Wir essen gern Butter und Käse, aber immer weniger Fleisch, vor allem kaum Kalbfleisch. Das ist ein Problem für Milchbauern. Denn eine Kuh gibt nur Milch, wenn sie ein Kalb geboren hat.
VON KATHRIN ERMERT
Das Schicksal männlicher Küken hat vor nicht langer Zeit zu einer Gesetzesänderung geführt. Männliche Kälber werden zwar nicht geschreddert, aber oft im Alter von wenigen Wochen ins Ausland verfrachtet, weil die Nachfrage nach Kalbfleisch hierzulande so gering ist. Wer Milch trinkt oder Käse mag, sollte ab und an ein Kalbschnitzel essen. Das ist vielen Menschen nicht bewusst.
„Manche Vorstellungen sind nicht logisch“, sagt Markus Kaiser. Er betreibt einen Hof mit 145 Kühen im Stühlinger Ortsteil Wangen und ist Vorstandsvorsitzender der Milcherzeugergemeinschaft Schwarzwaldmilch. Sozusagen der oberste Milchbauer der Region. Sein Namensvetter Markus Kaiser setzt dagegen auf Fleisch. Er ist Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Bio-Weiderind, die viele Edeka-Märkte beliefert, und führt den Goldbachhof in Bernau mit etwa 240 Rindern.
Die zwei Kaiser wissen voneinander – beim einen lag schon die Rechnung für den Mähdrescher des anderen im Briefkasten –, begegnen sich aber selten. Dennoch haben sie einiges gemeinsam. Beiden ist das Wohlergehen ihrer Tiere wichtig, unabhängig von bio und konventionell. Beide kennen das Problem der überzähligen männlichen Kälber, und beide haben nach Lösungen dafür gesucht. Die sind verschieden – könnten sich aber vielleicht ergänzen.
Der Milchbauer
Der Milch-Kaiser wirtschaftet konventionell. Nur so könne er den Hof an dem Standort rentabel führen, sagt er. Für Bio fehle ihm der Platz, die nächstgelegene Weide ist Teil eines Wasserschutzgebietes, da dürfen die Kühe nicht drauf. Er investiert deshalb ins Tierwohl. „Das kann sich nur leisten, wer ausreichend verdient“, sagt der Milchbauer beim Rundgang durch seinen Offenfrontstall. Der hat zwar ein Dach als Wetterschutz, ansonsten herrscht drinnen dasselbe Klima wie draußen. Die Kühe können sich frei zwischen Futterstelle, Wassertrog und Liegefläche bewegen.
„Wir machen das professionell“, betont der 52-Jährige, der begeistert von seiner Arbeit erzählt und sich selbst „Landwirt aus Leidenschaft“ nennt. Er ist Anfang der 1990er in den Hof eingestiegen, hat ihn 2001 übernommen und seither zweimal erweitert, um mehr Kühe und für die einzelnen Tiere mehr Platz sowie eine moderne Melkanlage zu haben. Die Abwärme, die beim Runterkühlen der Milch entsteht, heizt das Wasser im Wohnhaus nebenan. Kaiser ist technikaffin, hat die Daten jedes Tieres schon immer elektronisch erfasst, anfangs per Palm, mittlerweile per App auf dem Mobiltelefon.
“Investitionen ins Tierwohl kann sich nur leisten, wer ausreichend verdient.”
Milchbauer Markus Kaiser, Stühlingen
Dort kann er die Milchmenge jeder Kuh nachlesen. Sie geben jährlich etwa 10.000 Liter, weit mehr als der Schwarzwälder Durchschnitt (6000 Liter). Seine Kühe sind „Holsteiner schwarzbunt“, eine Milchrasse, die ihre Energie in die Milch steckt und wenig Fleisch ansetzt. Deshalb verkaufen sich die Bullenkälber schlecht. Um möglichst wenige männliche Holsteiner zu haben, organisiert Kaiser die Fortpflanzung seiner Kühe sehr strategisch.
Der eigene Milchkuhnachwuchs soll reinrassig bleiben. Das funktioniert mit sogenanntem gesextem, nach Chromosomen getrenntem Sperma. Die Jungtiere, die das erste Mal kalben, lässt Kaiser damit besamen. Dann bekommen sie mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein weibliches Kalb. Milchkühe, die schon einmal gekalbt haben, besamt Kaiser mit dem Sperma einer Fleischrasse. Die männlichen Mischlinge verkauft er, die weiblichen behält er und mästet sie selbst.
Der Rindermäster
Der Fleisch-Kaiser hält seine Rinder da, wo andere Urlaub machen. Auf einer hundert Hektar großen Alm in mehr als 1000 Meter Höhe mitten im Biosphärengebiet weidet im Sommer die große Muttertierherde samt Kälbern und einem Bullen. Etwas weiter unten haben die jungen Bullen und Ochsen ihre eigenen Weiden. Etwa 240 Tiere hält Kaiser, Vorderwälder, eine sogenannte Zweinutzungsrasse. Die Fortpflanzung regeln die Tiere allein auf der Weide.
„Wir erzeugen Fleisch und leisten einen Dienst an der Umwelt“, sagt Kaiser beim Gespräch auf seinem Holzbänkle am Gipfelkreuz des Rickenbacher Ecks mit Blick über das weite Bernauer Hochtal. Einmal am Tag kommt er hier rauf und schaut nach dem Rechten. Heute hat er Zeit, weil schon gemäht ist. Nachher muss er noch Hackschnitzel für die Fernwärmeheizung in Bernau transportieren – sein zweites Standbein.
Den Betrieb hat der 55-Jährige 1988 mit zehn Tieren übernommen, relativ schnell erweitert und auf Bio umgestellt. Anfangs produzierte er auch Milch und suchte nach der richtigen Struktur, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Direktvermarktung und der Verkauf von Kalbfleisch funktionierten nicht gut – „der Verbraucher kauft’s nicht“.
Kaiser beschloss, die Tiere länger auf der Weide stehen zu lassen, damit sie „Gras in Fleisch verwandeln.“ Nur: Die Almkräuter allein machten kein zartes Steak. „Artenvielfalt schön und gut, aber wenn das Fleisch zäh ist, kauft es niemand“, sagt Kaiser. Er experimentierte mit unterschiedlichen Weide- und Futterkonzepten, bis das Ergebnis, das Fleisch, seinen und vor allem den Ansprüchen der Verbraucher entsprach. Vor dem Schlachten holt er die Rinder nun von der Weide und lässt sie im großen Offenstall noch Gewicht zulegen.
Für den Verkauf des Fleisches knüpfte Kaiser Kontakt zu Michael Schmidt, dem Inhaber der Edeka-Schmidt-Märkte mit Stammsitz im rund 30 Kilometer entfernten Rickenbach und 14 Filialen im Südschwarzwald. Zusammen schufen sie die Marke Schwarzwald Bio-Weiderind, die sich sehr erfolgreich entwickelt hat. „Die Vermarktung mit Edeka funktioniert nur, wenn man wächst, qualitativ und quantitativ“, sagt Kaiser. Um die steigende Nachfrage bedienen zu können, brauchte er mehr Tiere. Er überzeugte andere Höfe, Biofleisch zu erzeugen. Und er verdoppelte die Zahl seiner Kälber, indem er Milchbauern in der Region Tiere abnimmt.
“Wir machen Direktvermarktung im XXL-Format”
Markus Kaiser, Goldbachhof
Mittlerweile verkaufen 160 Betriebe etwa 1800 Rinder pro Jahr – längst nicht mehr nur an die Schmidt Märkte, sondern über Edeka Südwest an mehr als hundert Filialen auch in Stuttgart und Frankfurt. Der Preis sei fair, sagt Kaiser. Bis auf einen Vermarktungsbeitrag gehe der Verkaufserlös eins zu eins zurück an die Betriebe. Die schreiben die Rechnung und sind als Erzeuger sichtbar. „Das ist Direktvermarktung im XXL-Format“, sagt Kaiser.
Die Lösung?
Die Erzeugergemeinschaft ist weiter auf Wachstumskurs: Bis 2025 will Edeka jährlich 2500 Tiere vermarkten. Das System lasse sich noch vergrößern, meint Kaiser. Die Weideflächen im Südschwarzwald würden für mehr als doppelt so viele Kälber ausreichen, die dann nicht ins Ausland verkauft werden müssten. So könnte ein regionaler Kreislauf entstehen – für Bio- und konventionelle Produkte. Dafür müssten die Milchbetriebe, so wie der andere Markus Kaiser es tut, die Rassen kreuzen oder von vornerein Zweinutzungsrassen halten. Und die Menschen müssen Rindfleisch essen.