Es ist eine Branche, zu der keiner freiwillig geht und die oft unterschätzt wird. Doch bei Sanitätshäusern steht echte Handarbeit ganz vorn. Wir durften einen Blick weit hinter Verkaufstresen und Umkleidekabine werfen.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Kompressionsstrümpfe, Rollatoren, Stützmieder – von außen wirken Sanitätshäuser oft etwas aus der Zeit gefallen. Doch dieser Eindruck wird der Branche überhaupt nicht gerecht. Die großen Player aus der Region sind echte Handwerksbetriebe mit hochspezialisierten Mitarbeitern, tausenden Quadratmetern Fläche und eigener Produktion. Ihr Geschäftsfeld: Gesundheit, Mobilität, Selbstständigkeit.
Wir waren bei den Freiburger Unternehmen Pfänder und Schaub auf der Haid und durften einen Blick in ihre Wirkstätten werfen. Bei Pfänder arbeiten 65 Menschen in Fertigung, Beratung, Lager und Verwaltung. Es gibt Reha-Hilfsmittel wie Rollstühle und Rollatoren, die individuell angepasst werden, sowie den „normalen Sanitätshausbedarf“ rund um Einlagen, Korsetts, Stützstrümpfe und Co. Der Schwerpunkt des vor über 150 Jahren gegründeten Unternehmens ist die Orthopädietechnik. „Wir fertigen orthetische und prothetische Hilfsmittel nach Maß“, erklärt Mike Dehn, Geschäftsführer der Firma. Über 20 Orthopädietechniker sind hier angestellt, weitere werden ausgebildet, darauf ist man stolz bei Pfänder.
Individualbetreuung statt Pauschallösung
Man muss sich das so vorstellen: Jeder, der eine Prothese braucht, benötigt eine Spezialanfertigung. „Jeder Mensch ist einzigartig. So auch sein Handicap. Daher gibt es bei uns auch keine Pauschallösungen“, erklärt Mike Dehn, der selbst gelernter Orthopädietechnikmeister ist. „Wir wollen handwerklich erreichen, dass Prothesen idealerweise die Bewegung im Alltag wieder so ermöglichen, wie sie vorher war.“
Pfänder kauft die Gelenke zu, der Schaft wird komplett vor Ort hergestellt. Höhe, Breite, Sitz – alles muss maßgenommen, angefertigt, eingestellt, angepasst werden. Das dauert mehrere Wochen. Mittlerweile hilft die Technik: Durch 3-D-Druck und Scanner ist es deutlich effizienter, Modelle herzustellen als sie aus Gips zu formen. Eins kann der Fortschritt aber nicht abnehmen: die persönliche Betreuung. „Im Mittelpunkt steht der Mensch. Wir legen Wert darauf, dass jeder eine individuelle Beratung bekommt“, sagt Dehn. Viele der Kunden gehen seit vielen Jahre nicht „zu Pfänder“, sondern zu „Herrn Müller von Pfänder“.
Der Hauptsitz in der Munzinger Straße ist erstaunlich weitläufig: Der Verkaufsraum ist mit Abstand der kleinste Bereich des mehr als 2800 Quadratmeter großen Geländes. Neben Verwaltung, Maschinenraum, Lager, Gipsraum, mehreren Werkstätten, Bandagisten und der Näherei gibt es einen diskret gehaltenen Patientenbereich sowie einen Raum zur Bewegungsanalyse. Hier können Patienten ihre neue Prothese ausprobieren. Dafür stehen Treppenstufen, eine Rampe, ein stationäres Fahrrad und Laufband zur Verfügung. Videoprotokolle, die der Krankenkasse vorgelegt werden, sollen die Notwendigkeit einer bestimmten Beweglichkeit durch das künstliche Gelenk bescheinigen.
Zuletzt machte Mike Dehn der gestiegene Verwaltungsaufwand zu schaffen. „Die Tätigkeiten von Kostenvoranschlag bis zur Abrechnung werden immer mehr“, klagt der Geschäftsführer. Allein fünf Vollzeitkräfte plus Springer kümmern sich bei Pfänder um die Verwaltung. „Der Aufwand steigt, und die Notwendigkeit der Dokumentation bindet viel Arbeitskraft. Leider haben es die kleinen Handwerksbetriebe immer schwerer, auf dem Markt zu bestehen.“ Doch er ist zuversichtlich, das Traditionsunternehmen weiter gewinnbringend aufzustellen.
Von Spezialisten und Eigengewächsen
Der größte Mitbewerber der Region? Ganz klar Schaub. Das 1932 gegründete Familienunternehmen ist mit rund 350 Mitarbeitende in 17 Niederlassungen in Südbaden sowie 8 weiteren in ganz Deutschland das größte Sanitätshaus in Baden-Württemberg und gehört zu den zehn größten bundesweit.
„Wir sitzen nicht hinterm Tresen und warten bis ein Kunde kommt.“
Stephan thoma, geschäftsführer Schaub
Stephan Thoma ist seit 33 Jahren im Unternehmen, seit 2002 Geschäftsführer. Der Volkswirt hat mit einem Job bei Schaub sein Studium querfinanziert und ist nie wieder gegangen. „Ich habe hier angefangen und werde hier enden“, sagt der 55-Jährige, als er uns in seinem Büro in der neuen Niederlassung in der Bötzinger Straße begrüßt. Er ordnet den Markt ein. „Leistungserbringer“ nennt er die Sanitätshäuser. In Deutschland gibt es rund 5000 davon, das Spektrum ist immens. „Das geht vom klassischen Ladenlokal zu Orthopädietechnik, Orthopädieschuhtechnik, über Rehatechnik, Rehasonderbau, Kinderreha, Lymphologie und Brustprothetik bis zum Bereich Homecare, wo die Sanitätshäuser als Mitteldienst zwischen Arzt, Patient und Pflegestelle fungieren.“ Das Besondere: Schaub macht all das – und noch mehr. „Wir sind ein Komplettanbieter, bei uns gibt es keinen Behandlungsbruch“, erklärt Thoma. Teilweise beginnt die Betreuung im Krankenhaus: Wenn die Entlassung für einen Patienten ansteht, der Hilfe im neuen Umfeld braucht – sei es Zuhause, in der Reha oder im Pflegeheim – schwärmt Schaubs Außendienst aus, berät noch in der Klinik, was nötig ist, was angeschafft werden muss, wie es weiter geht. Dafür hat das Unternehmen eine Flotte mit rund 120 Servicewagen. „Wir haben seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit diesem Satellitensystem gemacht“, bestätigt Thoma. „Wir sitzen nicht hinterm Tresen und warten bis ein Kunde kommt.“
Diese Wohnumfeldberatung ist ein Service, der Schaub ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Das beginnt bei der Anpassung eines Rollstuhls oder Pflegebetts und geht bis zur Versorgung eines künstlichen Darmausgangs. Schaub hat Spezialisten und Spezialistinnen für alles. „Ich bin stolz darauf, dass wir alle Berufsgruppen vereinen: Rehatechniker, Ingenieure für Biomechanik, Ingenieure für Orthopädie- und Rehatechnik, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhtechniker, Bandagisten, Mechatroniker, Kaufleute, Gesundheits- und Krankenpfleger, Sportwissenschaftler, Physiotherapeuten“, zählt Thoma auf. „Mit zwölf Meistern sind wir Ausbildungsbetrieb für sechs Berufsfelder. Im Handwerk beschäftigen wir rund 70 Prozent Eigengewächse.“
Zwei streitende Brüder
Schaub wurde 1932 von den Brüdern Hans Georg und Franz Schaub gegründet. In den Fünfzigerjahren trennten sie sich und jeder eröffnete sein eigenes Ladenlokal in der Bertoldstraße gegenüber vom Freiburger Theater – dort, wo Schaub bis heute eine Niederlassung betreibt. Damals waren es zwei komplett getrennte Betriebe: HG Schaub mit grünem Logo, direkt daneben Franz Schaub mit blauem Logo. Während sich HG Schaub auf handwerkliche Geschäftsbereiche wie z.B. die Orthopädietechnik spezialisierte, konzentrierte sich Franz Schaub auf die Lymphologie. Heute ist Schaub auf diesem Gebiet bundesweiter Marktführer.
Anfang der Siebzigerjahre wurde die Firma Franz Schaub von Angela Vollmer (geb. Schaub) übernommen, bei HG Schaub stieg mit dem Ingenieur Peter Wien der Schwiegersohn des Gründers ein und machte aus dem Fünfmannbetrieb das Unternehmen, das es heute ist. In den Achtzigerjahren gründete Peter Wien die Firma Schaubtechnik und baute Treppenlifte, die er bundesweit vertrieb – und zwar so erfolgreich, dass der Thyssen-Konzern die Firma schließlich übernahm. Seit 1993 gehören Inhaber Wien beide Schaub-Unternehmen, aber erst seit 2017 sind sie offiziell zur Schaub KG verschmolzen.
Eine Familiengeschichte, auf die man stolz ist. Nach wie vor setzt Stephan Thoma auf die lebenslange Erfahrung von Peter Wien. Thoma wird das operative Geschäft führen, bis er in Rente geht, dann steigt einer von Wiens Söhnen ein.
Ein regulierter Markt
Thoma ist im Gegensatz zu Peter Wien kein Orthopädietechniker, sondern Volkswirt. Er sieht Zahlen, Bedarfe, Optionen. Zum Beispiel gründete Schaub zuletzt die Abteilung Neurologie, zwei Sportwissenschaftler wurden eigens dafür eingestellt. Sie arbeiten mit dem „Exopulse Mollii Suit“, einem Ganzkörper-Neuromodulationsanzug, der Spastik vermindert, Muskeln animiert und damit verbundene Schmerzen reduzieren kann. Ein Segen für Patienten, ein großes Invest fürs Unternehmen. „Wir haben einen sechsstelligen Betrag eingesetzt für Equipment und Fachpersonal,“, sagt Thoma. Bis zum Return-of-Invest dauert es viele Jahre. Aber die Erfolge sind enorm. „Mit Innovationen und den damit verbundenen Investitionen treiben wir den Betrieb seit vielen Jahren nach vorne. Deshalb sind wir die Nummer Eins in Baden-Württemberg“, sagt Thoma stolz.
Die Krankenkassensätze für Hilfsmittel, deren Anfertigung und die Dienstleistung sind oft über viele Jahre festgelegt und hinken der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher.
Bei all dem ist nicht zu vergessen: Die Sanitätshausbranche ist eine Industrie, die mit Kostendeckung zugunsten Dritter arbeitet, weil weit über 95 Prozent der Kosten über die Krankenkassen finanziert werden. Es ist ein regulierter Markt mit eigenen Problemen: Die Sätze für Hilfsmittel, deren Anfertigung und die Dienstleistung sind oft über viele Jahre festgelegt und hinken der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher. Margen werden kleiner, aber der Aufwand steigt. Sowohl bei Schaub als auch bei Pfänder geht extrem viel Lagerfläche drauf, weil die Händler nicht mehr benötigte Hilfsmittel wie Rollstühle, Rollatoren, umgebaute Fahrräder und Kinderwagen lagern müssen, ohne den dafür benötigten Raum abrechnen zu können.
Dazu kommt die individuelle Arbeit für den Patienten. Alles, was den Standard verlässt, wird schnell teuer und aufwendig. Neulich hat Schaub einen kleinen Roboterarm gebaut für einen Fünftklässler, damit dieser selbstständig seinen Rucksack auf seinen Rollstuhl hängen und wieder abnehmen kann. Es sind Dinge, die ein Kampf sein können mit der Kasse, die aber ein ganzes Leben verändern.