Eisenbach – eine Gemeinde im Schwarzwald, die mehr Arbeitsplätze als Einwohner hat. Wie lebt man in einem Ort, in dem alle dieselben Fachkräfte brauchen? Wir haben mit führenden Köpfen der örtlichen Industrie und Politik gesprochen: über Netzwerke, Expansionspläne und ein Gentlemen’s Agreement, an das sich alle halten.
TEXT: JULIA DONÁTH-KNEER | FOTOS: ALEX DIETRICH
Als Bernd Faißt nach Eisenbach kam, hatte es eisige 17 Grad unter Null, die Autofenster waren zugefroren, der Nebel hing tief im Tal. Faißt, 58 Jahre alt, arbeitet für Gleason, eine amerikanische Firma, die im Jahr 2013 die Werkzeugsparte des Automobilzulieferers IMS Gear übernahm und seit 2014 als Gleason Cutting Tools firmiert. Faißt zog als Werksleiter mit in den Hochschwarzwald.
Eisenbach, die 2172-Seelen-Gemeinde an der Grenze der Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald und Schwarzwald-Baar, war für ihn zunächst ein kleiner Kulturschock, sagt der gebürtige Schwabe. „Ich war schon sehr beeindruckt, als ich merkte, dass Eisenbach, das ohnehin in einer wirtschaftlich starken Region liegt, ein wirklich erhebliches Potential an Innovationskraft und Produktions-Knowhow bietet. Das hatte ich in dieser Form nicht erwartet.“ Eisenbach ist eine Gemeinde, wie es sie so in Deutschland wohl kein zweites Mal gibt. Es gibt mehr Jobs als Einwohner, zwölf Industrieunternehmen haben ihren Sitz im Ort, davon gehören neun zur Weltspitze, erwirtschaften deutlich zweistellige Millionenbeträge, beschäftigen hunderte Mitarbeitende. Eisenbach setzt der Schwarzwälder Hidden-Champion-Historie die Krone auf. Seit Jahrzehnten herrscht Vollbeschäftigung, mehr als 92 Prozent der Menschen arbeiten im produzierenden Gewerbe. Hinzu kommen rund 1700 Einpendler täglich.
Die Uhrmacherei prägte die gesamte Region zwei Jahrhunderte lang. Heute werden zwar keine kompletten Uhren mehr produziert, die Gemeinsamkeit aber blieb das Zahnrad – feinste Präzisionsarbeit. Die Kunden kommen aus der ganzen Welt, Teile aus Eisenbach findet man in nahezu jedem Auto, jedem E-Bike, in Landwirtschaftsmaschinen, Badezimmerarmaturen, Flugzeugen, Drohnen, Treppenliften, einige waren sogar im Marsroboter verbaut. „Wir haben weltweit die größte Dichte an Zahnradherstellern“, erklärt Bürgermeister Karlheinz Rontke, als er im Rathaus des Dorfes empfängt. Er ist stolz auf den Ort, der jährlich Millionen an Gewerbesteuern in die Gemeindekasse spült, 2022 waren es 2,3 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im Schnitt sind es bei Kommunen in Baden-Württemberg in ähnlicher Größe (zwischen 1000 und 3000 Einwohnern) 284.000 Euro jährlich.
Kleiner Ort, lange Wege
Und Rontke hofft, dass es so bleibt. Dafür hat der FDP-Politiker ein Unternehmernetzwerk ins Leben gerufen, das die führenden Köpfe der ortsansässigen Industrie regelmäßig an einen Tisch bringt. Ein Vorstoß, der bei den Entscheidern auf offene Ohren stößt. „Gemeinsamkeiten zu finden ist die Stärke der Region, nicht den Wettbewerb zu suchen“, sagt Martin Schwörer, Geschäftsführer von GSC Schwörer. Das 1936 gegründete Familienunternehmen (110 Beschäftigte, 25 Millionen Euro Umsatz) produziert, entwickelt und konstruiert mechanische und elektromechanische Antriebstechniken, Getriebe und Getriebemotoren. Auch wenn in direkter Nachbarschaft andere Firmen ähnliche Dinge leisten, ist Martin Schwörer überzeugt: „Unser Wettbewerb sitzt nicht zwei Türen weiter, sondern in Asien, in der Türkei, in Süd- und Osteuropa. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Know-how und die Kompetenzen in der Region erhalten und stärken und mit neuen Ideen immer wieder wettbewerbsfähig machen.“
Unsere Fachkräfte kommen zu großen Teilen direkt von hier. Das Wissen in der Gegend ist einmalig.
Martin Schwörer, Geschäftsführer GSC Schwörer
Standort des Familienunternehmens, das Martin Schwörer und Tina Schwörer in dritter Generation leiten, ist Oberbränd, ein Ortsteil von Eisenbach, der oberhalb des Tals liegt. Auch die Firmen Tritschler Feinmechanik und der Spritzgussfertiger Winterhalder sind hier oben angesiedelt. Bis zu IMS Gear, der Franz Morat Group, August Weckermann ins Tal sind es mit dem Auto rund fünf Kilometer. Auch so eine Besonderheit von Eisenbach: Die Gemeinde mit ihren vier Ortsteilen ist insgesamt klein, hat weder Ampel noch Tankstelle, aber lange Strecken.
Wirtschaftlich eher ungünstig. „Der Ort ist klein, die Wege aber lang“, erklärt Karlheinz Rontke. „Das heißt die Kosten für Kanalisation und Wasserversorgung sind vergleichsweise hoch.“ Ein weiteres drängendes Problem: der öffentliche Nahverkehr. Vor allem für die vielen Azubis, die oft kein eigenes Auto besitzen. Doch endlich gibt es einen Bus, der im stündlichen Takt an den Verkehrsknotenpunkt der S1 in Titisee-Neustadt Richtung Freiburg und Donaueschingen anbindet. Probleme mit einer Busverbindung gibt es noch in die andere Richtung, nach Villingen-Schwenningen, da die Landkreisgrenze die Planung erschwert. Doch auch daran arbeitet Rontke. Auch sonst tut er vieles, um es den Unternehmen so attraktiv wie möglich zu machen. In Oberbränd wurden noch unter seinem Vorgänger neue Gewerbeflächen erschlossen. Rütte 1 und 2 heißen die neu entstandenen Gewerbegebiete mit einer Baufläche von insgesamt 10,5 Hektar, die es den ortsansässigen Firmen ermöglichen sollen, vor Ort zu erweitern.
Die Firma August Weckermann, im Tal gelegen, hat das bereits getan. Das 1885 gegründete Familienunternehmen (rund 170 Beschäftigte, 36 Millionen Euro Umsatz) produziert Präzisionsdreh- und Frästeile und hat sich auf das Diamantieren von Oberflächen spezialisiert. Karl Josef und Sohn David Duttlinger führen das Traditionsunternehmen. In Oberbränd haben sie 30.000 Quadratmeter Grund gekauft, hier entsteht eine neue Produktionshalle für die 90 Diamantiermaschinen sowie eine Photovoltaikanlage. Auch GSC Schwörer hat sich erweitert und gegenüber der Firmenzentrale ein Grundstück gekauft. „Das ist als Ex-pansionsfläche gedacht“, erklärt Martin Schwörer. „Als 2012 neue Gewerbegebiete ausgewiesen wurden, war es uns wichtig, uns mit dem Grundstückserwerb zu engagieren. Hier vor Ort haben wir sonst nur begrenzte Möglichkeiten für flächenmäßige Erweiterung.“
Blick in die Industriegeschichte
Das ist ein generelles Thema in Eisenbach: All die traditionsreichen Familienunternehmen stehen seit teilweise mehr als hundert Jahren genau dort, wo sie jetzt sind. Das war vielleicht damals praktisch, heute ist es das nicht. „Wir können bei uns Industriegeschichte mit eigenen Augen sehen“, erklärt Tobias Hourle von IMS Gear (3100 Beschäftigte weltweit, 540 Millionen Euro Umsatz). Der Automobilzulieferer hat zwar seinen Hauptsitz ins rund 20 Kilometer entfernte Donaueschingen verlegt, Eisenbach ist aber immer noch Produktionsstandort und verantwortet zwei komplette Business Units mit derzeit rund 200 Mitarbeitenden und 15.000 Quadratmetern Produktionsfläche vor Ort. Planetengetriebe entstehen hier, aus Metall und Kunststoff.
IMS Gear wurde 1863 von Johann Morat gegründet, 1890 zog die Firma an den heutigen Standort, direkt an den Bach zum Mühlrad. „Was früher ein Vorteil war, ist heute Standortnachteil“, erklärt Hourle, der seit 2018 im Unternehmen und für den Standort Eisenbach verantwortlich ist. Für IMS Gear heißt das: Eine Erweiterung ist nicht mehr möglich. Auf der einen Seite fließt der Bach, auf der anderen verläuft die Straße. Zudem befindet man sich mitten im Naturschutzgebiet. Heutige Auflagen würden Produktionsflächen verhindern. So hat man bei IMS Gear alte Gemäuer erhalten, Stück für Stück aufgestockt und nach oben statt in die Breite gebaut, was ungewöhnlich für eine Fertigung ist, die am besten auf einer Ebene angesiedelt wird. Das Ergebnis: ein interessantes Werk in Schächtelchenbauweise. Das älteste Gebäude ist von 1890, das neueste von 2014. Es zeigt das, was Tobias Hourle mit „industriegeschichtlichem Abriss“ meint.
Gentlemen’s Agreement
Ein paar hundert Meter weiter findet sich die Franz Morat Group, der aktuell größte Arbeitgeber im Ort. Mit 550 Beschäftigten in Eisenbach entwickelt und produziert das Unternehmen, das im Oktober 111-jähriges Bestehen feierte, Zahnräder, Getriebekomponenten und elektromechanische Antriebssysteme für Automotive und die Industrie, darüber hinaus für Medizin- und Rehatechnik und weitere Anwendungen. Mittlerweile verfügt die Gruppe am Stammsitz über 26.000 Quadratmeter Fläche, nach dem Rekordjahr 2022 mit 106 Millionen Euro Umsatz sind für 2023 knapp 120 Millionen Euro geplant. Das braucht Platz und Pläne. „Wir erweitern sukzessive, im letzten Jahr haben wir im ehemaligen Grieshaber-Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite Werk 3 mit unserem Ausbildungszentrum und den Service- und Montageabteilungen eröffnet“, berichtet Alexander Haas aus der Geschäftsleitung. „Für uns ist das ein Signal: Wir stehen zum Technologie-Standort Eisenbach.“
Die meisten Entscheiden betreffen alle. Es sind gemeinsame Probleme, die wir gemeinsam adressieren, wie zum Beispiel den Fachkräftemangel.
Karlheinz Rontke, Bürgermeister
Doch wie finden all die Firmen all die Mitarbeitenden? „Manche Stellen von extern zu besetzen ist extrem schwer“, sagt Alexander Haas. „Das liegt auch daran, dass Arbeit und Produkte eine hohe Komplexität haben. Daher ist es so wichtig, dass wir von der Pike auf Ausbildungsprojekte fahren und unseren Nachwuchs selbst ranziehen.“ So war es auch bei ihm: Der 41-Jährige hat seine Industriemechanikerausbildung bei Framo Morat gemacht, ist über verschiedene Karriereschritte bis in die Geschäftsleitung aufgestiegen und seit 23 Jahren im Unternehmen.
Auch Martin Schwörer, ebenfalls gebürtiger Eisenbacher, setzt auf die Kompetenz einer Region, die seit Jahrhunderten in der Feinmechanik geschult ist: „Unsere Fachkräfte kommen zu großen Teilen direkt von hier. Das Wissen in der Gegend ist einmalig, so viele Menschen mit dieser Qualifikation zu finden, ist gar nicht einfach. Es ist eine große Verbundenheit zu spüren – zum Standort Eisenbach und zum Unternehmen.“ Diese Verbundenheit geht über die Arbeitnehmerseite hinaus. Es ist das, was Karlheinz Rontke mit seinem Unternehmernetzwerk bezweckt und was so viel bringt. Einer der entscheidendsten Punkte: Es gibt eine Vereinbarung darüber, dass keiner dem anderen die Leute wegnimmt. „Es ist ein Gentlemen’s Agreement, das über ein reines Lippenbekenntnis hinausgeht“, erklärt Tobias Hourle von IMS Gear. Alle Kollegen aus den Unternehmensspitzen bestätigen diese Regel: Man wirbt untereinander keine Leute ab. Natürlich darf wechseln, wer einen neuen Job möchte, aber keine Firma geht aktiv auf Mitarbeitende einer anderen Firma zu.
„Es ist wichtig, im Dialog zu bleiben“, bestätigt Bernd Faißt von Gleason. Das 1865 gegründete US-Unternehmen mit Hauptsitz in Rochester (Bundesstaat New York) kommt ebenfalls aus der Getriebetechnik und Verzahnungstechnologie. Es stellt die Maschinen und die Werkzeuge her, die notwendig sind, um ein Zahnrad zu produzieren – Eisenbach mit seinen 70 Mitarbeitenden ist daher eine passende Ergänzung für den Konzern. „Das ist ein erheblicher Standortvorteil, in Eisenbach entstehen Ideen für Produkte, die in die ganze Welt gehen“, sagt Bernd Faißt. Für ihn steht das Unternehmer-Netzwerk im Hochschwarzwald erst am Anfang: „Der einzigartige Cluster von Werkzeugherstellern und Produktionsunternehmen in dieser Region kann viel mehr. Je mehr wir uns zusammenschließen, desto größer sind unsere Vorteile auf dem globalen Markt. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, am Silodenken festzuhalten. Wir brauchen Netzwerke und echte Partnerschaften.“
München, London, Eisenbach
Das sieht Bürgermeister Rontke genauso. „Die meisten Entscheidungen betreffen alle. Es sind gemeinsame Probleme, die wir gemeinsam adressieren, wie zum Beispiel den Breitbandausbau und den Fachkräftemangel. Wir wollen Leute aus dem erweiterten Umfeld ansprechen und die Region attraktiver machen“, sagt er. „Dafür braucht es Wohnraum, Grundstücke, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergartenplätze, öffentlichen Nahverkehr.“ Was die Region bereits hat: Natur, Sport- und Freizeitmöglichkeiten en masse. Das überzeugt auch den ein oder anderen Bewerber. Ein aktuelles Beispiel erzählt Stefan Federer, Marketingleiter der Franz Morat Group. Vor Kurzem habe sich eine junge Frau auf eine offene Stelle beworben. Ihre vorherigen Stationen: München und London. Am 1. Oktober hat sie nun in Eisenbach angefangen. Solche Erwerbsbiografien beflügeln die örtlichen Unternehmen. München, London, Eisenbach – geht doch.
3 Kommentare
Prima geschrieben, Danke.
Heizungsprobleme können gerade im Winter sehr ärgerlich sein. Deshalb ist es wichtig,
sich frühzeitig um die Wartung und Instandhaltung zu kümmern.
Ja, die Liebe zu Hunden kennt keine Grenzen :)..