Der jährlich in Staufen verliehene Peter-Huchel-Preis macht sich stark für die literarische Gattung Lyrik, die zu Unrecht wenig Leser hat. Am 21. Mai stehen mit Marcel Beyer und Henning Ziebritzki gleich zwei Dichter im Rampenlicht.
VON CHRISTINE WEIS
Es war die junge Poetin Amanda Gorman, die mit dem Gedicht „The hill we climb“ dem neuen US-Präsidenten Joe Biden bei dessen Amtseinführung die Show stahl. Sie habe der „ganzen Welt vor Augen geführt, welche ungeheure Schönheit, Kraft und Wirkungsmacht einem Gedicht innewohnen kann“, schwärmt ihr deutscher Verleger Tim Jung. Dieser Hype mag aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dichtkunst selten viel Beachtung findet und ihre Verfasser ein bescheidenes Dasein fristen. Daran will der mit 10.000 Euro dotierte Peter-Huchel-Preis schon lange etwas ändern. Seit 1984 verleiht ihn das Land Baden-Württemberg zusammen mit dem SWR für einen herausragenden Gedichtband des Jahres und will damit die Vielstimmigkeit von Gegenwartslyrik fördern.
Benannt ist die Ehrung nach dem Schriftsteller und Redakteur Peter Huchel, der nach seiner Ausbürgerung aus der DDR von 1972 bis zum seinem Tod 1981 in der Fauststadt lebte. Die Verleihung findet normalerweise immer an Huchels Geburtstag am 3. April im Stubenhaus in Staufen statt. Wie so vieles ist auch das dieses Jahr anders: Die Veranstaltung zeichnet der SWR auf und stellt sie am 21. Mai online. Mit Marcel Beyer und Henning Ziebritzki erhalten zwei Autoren den Preis, da die Veranstaltung 2020 coronabedingt ganz ausfallen musste. Die Männer sind in der Preisträgerriege in der Überzahl, daher seien an dieser Stelle einige Preisträgerinnen der vergangenen Jahre genannt: Nora Bossong, Elke Erb, Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker, Marion Poschmann oder Monika Rinck.
„Dämonenräumdienst“ heißt der Gedichtband von Marcel Beyer, für den der 1965 im württembergischen Tailfingen geborene Schriftsteller geehrt wird. Beyer schreibt neben Gedichten auch Essays, Romane, Libretti und war Autor bei der Popmusik-Zeitschrift „Spex“. Musiker wie Brian Eno, Johnny Cash oder Billie Holiday begegnet der Leser auch in einigen der 72 Gedichte. Viel Schauerliches ist zu lesen, was die Lektüre besonders faszinierend macht. Dämonen kommen als brennende Mickymaus, als ein Dentallabor mit Kettenraucherzähnen oder als Elfen daher: „Der Nachmittag durch / die dm-Filiale jedesmal / eine Nahtoderfahrung. / Überall Elfen (…).“ Manchmal möchte man während des Lesens den Räumdienst anrufen, damit er die skurrilen Geister abholt. Aber dann beruhigen wieder sanftere Bilder das Geschehen.
Die Jury sieht in den Gedichten „Abenteuerexpeditionen in vertrautes Gelände, das plötzlich fremd und unheimlich erscheint. Elternhaus und Elvis, die Eindrücke der Kindheit, magische Begegnungen mit den Phänomenen der Popkultur und den Helden der Klatschspalten“.
Henning Ziebritzki erhält die Auszeichnung für seine Sammlung „Vogelwerk“. Der 60-jährige Leiter des Wissenschaftsverlages Mohr Siebeck lebt in Tübingen. In den 52 Gedichten taucht er ein in die Lebenswelt von Graureiher, Nebelkrähe, Wasseramsel oder Weißstorch. Die Eigenheiten der Federtiere können auch menschliche Züge tragen, die nicht immer freundlich sind, wie das Gedicht „Kuckuck“ zeigt: „Er tötet, indem er verdrängt. / Schiebt die anderen zum Rand, bis das letzte auch kippt, / und giert und frißt das Futter wie den Raum.“
Ziebritzki habe „ein lyrisches Kalendarium sinnlicher Grenzerfahrungen und Überwältigungsmomente geschaffen“, urteilt die Jury. Vermutlich hätten Peter Huchel die Vogelwerke gefallen. Denn auch er brachte in seiner Lyrik Natur und Mensch zusammen.
Die Preisverleihung kann ab dem 21. Mai online unter www.peter-huchel-preis.de abgerufen werden. Beide prämierten Gedichtbände sind im lokalen Buchhandel erhältlich.