Viele unserer Betriebe leben in Zeiten der Knappheit und des Mangels: Bei den Rohstoffen wie beim Personal. Dabei lässt sich auf die Lieferketten aktuell schwer Einfluss nehmen, auf die Suche nach Angestellten sehr wohl. Sie ist wichtiger denn je.
VON RUDI RASCHKE
Wer bezweifelt, dass das sogenannte Recruiting eines der wichtigsten Wirtschaftsthemen unserer Tage ist, muss nur auf die Außenwerbung im Stadtbild achten. Der „wir stellen ein“-Zettel der heutigen Zeit? Durch Freiburg rollen nicht erst seit gestern Straßenbahnen mit rundum lackierten Stellenangeboten: Auf 42 Metern Länge wird nicht Software oder Medizintechnik inszeniert, sondern die Suche nach Menschen, die sie herstellen sollen. Ähnliches erlebt jeder von uns auch beim Stadionbesuch. Rund um den Spieltag des SC Freiburg präsentieren etliche Sponsoren aus Südbaden auf der großen Leinwand nicht ihr Image oder ihre Waren, sondern ihre Attraktivität für neue Mitarbeiter.
Fast jeder Personaler weiß: Der Arbeitsmarkt ist längst von einem Nachfragemarkt zum Anbietermarkt geworden. In einem Großteil der Berufe ist der Arbeitnehmer hierzulande König Kunde. Und genau das verändert alles: Die Art, wie Unternehmen Mitarbeiter suchen; die Art, wie Arbeit entlohnt wird; die Art, wie gearbeitet wird; aber auch die Art, wie man sich Bewerbern gegenüber präsentiert.
Der Employer Branding-Experte Andreas Seltmann aus Denzlingen beobachtet mehr und mehr, dass Unternehmen hier aufwachen: „Ich sehe immer mehr Stellen, die sehr offen ausgeschrieben werden: in Vollzeit oder Teilzeit, im Homeoffice oder mit festem Arbeitsplatz“, sagt Seltmann. „Da merke ich, dass die Unternehmen die Richtigen suchen – zu den Bedingungen, die dem Mitarbeiter wichtig sind.
“Die Suche nach den zu einem Unternehmen passenden Angestellten nutzt leider seit jeher zweifelhafte Begriffe aus dem Englischen. Das militärische „Rec-cruiting“ scheint ebenso wie das verbrecherjagende „Headhunting“ nicht mehr zeitgemäß. Vor allem, wenn es darum geht, Menschen zu gewinnen und zu überzeugen.
Benefits und Sinn stiften
Dass dabei harte Fakten wie Gehalt oder Karriere längst nicht mehr entscheidend sind, zeigt die Diskussion um das Warum, um den Purpose. Also um die Vorstellung, dass der Gegenstand unserer Arbeit Sinn stiften sollte. Aber eben auch, dass es flexible Arbeitszeitmodelle und weit mehr Anreize braucht – Mitarbeitergesundheit und ressourcenschonende Wege zur Arbeit beispielsweise. Die aber auch aufs Konto des Arbeitgebers einzahlen. Angebote wie Jobrad und Hansefit sind deshalb längst Standard als Benefit für die Mitarbeiter in vielen Betrieben.
Dass es vielerorts weit mehr Anstrengungen gibt, um Mitarbeiter finden und binden zu können, zeigen zahlreiche Beispiele in dieser Ausgabe – von Prämien- bis Freizeitmodellen. Manche dieser Beispiele setzen viel Aufwand, auch finanziellen, und ein gehöriges Maß an Umdenken voraus. Und, das hat sich auch bei den Recherchen zu dieser Ausgabe gezeigt: Vielen kleinen Betrieben steht das Wasser in Sachen Personal derart am Hals, dass sie nicht mal eben Seminare, kreative Workshops oder Mitarbeitersuchen weltweit buchen können, um ihre Probleme mittelfristig zu lösen. Aber: Manche Ideen sind ganz einfach zu leisten und benötigen nur den Mut, Dinge anders zu regeln als die Mitbewerber.
„Manches moderne Unternehmen hat so viele Arbeitszeitmodelle wie Mitarbeiter.“
Andreas Seltmann, Experte für Arbeitgebermarke
Der Experte Andreas Seltmann sagt hierzu: „Für Arbeitgeber spielt natürlich die Balance aus Wirtschaftlichkeit und Zusatzleistungen eine wichtige Rolle.“ Deren Ziel sei es, dass die Leistungen die Mitarbeitenden so sehr binden und ihnen den Rücken freihalten, dass sie auch volle Leistung bringen können. Arbeitgeber seien immer bestrebt, quasi „die richtigen Dinge anzubieten, die auf die Lebenssituationen ihrer Mitarbeiter passen und wo Kosten zu Nutzen in einem guten Verhältnis stehen.
“Was Arbeitszeitmodelle angeht: Seltmann räumt ein, dass es gerade im produzierenden Gewerbe nicht eben leicht sei, komplett flexible Arbeitszeiten anzubieten, wenn gewisse Abläufe eingehalten werden müssen. Er sagt zugleich: „Unternehmen müssen das aber auch wollen.“ Manches moderne Unternehmen zähle heute „so viele Arbeitszeitmodelle wie Mitarbeiter.“
Recruiting heute: auf oberster Ebene
A propos modern: Recruiting unterliegt selbstverständlich wie so vieles in der Arbeitswelt einem extremen Wandel. Die bekannten Job-Portale im Internet sind der sichtbarste Ausdruck davon. Unter dieser Oberfläche liegen viele neue Anwendungen für digitale Mitarbeitersuche oder den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Ja, selbst Human-Res-ources-Manager von Konzernen sind inzwischen als lustige Job-Influencer in den sozialen Medien unterwegs.
Wie überhaupt ein deutlicher Wandel mit der Rolle des früheren „Personalleiters“ einhergeht. Als „CHRO“ – Chief Human Ressources Officer – ist er bereits auf Vorstandsebene angekommen. Das in der Freiburger Haufe Gruppe erscheinende „Personalmagazin“ untersuchte als meistgelesenes Fachblatt der Branche in diesem Jahr die immer noch gravierenden Gehaltsunterschiede zwischen Chefs, anderen Vorständen und Personalvorständen. Eine Erkenntnis beim Lesen: Selbst wenn Spitzen-Personaler noch nicht die höchsten Gehälter einfahren, ist das Thema doch ganz oben angesiedelt.
Und auch wenn Personalverantwortliche immer mehr im Stil eines Achtarmigen an Fronten aktiv werden müssen, die Instagram, Monster oder Metaverse heißen, haben sie zugleich auch ganz altmodische Werkzeuge zur Personalgewinnung, die sich in der nicht-digitalen Welt finden: Sie können versuchen, Ehemalige zurückzuholen, auf ältere Mitarbeiter setzen, Frauen in technische Berufe und in Führung zu bringen (wie dies beispielsweise bei Endress+Hauser mit einem weltweiten Netzwerk geschieht), und sie können etwas Fantasie entwickeln, wenn es um Quereinsteiger geht. Vor allem aber können sie die Bewerbung vereinfachen, dazu später mehr.
Glaubwürdigkeit statt Werbesprüche
Für alle, die sich an Kampagnen versuchen wollen, dass sie ein „Arbeitgeber mit Herz“ seien, der ein wahnsinnig motiviertes Team mit einem extrem spannenden Aufgabenfeld verbindet: Bevor eine Werbeagentur einbestellt wird oder der Hausgrafiker ans Werk geht, sollte vielleicht doch erst ein Check der eigenen Unternehmenskultur vor-genommen werden. Das kann regelmäßig passieren, beispielsweise, wenn gerade Angestellte das Haus für weniger Geld, aber ein vermeintlich angenehmeres Arbeiten verlassen haben.
Es kann aber auch ohne Anlass geprüft werden, ob sich die Einschätzung der Verantwortlichen mit der Außenwahrnehmung in Einklang bringen lässt. Sowohl auf der Führungsebene wie beim Produkt lassen sich noch vielerorts Killer-Kriterien beseitigen, die einer besseren Personalpolitik im Wege stehen. Mit anderen Worten: Wer respektlos mit seinen Leuten umgeht oder Dinge produziert, die ausschauen, als hätten die Chefs die letzten 20 Jahre unter einem Stein verbracht, der wird vermutlich nicht zuallererst einen „Scrum Master“ suchen müssen, der die Bude auf „agil“ trimmt. Glaubwürdige Kultur im Unternehmen macht dagegen manchen bunten Trend wett.
Hausaufgaben machen, authentisch sein, echt rüberkommen: Klingt einfach und preiswert, ist es erfahrungsgemäß aber nicht. Womit wir am Ende bei zwei ganz traditionellen Dingen wären, die enorm wichtig bleiben. Gerade wenn es wie oben dargestellt um die Bewerbung eines Unternehmens bei einem potenziellen Angestellten geht: die Stellenanzeige und das Bewerbungsgespräch. Einige Beobachtungen aus der Recherche zu diesem Mai-Heft 2022 wollen wir teilen.
Zuguterletzt: Die Stellenanzeige lebt
In Südbaden gibt es viele Unternehmen, die in dem, was sie leisten, richtig gut sind, quasi bundesligareif. Manche von ihnen bringen bei der Personalsuche zum Ausdruck, dass es beinahe eine Ehre ist, bei ihnen zu arbeiten. Und geben damit die Regeln für echte Anti-Stellenanzeigen vor:
Einfach jede persönliche Anrede vermeiden: Es gibt kein „Du“, kein „Sie“, kein „Ihre“, aufgelistet sind schlicht „Aufgaben“ und „Profil“. Mit sieben sehr ausführlichen Punkten. Das abschließende „Wir bieten …“ lässt sich verhuscht in einem fußnotenartigen Schlusssatz unterbringen. Es wird etwas von „Zusatzleistungen“ genuschelt, ansonsten ist der Arbeitsplatz zwischen „emotional“, „spannend“ und „anspruchsvoll“ so greifbar wie ein Aal unter Wasser.
Die genannte Stellenanzeige dürfte bei Bewerbern ein Kopfkino anwerfen: Ein Betrieb, bei dem „na, halber Tag frei?“-Witze fallen, wenn jemand mal freitags um 16 Uhr heim geht. Ein Betrieb, der im Profil „Empathie“ und „Kommunikation“ und gleich noch ein Motivationsschreiben verlangt, aber nicht einmal eine Stellenanzeige freundlich texten will. Und, keine Pointe: Genau damit sucht dieses Unternehmen jetzt seit Monaten eine Personalchefin oder einen Personalchef.
Wie es dagegen auch vollkommen anders geht, zeigt beispielsweise einmal mehr Jobrad. Übrigens auch ein bundesweit bekanntes Unternehmen, an dessen Wachstum viele teilhaben wollen. Es geht aber auch weniger hochnäsig: In Stellenanzeigen „Das erwartet Dich“ zu schreiben klingt definitiv freundlicher als „Auf-gaben“, ebenso „Das bringst Du mit“ statt Qualifikation.
Um es hier von den Beispielen zu lösen und etwas grundsätzlicher festzuhalten: Gute Bewerber bekommt eine Organisation vor allem dann, wenn der Prozess leicht gemacht wird. Wenn das Unternehmen etwas über sich verrät, sich wertschätzend präsentiert, die Bewerbung einfach macht – und sich kommunikativ und schnell präsentiert.
Moderne Unternehmen in Südbaden sind bereits dazu übergegangen, lediglich einen Lebenslauf des Bewerbers zu fordern, bevor sie rasch Kontakt auf-nehmen. Danach wird vor allem geprüft, ob es denn einen „Cultural Fit“, ein Zusammenpassen von Unternehmen und Bewerber gibt, ehe es an Sachthemen geht. Das kann durchaus mehrere Gespräche und Stunden dauern, aber es ist besser investierte Zeit, wenn der Prozess davor zügig geführt wird. Und es entfällt von Anfang an die Bewerbungsheuchelei, wonach man sich nichts sehnlicher vorstellen kann, als gerade hier jeden Tag zu arbeiten.
Zum Abschluss der Angestelltensuche steht das gute alte Vorstellungsgespräch an. Eine nicht unwichtige Erkenntnis hierzu hörten wir im Freiburger Rathaus, wo sich die Lage bei den Stellenbesetzungen ebenfalls umgekehrt hat im Vergleich zu früher. Die schlichte Empfehlung fürs Gespräch lautet aus Arbeitgebersicht: „Einfach freundlich auf die Menschen zugehen“ – klingt banal, aber Bewerber erzählen in der Regel viel mehr von sich, wenn sie offen empfangen werden, als wenn Verhöratmosphäre herrscht. Denn am Ende kommt auch die moderne Recruiterwelt nicht am Elementarsten vorbei: Dem Faktor Mensch.