel, dass ihm damals bereits massiven Ärger einbrockte. „Die Alteingesessenen wollten nicht, dass Auswärtige in den Ort ziehen.”
Bußhardt wollte Reihenhäuser bauen, subventioniert vom Staat. Im Gemeinderat regte sich Widerstand. Gegen Bußhardt stand der Vorwurf im Raum, er wolle den Zuzug ins Dorf holen. Malterdingen, so schien es, sollte Dorf bleiben. Die Häuser wurden nicht gebaut. Das waren die 90er Jahre.
Und heute? Malterdingen wird immer größer. Die Gemeinde weist kontinuierlich neue Baugebiete aus, das Flächenwachstum ist enorm. Gebaut werden fast ausschließlich Einfamilienhäuser mit Gartenflächen, das befördert die Zersiedelung in die Täler am Dorfrand. Auch der Dorfkern wird immer enger. Das sorgt für mehr Verkehr, höhere Anforderungen an die Wasser- und Abwasserversorgung und höhere Auslastungen der Kindergärten.
Begleitet wurden diese Expansionen immer schon vom Murren der Alt-Einheimischen. Doch das neue Baugebiet “Talmweg II” brachte 2020 eine neue Eskalationsstufe. Anwohner gründeten eine Bürgerinitiative, protestierten im geplanten Baugebiet und sammelten Unterschriften. Unbekannte schmierten in der Nacht zum 1. Mai die Parole „Keine Neubürger“ auf verschiedene Straßen.
Die Gemeinde setzte eine Belohnung von 1000 Euro für Hinweise aus. Anlass war die Planung eines Mehrparteienhauses in dem neuen Wohngebiet. Neben zweistöckigen Einfamilienhäusern hätte ein dreistöckiges Mehrparteienhaus mit Mietwohnungen entstehen sollen. Das hat den Mitgliedern der Bürgerinitiative nicht gefallen. Gegenüber netzwerk südbaden wollten sich Mitglieder der Bürgerinitiative mit Verweis auf laufende Verfahren nicht zu der Aktion äußern.
Die Mitglieder der Interessengemeinschaft scheinen sich übergangen zu fühlen, politisch und kommunikativ. Doch wie könnte die Inklusion von Anwohnern in solche Entscheidungen aussehen? Was Kommunikation betrifft, ist diese Frage leicht zu beantworten. Als 2015 auch in Malterdingen eine Geflüchtetenunterkunft entstehen sollte, gab es eine große Bürgerversammlung in der Turnhalle. Die Bürger kamen und stritten, am Ende wurde die Unterkunft gebaut.
Versammlungen sind, von der aktuellen Corona-Lage mal abgesehen, ein probates Mittel, um Bürger in Gemeinden in Entscheidungen einzubeziehen. Vielen Bürgern geht es dabei weniger darum, konkrete Entscheidungen zu beeinflussen, als darum, ein Forum zu haben, in dem sie Sorgen und Meinungen kommunizieren können. Bei Wachstumspolitik funktioniert das allerdings oft nicht so organisch wie bei anderen politischen Themen. Der Gemeinderat befasst sich damit und im Rathaus werden Bebauungspläne ausgehängt, eine wirkliche Kommunikation findet aber nicht statt.
Das Überlappen von Kompetenzen
Das liegt auch daran, dass sich in der Baupolitik Kompetenzen überlappen und Prozesse oft Jahre hinziehen. Idealerweise durchläuft der Entscheidungsprozess, wann wo gebaut wird, mehrere Gremien in Bundes- und Landespolitik, auf regionaler und kommunaler Ebene. Ein zentraler Akteur ist dabei der Regionalverband, der Bebauungsrahmen vorgibt.
Christian Dusch leitet den Regionalverband Südlicher Oberrhein. Er beobachtet die Eskalation solcher Konflikte schon länger. Für ihn hat die Eskalation zwei Ursachen: Erstens sei die Ausweisung von Neubaugebieten ein Millionengeschäft, das teils lebensnotwendig für kleinere Kommunen ist. Zweitens sei diese Emotionalisierung auch auf die persönliche Betroffenheit der Protestierenden zurückzuführen. Wessen ländliche Idylle durch ein Baugebiet bedroht wird, der geht des öfteren auf regelrechte Kreuzzüge, um es zu verhindern, so scheint es.
Dusch hat eine eigene Vision von nachhaltigem regionalem Wachstum: „Wir versuchen, für die Zukunftsfähigkeit der Region die notwendigen Flächen auch bereit zu stellen und gleichzeitig die Naturschutzbelange im Blick zu behalten. Auch da braucht es einen Ausgleich”. Reihenweise Neubaugebiete auszuweisen, wie es in Malterdingen aktuell passiert, ist nicht Teil dieser Vision.
Dass Malterdingen überhaupt so stark wachsen konnte, liegt an der Sonderregelung 13b des Baugesetzbuches. Dieser von Horst Seehofers Heimatministerium eingebrachte und nur vorübergehend gültige Paragraph erlaubt die einfachere und kurzfristige Erschließung neuen Baulandes. Ursprünglich geplant als Abhilfe zum flexiblen Wohnungsbau, hat sich die Regelung in den letzten Jahren den Ruf eines “Zersiedlungsparagrafen” erarbeitet. Gebaut wird nicht sozial, sondern es entstehen Eigenheimsiedlungen, die sonst nicht genehmigt werden würden.
Der Paragraf 13b hebelt die Struktur aus
„Es gibt einen Zielkonflikt in der Politik“, sagt Dusch. „Einerseits will man den Flächenfraß reduzieren, andererseits will man Wohnungen bauen so schnell es geht.“ Und tatsächlich ist §13b BaugB nicht viel mehr als die Umgehung des sehr komplexen Genehmigungssystems bei der Erschließung neuen Baulandes. Baupolitik ist ein Feld, in dem sowohl Bund als auch Land, Region und Kommune ein klares Mitspracherecht haben. Wenn nicht miteinander gearbeitet wird, können sich die einzelnen Instanzen gegenseitig blockieren. §13b hat diese auf Kooperation basierende Struktur ausgehebelt.
Dusch hofft darauf, dass sich die Wachstumsprozesse organisch wieder einpendeln. Erfahrungsgemäß sei die Grenze bei den meisten Gemeinden irgendwann erreicht. Kleine Kommunen schränken die Ausweisung neuen Baulands dann meist stark ein, oft auf Kosten einer mittel- und langfristigen Wohnungsknappheit.
Größere Gemeinden tendieren eher zu städtischem Wohnungsbau in der inneren Nachverdichtung. In Herbolzheim baut beispielsweise der Bauverein Breisgau ein nachhaltiges Mehrparteienhaus mit Kindertagesstätte. Die Idee: bezahlbaren Wohnraum in der Kommune schaffen, auch für die Menschen, die nur mieten können. Solche Projekte gibt es überall in der Region. In der Summe können sie das Problem aber nicht lösen.
Und in Malterdingen? Was hat das Dorf überhaupt davon, trotz der Tradition des Widerstands immer weiter zu wachsen? Für Hartwig Bußhardt geht es dabei um das Überleben der Gemeinde in sozialer, ökonomischer und demographischer Hinsicht. „Ich möchte, dass junge Leute, junge Einheimische in Malterdingen bauen können“, sagt er.
Die Nachfrage nach Bauland und Häusern ist immens hoch. Neubaugebiete scheinen das einzige Mittel zu sein, die Explosion von Quadratmeterpreisen zu verhindern. Gemeinden wie Malterdingen sind gut angebunden, liegen aber vollständig auf dem Land. Sie sind der Traum aller Vorort-Siedler. Wenn das Angebot zurückgeht, schnellen die Preise in die Höhe. Für Menschen, die sich kein Haus leisten können, sondern nur eine Wohnung, versucht die Gemeinde durch die umstrittenen Mietshäuser Abhilfe zu schaffen.
Das Dorf als Bastion der Eigenheimbesitzer
Das Hauptargument der Gegner: Malterdingen solle ein Dorf bleiben, eine Verstädterung sei nicht erwünscht. Das Dorf als Bastion der Eigenheimbesitzer. Doch der Widerstand regt sich nicht nur unter Alteingesessenen, sondern auch unter kürzlich Zugezogenen. Für Bußhardt passt zur Mentalität derer, die in den letzten Jahren in Malterdingen gebaut haben, das sprichwörtliche Prinzip „Heiliger St. Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andre an.“ Es scheint paradox, dass die Neubürger, für die er Bauplätze geschaffen hat, jetzt die Lautesten gegen die Schaffung weiteren Wohnraums sind.
Man merkt dem Bürgermeister an, wie frustriert er inzwischen ist, wenn er von Bauen und Wohnen spricht. Bußhardt steckt in einem Dilemma: Um den sozialen und demographischen Dorf-Charakter irgendwie erhalten zu können, opfert er mithilfe eines umstrittenen Paragraphen den räumlich-architektonischen Charakter des Dorfes. Die Überlastung der Infrastruktur, die Zersiedelung, die Konflikte: All das scheint ihm der Erhalt der Dorfstruktur wert.
Viele externe Faktoren hat er allerdings nicht in der Hand. Dass die Region um Freiburg immer attraktiver wird, liegt nicht in seiner Gewalt. Und so bleibt Bußhardt gefangen in realen Nöten, die nicht er verursacht – und für die weder Land noch Bund eine Lösung haben. Wenn man ihm einen Paragraphen wie 13b BauGB an die Hand gibt, mit der er kurzfristige Nöte auf Kosten langfristiger Probleme lösen kann, scheint es nicht verwunderlich, wenn er es tut.
Was ist also die Zukunft der Dörfer im Speckgürtel? Auf der Suche nach Lösungen stößt man auf Kontrollpolitik wie die Deckelung von Miet- und Grundstückspreisen oder das Verbot von Einfamilienhäusern in bestimmten Gebieten, auf futuristisch anmutende „green Village“-Konzepte und eine große Ratlosigkeit. Dem Gesetzgeber scheinen die großen Visionen da zu fehlen. Seine neueste Idee? Es wird diskutiert, Paragraph 13b zu verlängern.
Und Bürgermeister Bußhardt? Für ihn ist die Sache fast schon Vergangenheit. Ein paar Projekte möchte er noch realisieren. Wenn die auf den Weg gebracht sind, geht er in den Ruhestand. Er sagt, über Wachstum gestritten habe er dann genug.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Printausgabe vom April 2021
1 Kommentar
Für Bußhardt passt zur Mentalität derer, die in den letzten Jahren in Malterdingen gebaut haben, das sprichwörtliche Prinzip „Heiliger St. Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andre an.“ Es scheint paradox, dass die Neubürger, für die er Bauplätze geschaffen hat, jetzt die Lautesten gegen die Schaffung weiteren Wohnraums sind…..
Das verwundert ihn Ernsthaft?
Mich nicht.
Wenn Leute raus aufs Land wollen und für einen Bauplatz am Ortsrand nicht gerade wenig Geld in die Hand genommen haben, dann will man doch nicht das Feld, Wald und Wiesen in der Nachbarschaft, im Nachgang zugebaut werden.
Das ist ja nicht daß was ich erworben und für was ich immernoch Höchstpreise Bezahlt habe.
Oftmals werden solche weitere Expansionsabsichten den Käufern verheimlicht/vorenthalten.
Die Kaufen ein Endhaus bzw. am Rand in der Annahme, das dahinter die Natur beginnt, auch in 20 Jahren noch.
Vom Verkehr der durch Erweiterungen aus ruhigen Stichstraßen, viel befahrene Zubringerstraßen macht, mal ganz abgesehen.
Solche Grundstücke/Immobilien am Ende bzw. Rand haben in der Regel auch ein höheren Preis/Wert.
Da kommt ja dann keiner von der Gemeinde und bietet einen Finanziellen Ausgleich weil aus dem Haus am Rande, zukünftig eines mittendrin wird.
Die Gemeinde hat Kassiert und ihren Schnitt schon gemacht.
Und er wundert sich über die Reaktionen.