Von der Schiffschaukel über die Schießbude bis zu Fahrgeschäften wie Autoscootern und Kinderkarussells: Der Schaustellerbetrieb Hahn aus Ottenheim in der Ortenau besteht seit über 150 Jahren. Eine Firmengeschichte in Bewegung.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Es ist Dienstagnachmittag, Anfang November, in Ottenheim ist es diesig. Es scheint fast so, als hätte der Nebel auch die Geräusche und die Menschen verschluckt: Im Ort ist es ganz ruhig. So auch im Allmendweg, wo der Schaustellerbetrieb Hahn seinen Firmen- und Familiensitz hat. Die bunten Fahrgeschäfte sind in den Lagerhallen verstaut. Allein die abgestellten Anhänger und ein Wohnwagen mit dem Firmenlogo deuten auf das Unterhaltungsgewerbe hin. „Wir haben keinen normalen Beruf mit Achtstundentagen“, sagt der 75-jährige Seniorchef Theo Hahn. „Fast das ganze Jahr fahren wir von einem Fest zum nächsten und bringen den Menschen zwischen Ortenau und Markgräflerland Spaß und Unterhaltung.“ Ohne diese Arbeit könne er nicht leben. Zuhause rumsitzen sei nicht sein Ding, drinnen halte er es sowieso nicht lange aus. Er braucht den Kontakt zu Menschen und das Unterwegssein.
Doch heute nehmen er und sein Sohn Sascha Hahn sich Zeit für ein Gespräch im heimischen Wohnzimmer. Sie haben gerade ein wenig Luft zwischen dem Lahrer Blumenfest Chrysanthema, dem Martinimarkt in Gengenbach und dem Katharinenmarkt in Seelbach, wohin es als Nächstes geht. Danach sind sie auf den Weihnachtsmärkten in Kehl, Kenzingen, Dörlinbach, Lahr und Offenburg sowie beim Winterzauber im Europa-Park. Auf dem Tisch hat Theo Hahn einige Unterlagen bereitgelegt, die die Firmengeschichte dokumentieren: Schwarzweißfotos aus den 1950er-Jahren zeigen ein Kettenkarussell mit Schwänen, den Holzpfosten-Autoscooter, eine Schießhalle und ein Bild von Theo Hahns Vater Adolf, der in einem kleinen Kassenhäuschen sitzt.
Die Historie reicht jedoch noch viel weiter zurück. Diese begann 1871 im Gasthaus Adler in Ottenheim. Damals kaufte August Benz, Ururgroßvater von Theo Hahn, per Handschlag von einem durchreisenden Kaufmann ein „Rössle-Karussell“, das aus Holzpferden, Chaisen und Schiffen bestand. Im Laufe der Jahre erweiterte sich der fahrende Vergnügungspark um eine Schießbude und eine Schiffschaukel. „Das war ein mühsames Geschäft, denn man hatte ja auch noch die Pferde zu versorgen, die das Karussell antrieben und die Fuhrwerke zogen“, erzählt Theo Hahn. Seit 1919 firmiert das Geschäft durch Heirat unter dem Namen Hahn. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Karussellpferdchen verkauft, und die restlichen Holzteile mussten als Brennholz herhalten. „Diese Originalpferde gibt es noch, sie sind im Besitz der Fasnetzunft Schergässler in der Nachbargemeinde Reichenbach“, erzählt Sascha Hahn. Die Hahns hätten der Zunft die Rössle schon öfter abkaufen wollen, doch die Narren würden die Tiere leider nicht mehr hergeben.
Von der Schiffschaukel zum Autoscooter
Nach dem Krieg führte Adolf Hahn das Schaustellergewerbe weiter. Zunächst mit einer Schiffschaukel und einer Schießhalle, später kam ein Schwanenflieger-Karussell dazu, und 1951 dann die Berg- und Talbahn. „Das war damals eine Sensation, denn während der Fahrt spannte sich eine Plane über die Insassen, und sie fuhren im Dunkeln. Die Pfarrer im Ortenaukreis nannten es ein ‚Karussell der Sünde‘“, berichtet Theo Hahn. 1954 gab es die nächste Attraktion: ein elektrisch betriebener Autoscooter, hergestellt von der Waldkircher Firma Mack, die auch die Achterbahnen für den Europa-Park bauen. Die Geschäfte liefen gut, denn die Leute sehnten sich nach den schweren Kriegserlebnissen nach ein wenig Vergnügen. 50 Pfennig kostete damals eine Zweiminutenfahrt im Boxauto; heute sind es drei Euro. Es war nicht nur die Fahrt, auch die dazu gespielte Musik hätte die Kundschaft angezogen. „Bis in die Siebzigerjahre habe ich Schallplatten aufgelegt, dann kamen die Kassetten und schließlich der CD- und MP3-Player“, sagt Theo Hahn, dessen Lieblingsbands die Rolling Stones und die Beatles sind. „Man ist eben immer auch DJ. Es muss schon fetzige Musik laufen, Volksmusik geht da gar nicht.“
Die Berg- und Talbahn war damals eine Sensation, denn während der Fahrt spannte sich eine Plane über die Insassen, und sie fuhren im Dunkeln. Die Pfarrer im Ortenaukreis nannten es ein Karussell der Sünde.“
Theo Hahn, Seniorchef
Was für die einen ein kurzes Vergnügen ist, bedeutet für die Betreiber harte Arbeit. Anfangs bestand der Autoscooter aus 900 Einzelteilen und 24 Autos. Sechs Mann brauchten für den Aufbau rund zwei Tage. Bei den neuen Modellen geht es heute schneller, aber es bleibt dennoch viel zu tun: von der Instandsetzung über Reparaturen, TÜV- und Sicherheitsabnahmen, Transport bis hin zu den Buchungen.
Die 39-jährigen Zwillingsbrüder Sascha und Thomas Hahn sind 2001 in den Betrieb eingestiegen und haben seitdem die Bereiche aufgeteilt: Sascha Hahn, gelernter Schreiner, unterhält Kinderkarussells. Sein Bruder Thomas managt den Autoscooter. Die Eltern Theo und Brigitte Hahn betreuen die Süßwarenstände mit gebrannten Mandeln, Lebkuchenherzen, Magenbrot oder Schokobananen.
„Je nachdem, was die Veranstalter wünschen, stellen wir weitere Getränke- und Essensstände und organisieren Spiele wie Entenangeln, Pfeil- und Dosenwerfen oder Kugelstechen“, sagt Sascha Hahn. In neun Monaten müsse der Betrieb das Einkommen für das ganze Jahr erwirtschaften. Zwar sei man auch ganzjährig verfügbar, etwa für Firmenfeiern, doch zwischen Januar und März herrsche Flaute. Traditioneller Saisonstart ist der Kehler Ostermarkt, den die Hahns seit 1953 komplett in Eigenregie veranstalten. Von Auggen bis Baden-Baden erstreckt sich ihr Gebiet mit Events von Jahrmärkten bis Erdbeerfesten. Das Unternehmen beschäftigt auch Saisonarbeiter. „Ganz allein schaffen wir es als Familie nicht“, sagt Sascha Hahn.
Zwischen Tradition und Wandel
Die Zeiten haben sich geändert, und auch diese Branche unterliegt einem Wandel. Theo Hahn ist noch auf der Kirmes zwischen Karussell und Zuckerwatte aufgewachsen. Nur in den Wintermonaten drückte er in Ottenheim die Schulbank; unterm Jahr wechselte er fast wöchentlich die Schule. „Bei unseren drei Kindern war das nicht mehr so. Meine Frau hat sie abgeholt, dann waren sie nachmittags bei uns, und abends ging es zurück, während ich häufig im Wohnwagen übernachtet habe“, sagt der Seniorchef. Er und seine Frau haben ihre Kinder nicht gedrängt, das Geschäft zu übernehmen, das hätten sie aus freien Stücken entschieden. „Es ist einfach schön, wenn man sieht, wie viel Spaß die Kinder am Karussellfahren haben – das ist doch eine tolle Arbeit“, sagt Sascha Hahn. Während Corona, als alle Feste abgesagt wurden, habe er in einer Schreinerei ausgeholfen, doch er sei, wie sein Vater, leidenschaftlicher Schausteller.
„Es ist einfach schön, wenn man sieht, wie viel Spaß die Kinder am Karussellfahren haben – das ist doch eine tolle Arbeit.”
Sascha Hahn, Juniorchef
„Die Pandemie war eine schreckliche Phase; da ging es emotional und wirtschaftlich ans Eingemachte, trotz der staatlichen Coronahilfen“, sagt Sascha Hahn. Sie hätten Konzepte mit Hygienemaßnahmen erarbeitet, doch alles sei von den Behörden abgesagt worden. „Jetzt profitieren wir wieder ein wenig von Corona, denn die Menschen schätzen die Feste und unsere Angebote mehr denn je.“ Das Geschäft dreht sich also weiter. Im Januar hat Sascha Hahn in ein neues Kinderkarussell mit bekannten Flugfiguren wie Hello Kitty, Bugs Bunny und Dumbo investiert. „Die Fahrzeuge sprechen, wenn man auf die Hupe drückt – es muss heute eben ein bisschen mehr Action sein.“ Nach rund zwei Minuten ist auch dieses kreisrunde Vergnügen vorbei, dann gebe es manchmal Tränen, erzählt der 39-Jährige. Zur ersten Fahrt mit dem neuen Karussell hat er Anfang des Jahres den Kindergarten aus Ottenheim eingeladen – und dann sei richtig was los gewesen im Allmendweg.