Für die Landkreise und Kommunen im Land ist es ein Top-Thema. Die Unterbringung der immer mehr ansteigenden Zahl von Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten. Im Ortenaukreis soll jetzt ein Modellprojekt gestartet werden, wonach Flüchtlinge so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Das ist möglich, weil das Arbeitsverbot für Flüchtlinge von 12 auf drei Monate reduziert worden ist. Nun sollen die in der Regel jungen Flüchtlinge über Sprachkurse fit gemacht werden, um einen entsprechend ihrer Fähigkeiten passenden Arbeitsplatz zu bekommen. 45 Menschen werden so pro Jahr in Lohn und Brot kommen, im Landratsamt ist man überzeugt, dass die dabei entstehenden Kosten von 180.000 Euro klug angelegtes Geld sind. Michael Loritz, Dezernent für Sicherheit und Ordnung im Landratsamt Ortenaukreis hat gegenüber netzwerk südbaden das Projekt erläutert.
netzwerk südbaden: Wie viel Flüchtlinge erwartet der Ortenaukreis im Jahr 2015? Wie stark ist der Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren?
Michael Loritz: Eine offizielle Prognose für das Jahr 2015 gibt es noch nicht. Das Integrationsministerium geht von einem ähnlichen Zustrom aus wie im letzten Jahr. Das würden etwa 230.000 (bundesweit) Flüchtlinge bedeuten. Allerdings wurden die bundesweiten Zahlen für den Januar 2015 bereits bekannt gegeben. Wenn wir diese hochrechnen, so kommen wir auf andere Zahlen: Im Januar 2015 wurden 21.679 Erstanträge gestellt, X 12 Monate = 260.148 Erstanträge im Jahr 2015.
Hinzukommen 3.363 Folgeanträge X 12 Monate = 40.356 Folgeanträge = gesamt also für 2015 300.504 (bundesweit).
Stimmt diese Hochrechnung auf das gesamte Jahr, so würde der Ortenaukreis deutlich mehr Flüchtlinge zu erwarten haben als im Jahr 2014, nämlich etwa 1.800.
netzwerk südbaden: Haben Sie eine Übersicht über die soziokulturelle Struktur der Flüchtlinge? Nationalität, Bildungshintergrund, familiäre Bindungen, Konfession?
Michael Loritz: Diese Daten sind uns bekannt. Im Ortenaukreis sind derzeit 1.223 Flüchtlinge untergebracht. Die stärksten Nationalitäten in der vorläufigen Unterbringung sind Syrien mit 19,4%, Kosovo mit 16,4%, Serbien 15,0% und weitere Nationalitäten im einstelligen Prozentbereich. Davon hatten Syrer die höchste Schutzquote mit 89,3%, während die Kosovaren mit 1,1% oder Serben mit 0,2% Schutzquote im Dezember 2014 für ein Asylrecht nicht in Betracht kommen.
netzwerk südbaden: Wo sind die Flüchtlinge untergebracht? Es ist ja sicher auch ein logistisches Problem, Menschen von A nach B zu befördern, wenn Unterkunft und Arbeitsplatz weit auseinanderliegen. Ist daran gedacht, Flüchtlinge möglichst rasch nicht nur im Arbeitsmarkt zu integrieren, sondern ihnen auch bei der Wohnungssuche behilflich zu sein?
Michael Loritz: Die Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung sind derzeit auf 20 Standorte verteilt. Unterkunft und Arbeitsplatz können tatsächlich auseinander liegen. Allerdings ist ein Umzug nicht so ohne weiteres möglich, da die Kinder oft schon in die Schule oder den Kindergarten gehen und Bindungen im Wohnort entstanden sind. Eine nachträgliche Wohnungssuche ist Daueraufgabe insbesondere unserer ehrenamtlichen Asylbetreuer.
netzwerk südbaden: Welche Anfragen nach der Beschäftigung von Flüchtlingen gibt es konkret von Unternehmen in der Ortenau?
Michael Loritz: Das Thema der Arbeitsbeschäftigung hat bisher keine große Rolle gespielt. Bekanntermaßen beteiligt sich der Ortenaukreis erst seit diesem Monat an dem Programm „StellA“ und möchte sich um das Thema intensiv kümmern. Zu den Arbeitsgruppensitzungen werden auch Vertreter von Handwerk und Industrie hinzugezogen, so dass die entsprechenden Bedarfe ermittelt werden können. Zusätzlich arbeiten wir mit der Arbeitsverwaltung und der Kommunalen Arbeitsförderung zusammen. Diese Organisationen sind sehr erfahren bei dem Thema des Zusammenbringens von Angebot und Anfrage.
netzwerk südbaden: Wie hoch sind die Leistungen, die Sie pro Flüchtling kalkulieren müssen, wenn er/sie nicht in den Arbeitsmarkt vermittelt werden kann?
Michael Loritz: Eine Durchschnittsfamilie mit zwei Erwachsenen und zwei kleinen Kindern erhält Flüchtlingssozialleistungen etwas über 1.000,– Euro monatlich. Hinzu kommen Kosten der Krankenversicherung und der Wohnungsunterbringung.
netzwerk südbaden: Unter den Flüchtlingen gibt es ein breites Spektrum sowohl von eher schlecht Ausgebildeten wie Hochqualifizierten. Bei diesen stellt sich oft die Frage, ob deren Berufs- oder Bildungsabschluss im Heimatland auch in Deutschland gilt. Können Sie da den Flüchtlingen behilflich sein?
Michael Loritz: Die Frage der Anerkennung von Bildungsabschlüssen im Heimatland stellt sich insbesondere bei akademischen Berufen. Hier ist das Regierungspräsidium Stuttgart zentrale Behörde. Für die Anerkennung in anderen Bereichen können die Handwerkskammern entsprechende Anerkennungen aussprechen. Auch die Arbeitsverwaltung ist mit dem Thema intensiv beschäftigt. Entscheidend ist es, dass doch noch Zeugnisse etc. aus dem Heimatland beschafft werden können. Unter Umständen reicht aber auch eine Glaubhaftmachung.
netzwerk südbaden: Herr Loritz, vielen Dank für das Gespräch.
Gleichzeitig geht im Ortenaukreis wie anderswo die Suche nach geeigneten Flüchtlingsunterkünften weiter. So prüft man im Offenburger Landratsamt derzeit, ob es sinnvoll ist, das alte Finanzamtsgebäude in Achern zu kaufen. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, sicher ist freilich, dass die Nutzung des alten Amtsgebäudes für Flüchtlinge viele Probleme auf einmal lösen würde. Eine klare Lösung zeichnet sich in Friesenheim bei Lahr ab. Dort wird ein Investor am Bahnhof ein Flüchtlingsheim bauen, das der Ortenaukreis dann anmietet. Bis dahin geht aber noch geraume Zeit ins Land. So wird derzeit das frühere Verwaltungsgebäude der kanadischen Militärs auf dem Lahrer Flughafen für Flüchtlinge genutzt. Es bietet derzeit 45 Menschen Platz und ist vergleichsweise komfortabel ausgestattet. Allerdings ist das Gebäude aus einem simplen Grund nicht eben ideal – es ist zu weit vom nächsten Dorf entfernt. Deshalb soll der Standort mittelfristig aufgegeben werden und die Flüchtlinge in dem neuen Flüchtlingsheim in Friesenheim untergebracht werden. Bis dahin setzt man darauf, dass durch den zweimal am Tag verkehrenden öffentlichen Nahverkehr die Flüchtlinge einigermaßen ordentlich am öffentlichen Leben teilnehmen können. Außerdem haben sich Bürger bereiterklärt, Fahrdienste anzubieten.