Noch nicht einmal einhundert Jahre alt, dafür mit Großindustrie, sozial engagierten Unternehmen und im Dialog mit der Bevölkerung – eine interessante Gemeinde an der Grenze zur Schweiz.
Von Daniela Frahm
Die Industrie hat Rheinfelden erst zu einer Stadt gemacht und sie ist weiterhin bestimmend in dem auf mittlerweile rund 33.000 Einwohner angewachsenen Ort. Energieunternehmen, Aluminiumverarbeiter und Chemiefirmen haben sich angesiedelt und stellen einen Großteil der etwa 11.000 Arbeitsplätze in der badischen Stadt, die mit dem Schweizer Rheinfelden (Aargau) auf der anderen Rheinseite nicht nur durch Brücken verbunden ist. Die Geschichte der Stadt hat mit dem Bau des ersten europäischen Wasserkraftwerks begonnen, das 1898 fertiggestellt worden ist. In der Folge siedelte sich Großindustrie an, die viel Strom braucht. Das alte Kraftwerk wurde inzwischen abgerissen und durch einen Neubau der Energiedienst AG ersetzt, der 2011 vollständig ans Netz ging. Dort wird nicht nur eine Strommenge produziert, die dem jährlichen Verbrauch von etwa 170.000 Haushalten entspricht, gleichzeitig ist das Kraftwerk auch ein touristischer Anziehungspunkt der Stadt am Rhein, der zweitgrößten im Landkreis Lörrach. Im Jahr 2022 wird erst das 100-jährige Stadtjubiläum gefeiert, dementsprechend fehlen in Rheinfelden historische Gebäude. „Unsere Altstadt ist auf der Schweizer Seite“, sagt Wirtschaftsförderer Elmar Wendland, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung Rheinfelden (Baden) GmbH (WST), die nicht nur für das Gewerbe, sondern auch für den Tourismus und das Stadtmarketing zuständig ist. Eine Brücke über den Rhein verbindet die beiden Innenstädte, ein neuer Rheinsteg ist zudem in Planung. Und die Verbindung ist auch auf Verwaltungsebene sehr eng, das gilt für den kulturellen Austausch genauso wie für den Tourismus und wirtschaftliche Themen.
Initiative „Chemie am Hochrhein“ soll den Standort langfristig erhalten
Während der ehemals berühmte Kurort auf der Schweizer Seite durch Salzabbau und die Brauerei Feldschlösschen geprägt ist, dominiert auf der badischen Seite die Großindustrie. Zu den größten Arbeitgebern gehört die Chemiefirma Evonik mit rund 1200 Mitarbeitern und einem Werk auf einer Fläche von etwa 40 Hektar. Daneben haben weitere Industriebetriebe ihren Sitz wie die Aluminium Rheinfelden Group, die verschiedene Geschäftsbereiche in die eigenständigen Gesellschaften Alloys, Semis und Carbon ausgegliedert hat. Auch Cabot ist dort ansässig. Auf dem firmeneigenen Gelände beider Unternehmen haben sich zudem weitere Firmen wie Rheinperchemie, Umicore, Vogt-Plastic und Ritter Leichtmetallguss angesiedelt. Um den Standort langfristig zu erhalten, wurde die Initiative „Chemie am Hochrhein“ gegründet, die mittlerweile um den Bereich Pharma erweitert wurde.
Zusammengeschlossen haben sich darin neben Rheinfelden und der Nachbargemeinde Grenzach-Wyhlen vor allem Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Vertreter von Städten und Gemeinden, Politiker und die Bürgerinitiative „Zukunftsforum Grenzach-Wyhlen“, auch das baden-württembergische Wirtschaftsministerium ist bei den Sitzungen dabei. Zum einen will die Initiative dafür sorgen, dass Jugendliche und Arbeitskräfte angeworben, ausgebildet und an die Region Hochrhein gebunden werden, zum anderen werden die Unternehmen vernetzt und sie suchen den Dialog mit der Bevölkerung. Die ist der Industrie gegenüber traditionell sehr positiv eingestellt, berichtet Wendland. Dafür spricht auch das städtebauliche Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie, das von Stadt, Regierungspräsidium und Betrieben gemeinsam erarbeitet und 2016 vom Gemeinderat beschlossen wurde. Oberbürgermeister Klaus Eberhardt wurde im Mai eingeladen, es in der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) in Brüssel vorzustellen. Der praxisorientierte Vorschlag für die Bebauung innerhalb der Störfallradien der Betriebe, in denen Erweiterungen von öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten oder die Entwicklung zusätzlicher Sportflächen nicht mehr möglich sind, dafür aber andere Bauten, wird dort offensichtlich als vorbildlich angesehen.
Eberhardt sieht darin „eine Ehre für den Wirtschaftsstandort Rheinfelden und zugleich Lob und Anerkennung für unseren pragmatischen, lösungsorientierten und realistischen Ansatz für ein gutes Miteinander zwischen Stadt und Industrie“. „Ein wichtiger Fokus liegt bei uns zwar auf der Chemie, aber es ist wichtig breit aufgestellt zu sein“, sagt der Wirtschaftsförderer. Das St. Josefshaus Herten, eine der frühesten Behindertenhilfe-Einrichtungen in der Region, gehört mit 1300 Mitarbeitern ebenfalls zu den großen Arbeitgebern, und auch Handel und Handwerk sind vertreten. Das Medizintechnikunternehmen Osypka ist für Rheinfelden nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht wichtig, sondern auch wegen seines gesellschaftlichen Engagements. Dazu gibt es einige Hidden Champions wie beispielsweise TopHat, die Pfeile für den Bogensport herstellen, und Centra Feinwerktechnik, die Visierungen und Zubehör für den Biathlonsport produzieren. Neu ansiedeln wird sich der Pharmakonzern Fisher Clinical Services, der im künftigen Gewerbegebiet Sengern in Herten auf 26.000 Quadratmetern seine Europazentrale errichtet, rund 28 Millionen Euro investiert und etwa 200 Arbeitsplätze schafft.
Für Rheinfelden ist das einer der größten Neuzugänge der vergangenen Jahre und kann auch einen Ausgleich schaffen für Arbeitsplätze, die beim Automobilzulieferer Umicore verloren gehen. Der Hersteller von Abgas-Katalysatoren hat 2016 bekannt gegeben, dass er sein Werk schließt und die Produktion nach Bad Säckingen verlagert. In diesem Jahr wurde der Sozialplan verabschiedet. WST-Geschäftsführer Wendland hofft jedoch, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, zumal ihm versichert wurde, dass nicht der Standort, sondern rein betriebsinterne Gründe den Ausschlag für die Entscheidung gaben. Ein gutes Zeugnis hat auch Frank Pfister, Geschäftsführer des Kompressorherstellers CVS Engineering, der Stadt bei den Wirtschaftsgesprächen im vergangenen Jahr ausgestellt, weil sie „nah am Bürger und an der Wirtschaft“ sei. Er lobte auch den Zweckverband für den Ausbau des Glasfasernetzes für schnelleres Internet, und dass in Rheinfelden neue Gewerbeflächen ausgewiesen werden. „Wir hatten drei bis vier Jahre gar keine städtischen Grundstücke, da war ich eher ein Mediator, und wir haben in dieser Zeit auch Unternehmen verloren“, erzählt Wendland, „aber jetzt können wir liefern.“ Das rund sechs Hektar große, neue Gewerbegebiet Einhäge wurde im vergangenen Jahr erschlossen, und in diesem Jahr werden sich dort die ersten Betriebe vor allem aus den Bereichen produzierendes Gewerbe und Handwerk ansiedeln. Während der Stadt dort etwa die Hälfte der Flächen gehören, besitzt sie im rund zehn Hektar großen geplanten Gewerbegebiet Sengern fast 90 Prozent. „Die Bebauungspläne sind sehr restriktiv“, sagt Wendland, „wir wollen großen Flächenverbrauch vermeiden.“ Die WST hat auch einen umfangreichen Kriterienkatalog entwickelt, der die Vergabe an Interessenten erleichtern soll.
Hochrheincenter II soll das Einzelhandelsangebot erweitern
Das gilt auch für neue Handelsunternehmen, von denen es viele Anfragen gibt, die aber nur teilweise bedient werden können. Auch in diesem Bereich tut sich einiges, wie unter anderem derzeit in der Innenstadt zu sehen ist. Direkt neben dem Hochrheincenter, in dem außer H&M und Drogeriemarkt Müller diverse Einzelhändler und auch ein Hotel untergebracht sind, haben die Abrissarbeiten Mitte Mai begonnen, um Platz für das Hochrheincenter II zu schaffen. Die Hochrhein Invest GmbH plant dort für rund 20 Millionen Euro den Bau von rund 30 Wohnungen, 2000 Quadratmetern Gewerbefläche und einer Tiefgarage. Der Einzelhandel profitiert insgesamt von der Grenznähe, manche Geschäfte machen rund 60 Prozent ihres Umsatzes mit Kunden aus der Schweiz, weiß Wendland. „Aber wir wollen Rheinfelden so aufstellen, dass wir eine nachhaltige Entwicklung haben und ein attraktiver Standort sind.“ Daran arbeitet die WST, die unter dem 2012 gewählten Oberbürgermeister Klaus Eberhardt im Jahr 2013 als eigenständige Gesellschaft für die Bereiche Wirtschaftsförderung und Tourismus ausgegliedert wurde, um unter anderem flexibler agieren zu können als eine Verwaltung. Die WST hat ein Einzelhandels- und Zentrenkonzept bei Dr. Lademann & Partner in Auftrag gegeben, das vom Gemeinderat vor einem Jahr als städtebauliches Entwicklungskonzept beschlossen wurde.
Es liefert neben Entscheidungshilfen für Ansiedlungen auch eine umfangreiche Aufarbeitung der derzeitigen Struktur. Das reicht von der Ladengestaltung über die Außengestaltung bis zum Internetauftritt, zudem wurden Passanten und Händler befragt. Ein Ergebnis war, dass etwa 30 Prozent der Geschäfte noch gar nicht online zu finden sind und andere einen mangelhaften Webauftritt haben. Deshalb will die WST zusammen mit dem Gewerbeverein, der IG Schildgasse und Pro Rheinfelden Nachhilfe anbieten, weil gerade in den inhabergeführten Geschäften oft Zeit und Kenntnisse in diesem Bereich fehlen. Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass Optiker, Juweliere, Schuh- und Bekleidungsgeschäfte in der Stadt bereits gut vertreten sind, es bei Herrenausstattern und Haushaltsartikeln hingegen noch Bedarf gebe. Die Leerstandsquote im Zentrum ist zwar relativ niedrig, aber gerade kleine Ladenflächen sind immer schwerer zu vermitteln. Passanten bemängelten außerdem die fehlende Einkaufsatmosphäre. Auch daran soll gearbeitet werden, unter anderem mit einer attraktiven Verbindung zwischen Fußgängerzone und Bahnhof, die derzeit noch fehlt. Geplant ist das als Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) Basel 2020, das bis zum Stadtjubiläum im Jahr 2022 umgesetzt werden soll. Die Analyse für das Zentrenkonzept hat zudem ergeben, dass 181 Betriebe insgesamt 247 Millionen Euro Jahresumsatz machen, was laut Wendland im Schnitt liegt, aber auch dafür spreche, dass es Wachstumspotenzial gibt – auch weil die Bevölkerung stetig wächst. Nach einer Prognose soll sie bis 2020 um drei Prozent zunehmen.
Auf dem Wohnungsmarkt werden teilweise Mondpreise bezahlt
Der Druck auf den Wohnungsmarkt sei inzwischen mit dem in Großstädten zu vergleichen, sagt Wendland. „Da werden teilweise Mondpreise aufgerufen, aber sie werden auch gezahlt.“ Umso wichtiger sei die „sehr agile“ Wohnbaugesellschaft und neben der Innenentwicklung beziehungsweise Nachverdichtung auch die Ausweisung von neuen Flächen. Ein neues Wohngebiet mit Mehrfamilienhäusern entsteht derzeit beispielsweise in Innenstadt- und Rheinnähe am Adelberg, außerdem werden in den Stadtteilen Adelhausen und Minseln Wohnhäuser gebaut, und in Herten ist ein neues Gebiet fertiggestellt worden. Es wird auch darüber nachgedacht, auf Gewerbebauten Wohnungen zu planen, wofür es in anderen Städten schon Beispiele gibt. Und es dürfte in den kommenden Jahren auch höher gebaut werden als früher. In der Goethestraße sind bereits zwei zehnstöckige Häuser entstanden. Auch Industriebrachen in Mischgebieten könnten Potenzial für Wohnbebauung bieten, allerdings betont Wendland, dass dadurch „keine gewerblichen Flächen verloren gehen dürfen“. Während die Kernstadt, in der zusammen mit den Stadtteilen Nollingen und Warmbach etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, noch nicht so lange besteht, gibt es die früher eigenständigen Ortsteile Adelhausen, Degerfelden, Eichsel, Herten, Karsau, Minseln und Nordschwaben schon deutlich länger und sie haben sich ihren dörflichen Charakter bewahrt. Für ihre zukunftsweisende Grün- und Umweltschutzpolitik hat die Stadt mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den European Energy Award (Silber) und die Goldmedaille der Entente Florale Europe 2015. An diesem europäischen Wettbewerb haben beide Rheinfelden zusammen teilgenommen und wurden für ihr gemeinschaftliches Engagement – inklusive Bürgerschaft und Unternehmen – für eine grüne Stadt gelobt.
Tourismus- und Marketingkonzept ist in Arbeit
Von dieser Grünraumentwicklung profitieren nicht nur die Bewohner, sondern auch die Touristen. Und das gilt auch für die Rad- und Wanderwege, die beide Seiten verbinden. Allerdings liegt der Schwerpunkt auf Tagesbesuchern und Businessgästen, die beruflich in Rheinfelden oder der Umgebung zu tun haben. Die rund 15 Hotels mit 500 Betten und die circa 80 Ferienwohnungen sind immer gut gebucht. Jährlich werden etwa 66.000 Übernachtungen gezählt, die Verweildauer liegt bei knapp über zwei Tagen. Touristische Attraktionen sind neben dem Wasserkraftwerk auch das Schloss Beuggen, die Tschamberhöhle im Dinkelberg, das Wellnessbad Sole Uno auf Schweizer Seite und Veranstaltungen wie „Rheinfelden tanzt“, das Straßentheaterfestival „Brückensensationen“ oder der Eichsler Umgang, ein Wallfahrtsfest auf dem Dinkelberg. Der Rheinuferrundweg soll zudem bis Basel und ins Fricktal erweitert werden. „Man muss auch immer wieder etwas Neues bieten“, weiß Wendland. Die WST entwickelt deshalb ein Tourismusund Marketingkonzept, das noch mit der Verwaltung abgestimmt werden muss und demnächst im Gemeinderat vorgestellt werden soll. Der Tourismus ist laut Wendland schon jetzt ein wichtiger Wirtschafts- und Standortfaktor, der jährlich für eine Wertschöpfung im zweistelligen Millionenbereich sorgt.
Das Besondere: Gutes vom Dinkelberg
Die „Dinkelberger Geschenktüte“ ist der Bestseller in der Tourist-Info in Rheinfelden. Darin finden sich haltbare Produkte der Bauernläden vom Dinkelberg wie Nudeln, Wein, Dosenwurst und Honig. Die Direktvermarkter präsentieren sich auch im Internet gemeinsam unter: gutesvom- dinkelberg.de. Auf der Webseite geht es auch um Gastronomie, Tourismus und Kunsthandwerk am Dinkelberg.