Mehr als 20 Millionen Übernachtungen zählte der Schwarzwald bevor die Pandemie kam. Trotzdem gab sie Anlass zu einer neuen Dynamik im Schwarzwald-Tourismus, die sich nach innen und außen zeigt. Und Hoffnung für die Zeit nach Corona gibt.
VON RUDI RASCHKE
Hansjörg Mair hat gute Laune, er hätte trotzdem allen Grund, einen dicken Hals zu haben. Der oberste Schwarzwald-Werber musste am Abend davor in den Nachrichten sehen, dass es bei allen Öffnungsszenarien vom Blumenladen bis zum Tätowierer keinen realistischen Fahrplan für eine maßvolle Rückkehr zu Gastronomie und Hotellerie gibt. Er schimpft nicht auf das offenkundige Chaos in Berlin, merkt aber an, „das Impfen wäre der Anker gewesen.“
Der Anker. Mit ihm könnte der Schwarzwald auch diesen Sommer wieder ein guter Ort zum Anlegen werden, die Perspektive von der Buchungslage sei ordentlich, sagt Mair, „es schaut bisher nach einem guten Sommer aus“. Der Schwarzwald strahle genau das aus, was die Menschen suchen, sagt der Chef der Schwarzwald-Touristik GmbH: Vertrauen und Sicherheit seien die Werte, die die Region verkörpert. Aber als Landschaft eben auch die Weite, die die Abstandssuchenden anzieht. Blasiwald statt Barcelona, das dürfte für viele noch eine Weile das Thema bleiben.
Trotz oder wegen der Pandemie, hat Mair während seiner mehr als drei Jahre in der Freiburger Zentrale der STG die Gegend zu einer der sechs bekanntesten deutschen Destinations-Marken entwickelt. Auf den Plätzen davor liegen nur Städte (Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Köln). Mair hat die für Einheimische oft arg beladenen Klischees vom Kuckuck bis zur Torte nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern ein wenig aufpoliert und ins Neo-Gewand gesteckt, was sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreut. Vor allem hat er den Schwarzwald unübersehbar digitalisiert und den eigenen STG-Betrieb beinahe in ein Start-up verwandelt.
Die Panemie als Motor
Die Pandemie haben sie genutzt, um aus dem alten Bürogebäude an der Freiburger Heinrich-von-Stephan-Straße in eine Art lustige Factory an der Wiesentalstraße, ebenfalls südwestlich der Innenstadt, zu ziehen. Mair hat hier eine Co-Working-Anmutung geschaffen, bei der Tourismus-Dienstleister wie die Werbeagentur „Land in Sicht“ oder die Strategen „St. Elmo’s“ und einige andere unter einem Dach an der Seite der STG arbeiten. Im einstigen Lastenaufzug hat er ein kleines Tonstudio einbauen lassen, das podcastfähig ist. Vor allem aber ist die ganze Atmosphäre beginnend bei der Handletteringtafel hinterm Chefschreibtisch das Ergebnis einer Erneuerung der Arbeitsweisen.
Von der Pandemie beschleunigt worden seien die Dynamik, schnelle Entscheidungen, auch Neuausrichtungen und das Verwerfen von Marketingplänen, sagt der gebürtige Südtiroler. Seine Heimat Südtirol, nebenbei, bleibt als Tourismusregion für uns Außenstehende natürlich das Land, wo Milch und Honig fließen, wenn auch zu sehr unterschiedlichen Bedingungen. Hansjörg Mair spricht vom 20-fachen Etat gegenüber den Werbebudgets des Schwarzwalds. Von daher muss er auch ohne Pandemie aus Nöten Tugenden entwickeln.
Digitalisierung bedeutet hier auch, dass Inhalte noch zielgenauer an potenziell Buchende ausgespielt werden. Aber auch, dass vergangenes Jahr 600 Partner in die Schwarzwald-Kampagne involviert wurden und sie damit auf breiten Schultern getragen war, auch über die Identifikation möglichst vieler Akteure. Für kleinere Betriebe, die ohnehin mit ihren Budgets kämpfen, hat der Schwarzwald-Tourismus Social-Media-Bausätze zum Herunterladen bereitgestellt, selbst Anrufbeantworter-Durchsagen mit Kuckuck gibt es für kleine Pensionen individuell zu beziehen.
Gefahr für die Städte
Mair kämpft hier um jeden Übernachtungsbetrieb. Die Website zum Schwarzwald-Tourismus bietet inzwischen 36 Sprachen an, von albanisch bis weißrussisch. Was die Zukunft bringt? Zunächst sagt er, dass die Betriebe ihre Hausaufgaben während der Pandemie gemacht haben. Viele hätten im Vorjahr auch den November offen gelassen und sich flexibel gezeigt, wenn nicht der Lockdown gekommen wäre. Der Renovierungsstau sei nicht die größte Sorge, auch nicht der Tourismus auf dem Dorf, wo die Freizeit-Reisenden bald wieder kommen.
Der Übernachtungsbetrieb in den Städten bereite ihm größere Sorgen, wenn die Geschäftsleute-Kundschaft ausbleibt. „Es wird Überkapazitäten geben, es schaut so aus, dass jeder fünfte oder sechste Betrieb in Städten in Gefahr ist“, sagt Mair. Bleibt die immer gleiche Frage nach der Qualität, nach dem Spagat zwischen Massenkultur und Exzellenz, zwischen Allerwelts-Schinkenplatte und hochwertiger Regionalküche. Mair sagt, dass die STG sich vermehrt darauf konzentriert, die Leuchttürme auch als solche zu zeigen. Es sei klar, dass man „die schönsten Früchte am Stand auch als erste zeigt“ meint er mit Blick auf die Marktsituation.
Die Erfahrung zeige, dass eine vermeintliche Neutralität die Qualität eher senke als hebe. Auch der „Kuckuck“-Award – eine im Vorjahr ins Leben gerufene Einkehr-Prämierung mit etwas ungewöhnlichen Auszeichnungen – gehe mit veränderten Jury-Voraussetzungen in die zweite Saison. Täuscht der Eindruck, oder schaut das Bild, das wir vom Schwarzwald haben, aktuell etwas jünger aus als das vom Allgäu oder Bodensee?
Mair widerspricht nicht, er sagt aber, dass man sich eher an Vorarlberg und Kärnten als Regionen messe. Insgesamt geht er davon aus, dass die Region gegen alle Widrigkeiten Zukunft hat. „Die Schwarzwald-DNA lebt“.
Aus erster Hand: die Empfehlungen der Schwarzwald-Touristiker fürs Frühjahr
FÜR OUTDOOR-FANS:
Trekking-Abenteuer Schwarzwald
Tagsüber wandern, abends im Zelt in der Schwarzwald-Wildnis übernachten und das ganz legal. Neun Trekking-Camps gibt es im gesamten Schwarzwald, die von Mai bis Oktober gebucht werden können: Nur zu Fuß zu erreichen, Platz für bis zu drei Zelten, Feuerstelle und ein kleines Toilettenhäuschen. Mehr nicht! Sechs Trekking-Camps liegen zwischen Baden- Baden und Freudenstadt, drei im Landkreis Waldshut. www.trekking-schwarzwald.de
Der Berg ruft – dem Sonnenaufgang entgegen
Früh raus, wenn es noch dunkel ist und in den Tag hineinlaufen. Belchen und Herzogenhorn bieten wunderbare Sichten. Am Gipfel hoch oben sind bald Umrisse der umliegenden Berge erkennbar. Wunderbare Plätze für den Sonnenaufgang im südlichen Schwarzwald gibt es unter www.schwarzwaldoutdoor. de. Organisierte Touren bei „Original Landreisen“ unter www.original-landreisen.de
Schluchting in der Langenbachschlucht
Schluchting bedeutet Kletterwandern durch ein Bachbett. In der Nähe von Todtnau geht die Tour durch hüfthohes Wasser. Von unten durch die Schlucht, durch Wasserläufe und über Steine, Felsen und tolle Bachlandschaften. www.schluchting.de
Flug über die Baumwipfel:
„Hirschgrund-Zipline“ Wer das Hängezelt im Heubachtal bei Schiltach besucht (dort kann man in 40 Meter Höhe übernachten), sollte unbedingt einen Abstecher zur „Hirschgrund-Zipline“ unternehmen. Gut gesichert rauschen und gleiten Abenteurer hier an gespannten Drahtseilen von Hang zu Hang über Schwarzwaldtäler. www.hirschgrund-zipline.de
FÜR WANDERER:
„Schwarzwälder Genießerpfade“
Genüsslichen Wanderspaß versprechen die 46 Premiumwege zwischen sechs und 18 Kilometern. Sie führen durch attraktive Landschaften und locken mit Genießer-Anreizen – von badischem Wein über Schwarzwälder Biere bis zu Hochprozentigem. Der „Bernauer Hochtal Steig“ bietet beispielsweise 16 anspruchsvolle Kilometer im Bernauer Hochtal mit Schwarzwald- und Alpenpanoramen. Zur Wanderpause bietet sich die Krunkelbach-Hütte unterm Herzogenhorn an.
Streuobstwiesen und Römer-Relikte am „Kirschbaumpfad“
Seinen vollen Zauber entfaltet der Pfad am Westrand der Region im Frühling – er ist gesäumt von Streuobstwiesen mit imposanten Hochstämmen. Auf rund 23 Kilometern führt er quer durch den nördlichen Kaiserstuhl von Sasbach nach Riegel. Der Pfad verläuft parallel zu alten keltischen und römischen Handelsverbindungen und Siedlungen. www.naturgarten-kaiserstuhl.de
Picknick unterm Blütenmeer
Kirschen weisen den Weg – auf dem Wegesymbol wie auch rund um die kleinen Ortschaften: Das Eggenertal bei Schliengen im Markgräflerland ist geprägt von Tausenden Kirschbäumen. Unter der Blütenpracht breiten Familien und Freunde ihre Picknickdecken aus. Der Rundweg führt etwa 12 Kilometer weit um die kleinen Ortschaften von Niedereggenen, Obereggenen und Schallsingen. Über den aktuellen Stand der Blüte informiert ein „Blütentelefon“ unter Tel. 07635 8249649, www.eggenertal.de
Fernwanderwege im Schwarzwald
Spektakuläre Mehrtageswanderungen: Wein und Genusserlebnisse rückt das „Markgräfler Wiiwegli“ in den Fokus, rund 90 Kilometer von der Schweizer Grenze durch das Markgräferland bis Freiburg. Der Klassiker im Schwarzwald ist der bereits 1900 angelegte „Westweg“, der auf 285 Kilometer einmal komplett durch die Ferienregion führt: Von Pforzheim bis Basel. Neuester der 24 Fernwanderwege im Schwarzwald ist der 2019 eröffnete „WasserWeltenSteig“. Er verbindet über 109 Kilometer „Deutschlands höchste Wasserfälle“ in Triberg mit Europas größtem Wasserfall, dem Rheinfall www.fernwanderwege-schwarzwald.info
FÜR RADLER:
Mountainbike-Touren
Den Adrenalinkick auf zwei Rädern versprechen Singletrails für Mountainbiker, etwa in Schonach, Wolfach und Sasbachwalden. Freiburg gilt mit seinen Trails, die fast in der City enden, inzwischen als Mountainbike-Hauptstadt. Auf fast 400 Kilometer bringen es die elf Touren mit bis zu einem Drittel Singletrail-Anteil in Baiersbronn. www.rad-schwarzwald.info
Mit dem Rad auf den Kandel/ Neue „Bergwelt Kandel“
Der mystische 1241 Meter hohe Kandel erfreut Rennradfahrer (einer der härtesten Anstiege), Mountainbiker (50 km lange „Kandel-Tour“), Wanderer und viele andere – denn die exponierte Lage des Gipfels ermöglicht Weitblicke in den Schwarzwald, die Vogesen und die Alpen. Mit der „Bergwelt Kandel“ erhält er ein spektakuläres Ausflugsziel: Der innovative Holzbau vereint Berggaststätte mit Biergarten. Im Berghotel mit 48 Betten lässt sich die Nacht auf dem „Berg der Kräfte“ verbringen. Die Bergwelt soll im Frühjahr 2021 eröffnet werden. www.bergwelt-kandel.de
FÜR FAMILIEN:
Wildnis-Erlebnispfad im Biosphärengebiet
Das Kooperationsprojekt „Heimspiel für die Wildnis“ der Projektpartner WWF, SC Freiburg und Biosphärengebiet Schwarzwald führt auf knapp fünf Kilometern durch vierzehn interaktive Stationen. Der Weg startet am Schulhaus in St. Wilhelm in Oberried im Dreisamtal und führt entlang der sogenannten Kernzonen des Biosphärengebiets Schwarzwald, geschützte Gebiete, in denen Natur wieder Natur sein darf. www.dreisamtal.de
Neues Nationalparkzentrum am Ruhestein (vorauss. ab Mai 2021)
Im Nationalparkzentrum dreht sich in der multimedialen Dauerausstellung alles um Waldwildnis und die Frage, wie sich Natur ohne den Einfluss des Menschen entwickelt. Geleitet werden die Gäste vom Wald selbst: Er erzählt von der Komplexität des Werdens und Vergehens, der Vielfalt der Arten und Lebensräume. Die Ausstellung ist voraussichtlich ab Mai 2021 für Publikum geöffnet. www.nationalpark-schwarzwald.de