Seit September läuft im Klärwerk Staufener Bucht in Breisach-Grezhausen eine Anlage, die aus Klärschlamm den Rohstoff Phosphor zurückgewinnt, der langfristig als Pflanzendünger verwendet werden soll. Das regionale Pilotprojekt erregt bundesweit und international Aufmerksamkeit.
Text: Christine Weis • Fotos: Santiago Fanego
Phosphor ist essenziell – und endlich. Hauptsächlich wird der Rohstoff für Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt. Starkzehrende Nutzpflanzen wie Mais brauchen ihn zum Wachsen. Doch die Reserven werden knapper und liegen nicht in Europa. Aktuellen Schätzungen zufolge könnten die bekannten Quellen in circa 300 Jahren erschöpft sein. Die größten Vorkommen gibt es in China, Marokko, Jordanien, Russland und den USA. Deutschland ist abhängig vom Import, der 2023 bei rund 116.000 Tonnen lag. Soweit die momentane, schwierige Lage. Die gute Nachricht: Phosphor steckt auch in Klärschlamm – und davon gibt es reichlich. Die Herausforderung liegt darin, ihn mittels komplexer Verfahren zurückzugewinnen. Eines davon hat der Abwasserzweckverband Staufener Bucht (AZV SB) zusammen mit dem Maschinen- und Anlagenbauer Wehrle Werk aus Emmendingen, dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZWS) sowie der Uni Freiburg entwickelt.
„Wir haben hier einen großen Vorteil, weil wir mit Forschung, Industrie und Gewerbe alle notwendigen Akteure vor Ort in der Region haben. Mit dem Betrieb wollen wir auch die regionale Wirtschaft stärken.“
Michael Hacker, Geschäftsführer AZV Staufener Bucht
P-XTRACT heißt die spezielle Anlage, die seit September im Klärwerk in Breisach-Grezhausen in Betrieb ist. Sieben Jahre dauerten Planung und Bau des Piloten. Die Kosten dafür liegen bei 11 Millionen Euro, davon kamen 4,25 Millionen Euro aus Fördertöpfen des Landes Baden-Württemberg und dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Angestoßen hat das Projekt Volker Kieber, Vorstandsvorsitzender der AZV SB und Bürgermeister von Bad Krozingen. Vermutlich werden viele dem Beispiel folgen, nicht zuletzt, weil es ab 2029 Pflicht ist. „Die Verabschiedung der Gesetzesvorlage und unser Projektstart fanden etwa zeitgleich statt“, sagt Michael Hacker, Geschäftsführer der AZV SB.
Die Anlage ist eine der ersten ihrer Art und das Interesse entsprechend groß. Es kamen bereits viele Besuchergruppen aus dem ganzen Bundesgebiet und auch Delegationen aus Spanien, Frankreich und von der Universität Pennsylvania ins Klärwerk nach Breisach. Hacker betont: „Wir haben hier einen großen Vorteil, weil wir mit Forschung, Industrie und Gewerbe alle notwendigen Akteure vor Ort in der Region haben. Mit dem Betrieb wollen wir auch die regionale Wirtschaft stärken.“
Wie funktioniert Phosphorrückgewinnung?
Das Verfahren läuft vereinfacht so ab: Der Klärschlamm, das Material, das nach der Abwasserreinigung übrigbleibt, wird zunächst entwässert, dann in der P-XTRACT Anlage im Teilstrom getrocknet und im thermischen Reaktor in zwei Stufen verbrannt. Am Ende bleibt eine phosphorhaltige Asche übrig, die als Dünger verwendet werden kann.
Der Klärschlamm enthält wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff, Kohlensoff, Mineralien und besagten Phosphor, aber auch viele Schadstoffe, beispielsweise Schwermetalle, Bakterien, Mikroplastik, Viren oder Arzneimittel. Das macht den Prozess vielschichtig, da die Schadstoffe verbrannt oder von der Düngerproduktasche in die Filterasche zur Entsorgung überführt werden, damit sie später nicht auf dem Acker und im Essen landen.
Ein entscheidender Vorteil des Verfahrens ist die direkte Düngefähigkeit der Asche, die durch die Zugabe von Natrium- und Kaliumcarbonat bereits während des Brennprozesses erreicht wird. „Dieses Verfahren unterscheidet uns von anderen, die einen zusätzlichen Schritt benötigen, um die Asche zu Dünger zu verarbeiten“, erläutert Hacker. Das Endprodukt erfüllt bis auf die Wasserlöslichkeit die Vorgaben der Düngemittelverordnung, auch wenn es nicht völlig frei von Schwermetallen ist.
Herausforderungen und Potenziale
Und es gibt noch eine Hürde, denn der Gesetzgeber ist nicht ganz so schnell wie der AZV SB: Die Phosphorasche ist noch nicht als Dünger zugelassen. „Unser großes Ziel ist es, den Stoffkreislauf zu schließen“, sagt der Ingenieur für Umwelt- und Hygienetechnik. Das bedeutet konkret: Aus Pflanzen werden Lebensmittel, diese durchlaufen den menschlichen Organismus, gelangen ins Abwasser, aus dem wiederum Dünger für die Lebensmittelproduktion gewonnen wird. Für Michael Hacker ist das Projekt mehr als nur eine technische Innovation – es ist ein Prüfstein für einen notwendigen Paradigmenwechsel. „Es geht darum, die Zukunft aktiv zu gestalten, anstatt tatenlos zuzusehen.“
Gleichzeitig betont der 58-Jährige die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens: Der zuvor aufwendige Transport des Klärschlamms nach Köln zur Mitverbrennung in Heiz- oder Müllkraftwerken samt anschließender Verbringung der Aschen in die Deponie entfällt, die Abfallmenge wird um 80 Prozent reduziert, was sowohl die Umwelt als auch die Kosten entlastet.
Die Anlage verarbeitet Klärschlamm aus sieben regionalen Klärwerken. Täglich fallen 30 Tonnen (10 von der AZV SB) an, aufs Jahr gerechnet sind es rund 11.000 Tonnen. Etwa 1100 Tonnen Aschen bleiben übrig, davon können 80 Prozent wiederverwertet und 50 Tonnen reiner Phosphor gewonnen werden – aktuell hat der Rohstoff einen Marktpreis von 3 Euro pro Tonne. Michael Hacker rechnet vor, dass man mit der Rückgewinnung aus Klärschlamm in Zukunft bis zu 50 Prozent des importierten Phosphors ersetzen kann und man so weniger aus Marokko und anderen Saaten einführen müsse.
Der nächste Schritt für das Team des AZV SB ist die Markteinführung des Recyclingphosphats. Hacker wünscht sich, dass die hiesigen Landwirte ihn einsetzen, dann findet der komplette Kreislauf lokal statt.