Alle fanden’s gut, aber keiner will es künftig bezahlen. So etwa stand es Ende September um die Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets. Während Bund und Land weiter über die Finanzierung streiten, formulieren Verkehrsunternehmen in der Region ihre Erwartungen.
VON KATHRIN ERMERT
Einigkeit besteht in einem Punkt: im Erfolg des Neun-Euro-Tickets. Laut ersten Ergebnissen einer noch laufenden Umfrage des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen haben etwa zehn Prozent der Fahrten mit dem günstigen Ticket eine Autofahrt ersetzt. Positiv werten die Verkehrsbetriebe in der Region auch die Aufmerksamkeit, die das Angebot dem Nahverkehr beschert habe. „Der ÖPNV war noch nie so in aller Munde“, sagt Dorothee Koch, Geschäftsführerin des Regioverkehrsverbunds Freiburg (RVF). „Nach zwei Jahren Corona, in denen er als gefährlicher Pandemietreiber galt, hat das Neun-Euro-Ticket den ÖPNV wieder in eine positive Richtung gepuscht als Beitrag für die Klimawende“, sagt Tobias Harms, Geschäftsführer der Südwestdeutschen Landesverkehrs-GmbH (SWEG).
Er findet, dass diese Euphorie eine Fortsetzung braucht. Das Neun-Euro-Ticket habe gezeigt, wie wichtig es sei, den Tarifdschungel zu entschlacken. Denn die Einfachheit des Tarifs und der große Gültigkeitsbereich hätten entscheidend zu seinem Erfolg beigetragen. Bei aller Freude überden Fahrgastzuwachs, der sich vor allem auf der Schiene und vor allem an Wochenenden zeigte, verweisen Harms und Koch auf ein Kernproblem: Das Angebot sei entscheidend, nicht der Preis.
Unterschiede zwischen Stadt und Land
Und da gibt es große Unterschiede zwischen Städten und dem ländlichen Raum. Die bundesweiten Verkaufszahlen des Neun-Euro-Tickets waren laut VDV-Umfrage im ländlichen Raum nur etwa halb so hoch wie in städtischen Gebieten. Auch in unserer Region sind einige Gegenden weit von einer Mobilitätsgarantie entfernt, wie die Landesregierung sie plant.
Harms fragt sich, ob auf dem Land ein starres Taktsystem die Lösung sein muss oder man die Digitalisierung nutzen kann, Stichwort: „on-demand“-, also bedarfsorientierte Verkehre. Das gute alte Anruf-Sammeltaxis mittels neuer Technologien: Dafür arbeitet die SWEG als Teil eines Forschungsprojekts mit Kommunen und anderen Firmen zusammen.
Auch RVF-Chefin Koch redet lieber über Angebotsqualität als Tarife. Denn mit Verbesserungen des Angebots ließen sich nachhaltiger neue Fahrgäste gewinnen. „Wenn man den Ausbau in trockenen Tüchern hat, kann man über zusätzliches Geld für Preismaßnahmen sprechen“, findet sie. Bei der aktuellen Diskussion hat sie die Sorge, dass die im Koalitionsvertrag der Ampel enthaltenen Regionalisierungsmittel in Höhe von 1,5 Milliarden statt für Investitionen und Betriebskosten für die Ticketrabatte genutzt werden. „Wir brauchen Geld für die Verbesserung des ÖPNV“, mahnt Koch.
Neue Kunden, alte Kunden
Für eine abschließende eigene Bilanz des Neun-Euro-Tickets fehlen dem Regioverkehrsverbund zweierlei Informationen. Zum einen die Verkaufszahlen der Deutschen Bahn, die es nur als Gesamtsumme für Deutschland gibt. Der RVF selbst hat 240.000 Neun-Euro-Tickets verkauft und kommt zuzüglich der umgewandelten Abos auf knapp eine halbe Million Monatstickets für Juni, Juli und August. Eine stolze Zahl in einem Verbreitungsgebiet mit rund 660.000 Einwohnern. Zugleich registrierte er allerdings knapp zwei Millionen weniger Einzeltickets. Wie häufig ein Neun-Euro-Ticket verwendet wurde, ist aber die andere fehlende Information. Deshalb weiß Koch nicht, wie viele Neukunden der Rabatt dem RVF gebracht hat.
Im Freiburger Stadtverkehr ging es eher um die Wiedergewinnung alter denn um neue Kunden. Die Freiburger Verkehrs AG (VAG) hat trotz Zuwächsen noch nicht das Niveau von vor der Pandemie erreicht, berichten die Vorstände Oliver Benz und Stephan Bartosch: In den drei Sommermonaten kletterte die Auslastung von 80 bis 85 auf circa 95 Prozent des Niveaus von 2019. Für den September gab es zu Redaktionsschluss noch keine Zahlen. Benz und Bartosch gehen aber von einer „Katerstimmung“ nach dem Ende des Neun-Euro-Tickets aus – das hören sie auch von Kollegen anderer Verkehrsbetriebe – und hoffen deshalb auf eine möglichst schnelle Fortsetzung.
Preissteigerungen wegen Energiekosten
Mindestens so sehr wie die Tarifdiskussionen beschäftigen die Verkehrsbetriebe aktuell die Energiekosten. Die VAG-Vorstände erwarten knapp eine Verdopplung – unabhängig vom Energieträger. Zwar realisiere man kleinere Maßnahmen, könne den Anstieg aber nicht wirklich einfangen. „Weniger fahren ist für uns keine Option“, sagt Benz. „Wir schauen auch hier auf Land und Bund, ob es Ausgleichszahlungen geben könnte.“
SWEG-Chef Harms spricht dagegen von Angebotseinschränkungen, die er ohne Unterstützung der öffentlichen Hand in Betracht ziehen müsse. Denn er rechnet mit einer Verteuerung um das Acht- bis Zehnfache pro Kilowattstunde bei Strom und Mehrkosten im einstelligen Millionenbereich bei Diesel. Der RVF hat das Thema Tariferhöhung auf der Agenda. Man stehe kurz davor, eine Preiserhöhung zu beschließen, mindestes um fünf Prozent, sagt Dorothee Koch. Sie weiß: „Das passt natürlich nicht in die Welt des Neun-Euro-Tickets. Aber die wirtschaftliche Lage der Verkehrsunternehmen zwingt uns zum Handeln.“
Zum RVF zählen auch elf private Busunternehmen, die sich derzeit besonders von den Dieselpreissteigerungen betroffen sehen. Ihr Verband WBO hat deshalb kürzlich in Freiburg über Probleme berichtet. „Die Branche ist seit drei Jahren im Krisenmodus“, sagte WBO Geschäftsführer Witgar Weber. Private Busunternehmen bedienen vor allem die Fläche und decken etwa die Hälfte des gesamten ÖPNV ab.
Klaus Sedelmeier (Rast Reisen, Freiburg) spricht von einem „politischen Vabanquespiel“, dessen Leidtragende die privaten Busunternehmen seien. Seit März verhandeln sie, Geld floss noch nicht. Denn Land und Städtetag konnten sich nicht auf eine einheitliche Lösung einigen, sodass jetzt jeder Kreis sein eigenes Süppchen kocht. Und jedes Unternehmen einzeln mit allen Kreisen und Kommunen, für die es fährt, verhandeln muss. Dabei gehe ihnen allmählich die Puste aus. „Im Moment kann ich noch querfinanzieren, etwa über Reiseverkehr. Aber irgendwann ist jede Quelle leer“, sagt Ferenc Balint (Freiburger Reisedienst).
„Wir brauchen faire Konditionen, sonst gelingt keine Verkehrswende. Ohne private Busunternehmen kann der ÖPNV seine Fahrgastzahlen nicht verdoppeln“, mahnt daher Ute Schumacher (OVS, Sexau). Die finanzielle Belastung trägt auch nicht dazu bei, das andere Problem zu lösen: fehlende Fachkräfte.