Rheinau liegt in direkter Nachbarschaft zu Frankreich. Wirtschaftlich zeichnet sich die Kommune durch einen breiten Branchenmix aus – von Automation über Möbelherstellung bis Kiesabbau. Landschaftlich, kulturell und verkehrstechnisch prägt sie der Rhein.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Rheinau ist die nördlichste Kommune im Ortenaukreis und liegt, wie der Name verrät, direkt am Rhein. Einen namensgebenden Ort Rheinau gibt es allerdings nicht, sondern die 11.300 Einwohner große Stadt gründete sich im Zuge der Gemeindereform 1975 aus den Gemeinden Freistett, Diersheim, Hausgereut, Helmlingen, Honau, Holzhausen, Linx, Memprechtshofen und Rheinbischofsheim. Wie eine Perlenkette reihen sich die Ortsteile über 16 Kilometer entlang des Rheins auf. Dabei schreibt jeder seine eigene Geschichte. Honau ist der älteste und verdankt seine Gründung irischen Mönchen, die im Jahr 723 auf der Rheininsel „Hohe Au“ ein Kloster errichteten. Der kleinste ist Hausgereut mit rund 200 Einwohnern. Er hat mit der freskengeschmückten Kapelle aus dem Jahr 1288 einen kulturgeschichtlich großen Schatz.
Nächstes Jahr feiert Rheinau 50-jähriges Bestehen und Bürgermeister Oliver Rastetter sieht das Jubiläum als Anlass, die Gemeinschaft zwischen den Ortsteilen weiter zu stärken. Der 45-Jährige ist seit April 2023 Rathauschef und war vormals 16 Jahre Bürgermeister von Lauf, unweit von Rheinau. Der Politikwissenschaftler ist zudem Dozent an der Hochschule Kehl sowie der Verwaltungsschule Baden-Baden.
Lebensader und Wasserstraße
Auf die Frage, was Rheinau auszeichnet, nennt Rastetter den Rhein und die Nähe zu Frankreich. „Wir liegen im Herzen von Europa“, sagt er. Der Fluss war früher die Lebensader der Bevölkerung, Schifffahrt und Fischfang sicherten die Existenz. Heute markiert er die Grenze. Über die Verbindungsbrücke zwischen Freistett und dem elsässischen Gambsheim fließt täglich reger Pendlerverkehr. Viele aus der französischen Nachbarkommune arbeiten in Rheinau. Auch unter der Brücke in den zwei Schleusen, dem Wasserkraftwerk und auf der Fischtreppe herrscht Betrieb. Der Fischpass ist 290 Meter lang und überwindet einen Höhenunterschied von zehn Metern. Gesichtet wurden im vergangenen Jahr 58.000 Exemplare und mehr als 30 Arten, darunter Aale und Lachse. Die Anlage lässt sich in einem Besucherzentrum und von einer Plattform aus besichtigen. Von dort kann man auch auf die Altrheinarme und damit auf eines der größten Bauprojekte Europas schauen: Im Auftrag des Markgrafen von Baden begann der Ingenieur Johann Gottfried Tulla 1817 mit der Regulierung des Rheins. Er ließ die Schlingen zwischen Basel und Bingen in ein Flussbett von maximal 250 Meter zwängen. Die Begradigung war 1876 abgeschlossen und der Fluss um 81 Meter kürzer. Ziele waren weniger Überschwemmungen, Landgewinnung und verbesserte Schifffahrt – was sich auch auf die direkten Anrainer in der Ortenau auswirkte.
Nach wie vor ist der Rhein für den Gütertransport relevant, so verlädt etwa das Kieswerk Hermann Peter große Mengen Schüttgüter auf Schiffe. Als Standort profitiert Rheinau zudem von der Verkehrsanbindung an das deutsche und französische Fernstraßennetz, Frachthäfen und an den Flughafen Karlsruhe-Baden.
Von Fertigbau bis Fruchtsaft
Die Rheinauer Firmenwelt ist vielfältig: vom Kieswerk über zwei Werften bis zum Fertighausbau und einer Fruchtsaftkelterei. „Die hiesigen Unternehmen sind das Rückgrat von Rheinau, sie geben 5000 Menschen einen Arbeitsplatz“, sagt Rastetter und betont, dass auch die Landwirtschaft mit Getreideanbau und Viehhaltung eine wichtige Rolle spiele. Zu den großen Arbeitgebern gehörten Weber Haus, Zimmer Group, die Baustoffwerke Hermann Peter und der Objektmöbelhersteller Brunner.
Weber Haus zählt nach eigenen Angaben zu den führenden Anbietern für Fertighäuser in Deutschland. Das Unternehmen begann 1960 als Zwei-Mann-Zimmerei. Im Geschäftsjahr 2023 erwirtschafteten die mittlerweile 1356 Beschäftigten einen Umsatz von rund 322 Millionen Euro und realisierten 732 Objekte. Wie die Weberhäuser aussehen, lässt sich auf dem Firmenareal in Linx besichtigen: Im Erlebnispark „World of Living“ stehen komplett eingerichtete Musterhäuser – vom Bungalow über die Luxusvilla bis zum Mehrfamilienhaus im klassischen Landhausstil.
Die bekannteste Erfindung der Zimmer Group findet sich ebenfalls im Haus: Der automatische Schubladeneinzug mit Dämpfungstechnik „Soft Close“ gibt es fast jeder Küche. Das Unternehmen startete vor mehr als 40 Jahren in einem zur Werkstatt umgenutzten Kuhstall. Heute umfasst das Portfolio über 13.000 Produkte, und die 1.300 Mitarbeitenden erzielten 2023 einen Umsatz von 177 Millionen Euro. Vor Kurzem wurden am Stammsitz in Rheinau eine Fertigungshalle sowie Produktionsstätten in Jintan Changzhou (China) und Pune (Indien) eröffnet.
„Die hiesigen Unternehmen sind das Rückgrat von Rheinau, sie geben 5000 Menschen einen Arbeitsplatz.“
Rheinaus Bürgermeister Oliver Rastetter
Mit der Brunner GmbH hat Freistett auch einen renommierten Hersteller von Design-Objektmöbeln: Stühle, Sessel, Sofas und Tische für Büros, Gastronomie oder öffentliche Räume. Das Familienunternehmen besteht seit 1977, beschäftigt über 540 Mitarbeitende und bietet mehr als 70 Produktserien an. 2023 wuchs der Umsatz um gut zehn Prozent auf knapp 150 Millionen Euro. „Das vergangene Jahr war geprägt von herausragenden nationalen und internationalen Projekterfolgen“, wird Gründer und Geschäftsführer Rolf Brunner in einer Pressemeldung zitiert. Dazu gehörten etwa Aufträge für die Messehallen in Barcelona, Zürich, Basel und Köln sowie das Stadion des VfB Stuttgart.
Im Memprechtshofen gibt es einen Spezialisten für Bodenbeläge. Die Firma Dipro produziert Massivholzböden aus Eiche, Douglasie, Esche, Fichte und Kiefer. Unter der Leitung von Firmenchef Oliver Hütte hat das Unternehmen eine Marktnische erschlossen: Mit außergewöhnlichen Abmessungen – Breiten bis zu 400 Millimetern und Längen bis zu 18 Metern – liefert Dipro seine Waren bis nach Oslo und Großbritannien. Noch internationaler aktiv – und nicht aus der Wohnbaubranche – ist die RMA-Gruppe aus Rheinbischofsheim unterwegs, die sich auf Mess- und Regelgeräte sowie Kugelhähne für Pipelines spezialisiert hat. Mit 24 Tochtergesellschaften weltweit und rund 900 Mitarbeitenden erzielt das Unternehmen einen Jahresumsatz von 190 Millionen Euro.
Kiesabbau und Wohnungsnot
Es läuft nicht alles rund in Rheinau. Für Diskussionen sorgt seit einiger Zeit das Kieswerk Diersheim, das von der Mainzer F+J Minth GmbH betrieben wird. Dabei geht es um die geplante Erweiterung der Kiesabbaufläche um knapp fünf Hektar, was Teile der Bevölkerung sehr kritisch sehen. Oliver Rastetter setzt auf einen moderierenden Ansatz, um einen Kompromiss zu finden. Die Genehmigung gilt bis 2031, doch der Rohstoffvorrat reiche nur bis 2029. Für die Stadt ist die Kiespacht von zuletzt etwas mehr als 1,5 Millionen Euro eine wichtige Einnahmequelle. Dem ungeachtet will der Bürgermeister Gegner und Betreiber für einen Kompromiss gewinnen und die Stadt hat einen „Kiesstrategieprozess“ in Gang gesetzt. Ein weiterer schwieriger Punkt: Wohnraum – daran mangele es in Rheinau, klagt Rastetter. Mit dem Baugebiet „Neuländ II“ habe die Kommune 73 Bauplätze für Ein- und Mehrfamilienhäuser, Geschosswohnungsbauten sowie eine Seniorenwohnanlage geschaffen. Doch die hohen Kosten würden die Entwicklung bremsen. „Wir spüren an dieser Stelle deutlich die Wirtschaftskrise und die damit einhergehenden steigenden Preise.“
Wie sich auf wenig Raum minimalistisch leben lässt, kann man in den Rheinauer Tinyhouses testen. Schreiner Dieter Puhane hat in Diersheim eine kleine Siedlung mit drei Modellhäusern gebaut, in denen man auf nur rund 25 Quadratmeter probewohnen kann – zum Rhein ist es von dort nicht weit.