Der Berater Peter Modler über seine berufliche Praxis beim Coachen von Frauen, über Hillary Clinton und warum der weibliche Fortschritt keineswegs schon auf der Überholspur unterwegs ist.
Interview: Rudi Raschke
Peter Modler, einstiger Verlagschef in Freiburg, ist seit 1998 Unternehmensberater. Er hat mehrere Bestseller geschrieben (neuestes Buch: “Die freundliche Feindin“) und gibt Workshops im gesamten deutschsprachigen Raum. In den letzten zehn Jahren hat er rund 2200 Führungskräfte gecoacht, 80 Prozent davon Frauen. In seiner Arbeit befasst er sich mit der wirtschaftlichen Relevanz von Gender-Fragen unter dem Motto: Profit by Difference. Modler lebt und arbeitet in Freiburg und in Amoltern/Kaiserstuhl.
Warum raten Sie Frauen generell, sich in Unternehmen auf gewisse Weise wie Männer zu verhalten?
Deborah Tannen ist Soziolinguistin an der Georgetown University und hat vor knapp 30 Jahren eine epochale Entdeckung gemacht: Sie hat Kinder beim Spiel beobachtet und dabei festgestellt, dass in den Gruppen, wo eine Mehrzahl kleiner Jungen den Ton angab, immer die Klärung des Ranges am Anfang stand. Wenn das glückte, war ein stundenlanges Spiel möglich. Dieses Verhalten nannte Tannen „vertikal“. Dort, wo die Mädchen dominierten, ging es dagegen egalitär zu, Informationen wurden fast gleichberechtigt ausgetauscht. Diese Kommunikation nannte Tannen „horizontal“.
Und wie auf dem Spielplatz halten es die Erwachsenen in weiten Teilen heute noch?
So ziemlich. Beim horizontalen System geht es um Zugehörigkeit und um Inhalte, aber nicht um die Rangordnung. Beim vertikalen dagegen sind die Vertreter des Systems hauptsächlich an Rang- und Revierklärungen interessiert.
Wie bezieht sich der Inhalt Ihrer Arroganz-Trainings und der erfolgreichen Literatur darauf?
Es gibt Branchen, in denen das Horizontale vorherrscht, beispielsweise der Pflege- und Sozialsektor. Und es finden sich solche, die vertikal dominiert sind, Produktionsbetriebe etwa. Es gibt aber auch in technischen Berufen horizontale Leute, die nie über die eigene Leistung reden und darauf hoffen, dass das eines Tages von höheren Mächten entdeckt wird. Horizontale Männer sind Minderheiten, aber es gibt sie; es ist kein simples Männer-Frauen-Klischee.
Wie kam es zum Arroganz-Training?
Ich hatte vor vielen Jahren bei einem Lehrauftrag eine merkwürdige Beobachtung gemacht: Wenn ich Aufgaben für Blockseminare vergeben habe, waren die Studentinnen in der Regel top vorbereitet. Bei den männlichen Kommilitonen war das bei etwa einem Drittel anders: die haben reinen Stuss erzählt, das aber noch grinsend und völlig von sich überzeugt. Die Frauen haben das klaglos über sich ergehen lassen. Daraus wurde ein erstes Seminarthema: Wie stoppe ich Vielschwätzer?
Daraus entwickelte sich Ihr heutiges Training?
Noch heute arbeite ich mit männlichen „Sparringspartnern“, Laien, die ich ohne Bezug zum Thema verpflichte, der jüngste war 16, der älteste 75 Jahre alt. Sie wissen nur ganz ungefähr Bescheid vom Seminarthema, ich hole sie in den Seminarraum und dann können sie – ohne jede Regie-Anweisung – perfekt die Problemstellungen nachspielen. Mit denen arbeiten wir am lebenden Objekt.
Wie agieren diese Männer in den Konfliktthemen, wenn sie sie nicht genau kennen?
Das fängt schon damit an, wie jemand hereinkommt. Ist die Strecke, die er zum Konferenztisch zurücklegt, bereits Teil einer Choreografie? Versteckt er sich oder lässt er sich anschauen? Spricht er lauter als eigentlich nötig, macht er Small-Talk mit den politisch gewichtigen Leuten, breitet er sich raumgreifend am Tisch aus? Wenn das passiert, ist es ein Indiz für vertikales Verhalten. Horizontalen Leuten ist im Besprechungsraum nur der Tisch wichtig, an dem sie mit inhaltlicher Diskussion rechnen, nicht die ganze Bühne.
Was zeichnet diese Systeme aus?
Beide Welten haben ihren blinden Fleck. Ein horizontales System ist blitzschnell inhaltlich und fähig, bei unterschiedlichsten Milieus anzudocken. Dafür ist es oft politisch blind. Vertikale Leute brauchen länger, bis sie inhaltlich sein können, haben aber oft mehr Machtreflex. Das eine kann wie das andere von Vorteil sein. Unproduktiv wird es aber immer dann, wenn eine Seite darauf besteht, dass es nur ein einziges Kommunikationssystem auf der Welt gibt: das Eigene.
Sie visualisieren dies in Workshops, aber welche Ziele haben Männer wie Frauen, diese Systeme zusammenzubringen?
Für vertikale Betriebe ist der Mix der Systeme überlebensnotwendig. Wenn qualifizierten Kräften im Meeting dreimal über den Mund gefahren wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die sich nicht mehr lange am Meeting beteiligen. Das kann sich ein Unternehmen langfristig aber überhaupt nicht leisten.
Nun hört man viel von Sozialkompetenz und flachen Hierarchien. Ist keine Besserung in Sicht, werden qualifizierte Frauen in Unternehmen heute nicht besser gehört?
Der Anspruch bleibt hinter der Wirklichkeit leider zu oft zurück. Gerade in offiziell hierarchie-abgeneigten Szenen, etwa in der Forschung oder in der IT, zeigt sich, dass qualifizierte Mitarbeiter oft von vertikaler Kommunikation überrollt werden. Klassische Ausflucht unfähiger Chefs: „Ihr seid alle erwachsen, das könnt Ihr doch selbst regeln.“
Was ist an Arroganz aus Ihrer Sicht positiv?
Als Lebenseinstellung lehne ich Arroganz selbstverständlich ab. Aber sie kann fallweise ein Instrument sein, das ich einsetzen kann, um einen politischen Gleichstand zu erreichen.
Wie sehen Beispiele aus, mit denen Frauen in Machtspielen mit Männern punkten können?
Horizontale Leute sollten bei vertikalen von Anfang an mit Rangklärungen rechnen. Beispiel: in einer Firma wollte der wichtigste Kunde die Chefin treffen. Als er zum Termin kam, überreichte er ihr zunächst ein Marketing-Lehrbuch als Präsent. Dann schob er noch nach: „Das können Sie lesen, wenn Sie mit ’50 Shades of Grey’ fertig sind.“
Ein Affront, dem eigentlich nur ein Rauswurf folgen kann.
Nein, weil sie sich damit auf das Niveau des Kunden begibt und ihn obendrein los ist. Weglächeln geht genauso wenig. Sondern sich auf das Spiel um eine Rangordnung einlassen: „Ich bin Eigentümerin von x, Sie sind der Geschäftsführer von y, und jetzt reden wir über das Geschäft“. Das wäre die passende Antwort gewesen. Für mich war das Paradebeispiel für eine auf Inhalte setzende, horizontale Kommunikation Hillary Clinton, die in den TV-Debatten auf einen vertikalen Donald Trump traf. Am schlimmsten war die Szene, als sie ihm mehrfach seine fehlende Steuertransparenz vorwirft, und er lediglich mit „Falsch! … Falsch! …Falsch!“ antwortet – bis sie aufgibt. Im Lauf ihres Redebeitrags geht er dann von seinem Pult weg und spaziert hinter ihrem Rücken umher, um ihr dann noch die Schulter zu tätscheln. Abgesehen davon, dass das kein Moderator verhindert hat, war sie darauf überhaupt nicht vorbereitet. Und verlor am Ende. Clinton ist ganz mies gecoacht worden.
Frauen in Produktionsbetrieben der klassischen Industrie haben Sie einmal mit dem Wesen von „Aliens“ verglichen – woher kommt dieses Bild?
Manche Betriebe der Maschinenbau-Branche haben das Problem, dass die ohnehin wenigen Frauen selten lange bleiben, obwohl dies gewünscht wäre. Da klagen dann die Chefs darüber, dass sie es nicht verstehen, warum Frauen sich bei ihnen als Fremdkörper empfinden. Aber diese Männer selbst sitzen regelmäßig mit breit gespreizten Oberschenkeln vor ihnen. Und dann sollen sich diese Frauen da wohlfühlen? Wie blöd kann man denn sein? Führungskräfte sollten gerade in Produktionsbetrieben beide Kommunikations-Systeme wie Fremdsprachen beherrschen. Wenn ich Management mache, muss ich fähig sein, zwischen diesen beiden Sprachen zu switchen.
Wie präsentiert sich für Sie die weibliche Unternehmens-Realität, die Sie in Ihren Seminaren kennenlernen?
Frauen sind nicht per se auf der Überholspur, wie es manche gerne darstellen würden. Es ist auch nicht so, dass Frauen grundsätzlich Frauen unterstützen. In meinem neuesten Buch beschäftige ich mich nur mit der horizontalen Aggression im Betrieb, über die man nicht gern redet, die aber auch massive Effekte haben kann. Was die Gleichberechtigung der Geschlechter in unseren Firmen betrifft, sind wir mitten auf der Reise, aber das Ziel ist noch nicht in Sicht. Und wenn Ivanka Trump sich als Feministin bezeichnet, kann der Begriff eigentlich beerdigt werden.