Anfang Dezember sind die drei Ampelparteien ans Werk gegangen. Was die neue rot-grün-gelbe Regierung vorhat, steht im Koalitionsvertrag. Wie sich der Inhalt dieser 178 Seiten auf die Wirtschaft, auch in der Region, auswirkt? Eine Einschätzung des Freiburger Professor Bernhard Neumärker.
Nachdem der Koalitionsvertrag als PDF-Dokument öffentlich zugänglich war, ist Bernhard Neumärker auf Stichwortsuche gegangen: „Bürgergeld“, „Grundsicherung“, „Minijob“ und „Mindestlohn“ hat er ins Suchfeld eingetippt. Das sind die Themen, die den Freiburger Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie vorrangig interessieren. Das sogenannte Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist sein Spezialgebiet, seine Professur wird seit 2019 von dm-Gründer Götz Werner als Stifter gesponsert, der sich fürs BGE engagiert. Ein Grundeinkommen hätte auch Auswirkungen für Unternehmen, sagt Neumärker. Es könne beispielsweise krisengebeutelten Betrieben das Aufrechterhalten von Ausbildungsplätzen ermöglichen, wie er kürzlich in einem Positionspapier zu den Coronahilfen dargelegt hat.
Im Werk der Ampelparteien hat Neumärker tatsächlich den Begriff Bürgergeld entdeckt. Er soll künftig die Grundsicherung ersetzen. Ist das ein Einstieg ins BGE? „Im Wording, in der Argumentation erkennt man schon einen neuen Wind“, sagt der BGE-Experte. Aber im Ergebnis bleibe davon nicht so viel übrig. Da unterscheide sich das neue Bürgergeld nur unwesentlich vom Vorgänger Hartz IV. Mit Ausnahme der Kindergrundsicherung: Die sei dem BGE am nächsten, weil hier Einzelleistungen zusammengefasst und damit der Bezug wesentlich vereinfacht wird. Ob sich die liberale Herangehensweise – weniger Bürokratie! – oder die soziale – mehr Leistung! – durchsetzt, bleibe abzuwarten. Neumärker sieht „Auslegeoptionen“, wo die Parteien „besonders raffiniert mit Formulierungen gehandelt haben.“
Gibt es einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik?
Immerhin hat ein Grüner das Wirtschaftsministerium übernommen. Neumärkers Theorie:
„Mit Habeck ist der Paradigmenwechsel zu realisieren.“
Der Wirtschaftsprofessor betrachtet das ganz theoretisch: Bislang galten Effizienz und Gewinnmaximierung als Zielfunktion, Soziales und Ökologisches waren lediglich Restriktionen, also Nebenbedingungen.
Mit Habeck könnte sich das umkehren. Damit würden Stakeholder wichtiger als Shareholder. Übersetzt: Nicht nur diejenigen, die vom Erfolg eines Unternehmens profitieren (Shareholder) stünden dann im Fokus, sondern alle, die ein Interesse (Stake) am Handeln des Unternehmens haben, also auch Mitarbeiter, Kunden, Anwohner.
Mit entsprechenden Folgen. „Wenn der Staat Fortschritt in der Nachhaltigkeit will, muss er die Regulierung daran anpassen“, sagt Neumärker, der sich bei Scientists for Future engagiert. Bislang habe man bei umweltbezogenen Abgaben wie der EEG-Umlage oder der CO2-Steuer immer Ausnahmen für die Industrie gemacht, um diese nicht zu sehr zu belasten.
Das werde sich jetzt schon ändern, glaubt Neumärker. Der geplante Klimabonus, also der soziale Ausgleich von Energiesteuern, schlägt die Brücke zu Neumärkers Lieblingsthema. Je nach Ausgestaltung könnte dieser Transfer ein Einstieg ins Bedingungslose Grundeinkommen sein. Sein Fazit: Die im Koalitionsvertrag formulierten Absichten könnten einen Paradigmenwechsel einläuten. Aber hinsichtlich der konkret angekündigten Maßnahmen, müsse man deutlich pessimistischer sein. Zudem seien die versteckten Motive nicht immer ganz klar. Nochmal wissenschaftlich: „Das Normative birgt deutliche Signale, aber das Positive, also das Konkrete, bleibt auf halber Strecke stehen“, sagt Neumärker. Der rot-grün-gelbe Koalitionsvertrag sei ein Mixed Bag: „Man will den Paradigmenwechsel, aber man traut sich nicht.“