Nach Bevölkerungszahlen der kleinste Kreis im Regierungsbezirk, doch der Name ist groß. Hunde, Fasnet und Türme haben Rottweil bekannt gemacht. Ein Ausflug zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb.
VON KATHRIN ERMERT
Kaum dass der Blick vom Schwarzwald oder der Schwäbischen Alb kommend übers Neckargäu geht, sieht man den Turm. 246 Meter hoch überragt er die Kreisstadt Rottweil. Ein Panoramaaufzug bringt die Besucher nach oben, acht Meter pro Sekunde. Der Blick von der Besucherplattform ist gigantisch: natürlich auf Rottweil mit seinen alten und vergleichsweise niedrigen Türmen, über Wiesen und Wälder, im Winter auch oft bis zu den Alpen.
„Mein Büro liegt auf 216 Meter Höhe“, sagt Turmmanagerin Beate Höhnle. „Manchmal ist hier oben Sonne und wir schauen auf die Wolken.“ Außer ihr arbeiten 14 Menschen fest im Testturm. Ein Teil der Entwicklungsabteilung von TK-Elevator tüftelt hier an der Aufzugstechnik von morgen. TKE ist der neue Name für das frühere ThyssenKrupp Elevator, das 2020 von den Namensgebern an ein Konsortium verkauft wurde. In zwölf Schächten testen sie Innovationen wie den seillosen „Multi“, der mit Magnetschwebetechnologie betrieben wird. Der Testturm dient zudem als Veranstaltungsort und zieht viele Besucher an. Seit der Eröffnung im Oktober 2017 haben etwa 600.000 Menschen die 232 Meter hohe Plattform besucht, die höchste Deutschlands.
Miteinander von Jung und Alt
Die Rottweiler sind stolz auf ihr neues Wahrzeichen. „Der Turm ist für die Stadt die Chance, wieder etwas Bedeutung in der Welt zu bekommen“, sagt Ulrike Lehmann, die in ihrem „Rottweiler Haus“ nahe des Schwarzen Tors ungewöhnliche Souvenirs verkauft und lange als Gästeführerin gearbeitet hat. Sie kennt die historische Bedeutung der ehemaligen Reichsstadt mit ihrem intakten mittelalterlichen Kern, der viele Bewohner noch nachtrauern, und die das große Selbstbewusstsein der Rottweiler erklärt. „Reichsstadtgraddl“, nennt Lehmann das.
„Der Turm ist für die Stadt die Chance, wieder etwas Bedeutung in der Welt zu bekommen.“
Ulrike Lehmann, Rottweiler Haus
Rottweil ist mehrheitlich katholisch, das hat Mike Wutta in den Anfangsjahren seiner Eventagentur gemerkt. „Ehe man eine Halloween-Party plante, musste man den Pfarrer fragen, ob das vor Allerheiligen geht“, erzählt der 51-Jährige. Er ist in Rottweil geboren, als Metzgersohn aufgewachsen und hat 1996 zusammen mit seinem Zivikollegen Thomas Wenger die „trend factory“ gegründet. Sie übernahmen das brachliegende ehemalige Kohlekraftwerk im Neckartal, sanierten das Industriedenkmal und betreiben es seither als Eventlocation sowie als Sitz ihrer national renommierten Agentur mit 45 Mitarbeitern.
Mit seiner Mischung aus morbidem Charme und modernem Design ist das Kraftwerk ein extrem cooler Ort, auf den manch Großstädter neidisch sein kann. Unternehmen aus ganz Deutschland und Europa verlegen dafür ihre Veranstaltungen nach Rottweil. Wutta und Wenger arbeiten für namhafte Konzerne und sind mit den Chefs per Du, aber immer in der Region verwurzelt geblieben. „Wir haben schon manchmal überlegt, wegzugehen. Aber warum? Hier entsteht Kreativität“, sagt Wutta. Er mag das Miteinander von Jung und Alt in Rottweil, besonders bei der Fasnet oder beim „Ferienzauber“, dem von ihm veranstalteten dreiwöchigen Festival in der ersten Hälfte der Sommerferien.
Wirtschaft im Westen
Fasnet, Türme und natürlich die gleichnamige Hunderasse: Rottweil ist ungewöhnlich bekannt für eine Stadt mit 25.000 Einwohnern. Sie liegt mittig zwischen Stuttgart und dem Bodensee an der A81. Der Landkreis ist heterogen, reicht von der Schwäbischen Alb im Osten bis zum Schwarzwald im Westen, dazwischen der Neckar. 140.446 Menschen leben hier. Es gibt viele Autos, wenig Fahrradwege. Familien scheinen sich wohlzufühlen: Der Kreis zählt viele Geburten und neue Einfamilienhäuser. Bauland ist günstig, das Einkommen leicht überdurchschnittlich.
Die Stadt verdankt ihren Wohlstand vor allem öffentlichen Arbeitgebern. Rottweil ist Schul-, Beamten- und Verwaltungsstadt. Es gibt drei Gymnasien, zahlreiche andere Schulen, ein Seminar für Lehrerbildung und viele Ämter, aber kaum mehr Industrie. Die großen privaten Arbeitgeber sitzen neckarabwärts in Oberndorf. Die idyllische 14.000-Einwohner- Stadt hat ein historisch gewachsenes Cluster der Rüstungsindustrie. Die Waffenhersteller Heckler&Koch und Mauser, der mittlerweile zu Rheinmetall zählt, beschäftigten hier zusammen mehr als 1000 Mitarbeitende.
Die größte Wirtschaftskraft ballt sich im Westen, vor allem in Schramberg, der mit gut 20.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt des Landkreises. Junghans beschäftigte zu Hochzeiten 7000 Mitarbeiter. Schöne alte Industriegebäude zeugen noch davon. Während die Uhrenindustrie nach Fernost wanderte, haben sich in Schramberg neue Branchen entwickelt. Allen voran die Automobilzulieferer Kern-Liebers (mehr als 7000 Beschäftigte, davon rund 1200 in Schramberg) und Schweizer Electronic (knapp 1100 insgesamt, knapp 600 in Schramberg).
Weitere große Arbeitgeber sind Trumpf Laser mit rund 1400 Beschäftigten, der Magnetspezialist MS Schramberg (550), der Stifthersteller Schneider (630, davon 400 in Schramberg) und der Schraubenproduzent Heco (400/200). Zudem arbeiten viele Menschen mit Behinderung, vor allem Blinde, für die Stiftung St. Franziskus im Ortsteil Heiligenbronn.
Enge Täler
Schramberg heißt Fünftälerstadt. Von der Burgruine Hohenschramberg hat man einen tollen Blick auf die Talstadt, ihre Ortsteile und die Wälder ringsrum. „Wir haben hier Schwarzwald pur“, sagt Matz Kastning, der gemeinsam mit Stefanie Knebel die Podcast-Agentur Audiotextour betreibt. Als Gründer vermissen sie allerdings Offenheit. Auch fehlten Initiativen wie Co-Workingspaces. Immerhin: Das Internet ist sehr gut.
“Schramberg und Rottweil sind nicht die besten Freunde.”
Reinhold Hettich, Musikfachgeschäft Mister Music, Schramberg
Selbst gestalten, bestimmen, Verantwortung übernehmen: Die Schramberger sind stolz auf ihr Unternehmertum, und sie konkurrieren mit der Kreisstadt. „Schramberg und Rottweil sind nicht die besten Freunde“, sagt Reinhold Hettich, Inhaber des Musikfachgeschäfts Mister Music im Stadtteil Sulgen. In Schramberg habe man den Eindruck, dass vieles nach Rottweil abwandert. Vor allem seit das Krankenhaus vor gut zehn Jahren geschlossen wurde. Auch für viele Amtsbesuche müssen die Schramberger nach Rottweil.
Noch weiter haben es die Schiltacher, denn ihr 3700-Einwohner-Städtchen liegt am Westrand des Kreises. Mit seinen Fachwerkhäusern gleicht Schiltach einer Postkartenidylle. Mittendrin streckt sich das Werk des Armaturenherstellers Hansgrohe entlang der Kinzig. Fast 2000 Leute arbeiten hier. „Schiltach ist durch Hansgrohe zu dem geworden, was es heute ist“, sagt Robert Heeger. Der Leiter der Kunststoffspritzerei im Offenburger Hansgrohe-Werk ist in Schiltach aufgewachsen und kann sich erinnern, dass man die Mühlengasse Dreckgasse nannte. „Das Unternehmen hat die Leute in Brot und Butter gebracht. Sie konnten ihre Häuser sanieren, damit hat sich der ganze Ort entwickelt“, erzählt Heeger. Und Schiltach sei offener geworden, auch durch die Arbeiter aus anderen Teilen Europas. Jetzt präge nicht mehr das enge Tal die Menschen, sondern die Nähe zum Rheintal. Heeger setzt sich selbst gern aufs Mountainbike und radelt an der Kinzig entlang. „Da gibt es viele Einkehrmöglichkeiten“, sagt er. „Das ist Lebensqualität.“